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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2004, Seite 7

Ärztetag

Die neue Gesellschaft (mit beschränkter Haftung)

»Zwischen Heilkunst und Profitmedizin« — so titelte das Zentralorgan der Medizinerzunft, das Deutsche Ärzteblatt, zum 107.Deutschen Ärztetag in Bremen. Für das erste Thema stieg der bekannte Fest- und Sonntagsredner Johannes Rau in die Bütt und löste damit in letzter Sekunde sein altes Versprechen ein, in seiner Amtszeit als Bundespräsident einmal einen Ärztetag zu eröffnen. Das machte einen guten Eindruck und hatte den Vorteil, dass die versammelte Ärzteschaft sich anschließend weniger der Heilkunst und mehr dem Geschäft widmen konnte.

Dabei hatte das zu Beginn gar nicht so ausgesehen. Bruder Johannes äußerte seinen »großen Respekt« vor dem ärztlichen Berufsstand, sprach sich für die Beibehaltung des Solidarsystems aus und plädierte für Heilkunst anstatt reiner Wissenschaft und Ökonomie. In die gleiche Kerbe hieb der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg Hoppe: Ärzte seien keine Kaufleute und Patienten keine Kunden. Das neue Gesundheitsreformgesetz fördere nicht den Wettbewerb um Qualität, sondern den Wettbewerb um Profit. Da hatte es die ebenfalls angetretene Ministerin Ulla Schmidt schwer, deren Beteuerung, sie sei gegen Bürokratisierung im Gesundheitswesen, zu hörbarer Erheiterung bei den anwesenden Standesvertretern führte.
Hoppe hatte nicht Unrecht, als er weiterhin feststellte, dass sich in den Köpfen der Gesundheitstheoretiker und der Politiker eine Ideologie des Wettbewerbs festgesetzt habe. Sieht man sich allerdings die Realität der letzten Jahre an, so wird deutlich, dass diese Ideologie in gleicher Geschwindigkeit auch bei den Ärzten selbst Platz gegriffen hat: Durchrationalisierung der Praxen mit der Stoppuhr, werbewirksam gestaltete Internetseiten und Wartezimmer mit Werbung für die — privat zu zahlenden — sogenannten IGEL-Leistungen (Individuelle Gesundheitsleistungen) sind inzwischen nicht mehr Ausnahme sondern Normalität. Die Berufsordnung, die früher jegliche Werbung der Ärzte verbot, wurde teils in regelmäßigen Abständen den neuen Realitäten angepasst, teils durch legale gesellschaftsrechtliche Tricks, durch die nicht der Arzt, sondern die entsprechende Privatklinik die Werbung übernahm, geschickt ausgehebelt.
Deshalb konnte es auch nicht verwundern, dass eine wesentliche Entscheidung des diesjährigen Ärztetags die Liberalisierung der Berufsordnung betraf. Offiziell ist der Anlass hierfür die Einführung der sog. Medizinischen Versorgungszentren im Gesundheitsreformgesetz. Die Novellierung der Berufsordnung soll angeblich die Benachteiligung der niedergelassenen Ärzte gegenüber diesen neu eingeführten Institutionen ausgleichen. Da diese Neufassung allerdings nach Meinung der Rechtsexpertin der Kassenärztlichen Bundesvereinigung »nicht mit dem SGBV kompatibel« sei, auf gut deutsch also rechtswidrig, wurde der Gesetzgeber gleich vorsorglich aufgefordert, den entsprechenden Gesetzespassus zu ändern.
Die neue Berufsordnung beinhaltet einige entscheidende Neuerungen: Ärzte dürfen in Zukunft auch »in der juristischen Person des Privatrechts ärztlich tätig sein«. Angeboten wird eine breite Palette von Konstruktionen, von der sog. Ärztegesellschaft über die »Medizinische Kooperationsgemeinschaft zwischen Ärzten und Angehörigen anderer Fachberufe«, dem Praxisverbund bis hin zur »Beteiligung von Ärzten an sonstigen Partnerschaften«. Selbst der alte »Doktor- Eisenbarth-Paragraf« (Verbot der Ausübung des ärztlichen Berufs im Umherziehen) wurde durchlöchert: »Dem Arzt ist es gestattet, über den Praxissitz hinaus an zwei weiteren Orten ärztlich tätig zu sein.«
Insgesamt decouvriert diese Neufassung das Gejammer in den Einführungsreden über die »Kommerzialisierung« des Ärzteberufs als reine Scheinheiligkeit. Die Ärzteschaft hat nichts eiligeres zu tun, als sich den neuen Gegebenheiten so anzupassen, damit so wenig wie möglich von ihrer Pfründe abhanden kommt. Immerhin findet sich in einer der verabschiedeten Entschließungen wenigstens eine Bemerkung zur Solidarversicherung. Dieser Punkt tauchte allerdings nur in einem kurzen Satz auf (»Die solidarisch getragene medizinische Versorgung muss auch in Zukunft für jedermann jederzeit erreichbar sein…«). Eine Stellungnahme zu den verschiedenen Plänen zu der Debatte um die für 2007 vorgesehene Neuordnung der Krankenversicherung (Kopfpauschale versus »Bürgerversicherung«) wurde allerdings peinlichst vermieden. Einen viel breiteren Raum nahm stattdessen das Gejammer über die »Kontrollbesessenheit« der staatlichen Institutionen ein. Insbesondere die »Misstrauenskultur« und »permanente Unterstellung des Abrechnungsmissbrauchs« erboste die deutsche Ärzteschaft so, dass diesem Komplex gleich eine halbe Seite in der Entschließung gewidmet wurde. Getroffene Hunde bellen, sagt der Volksmund hierzu.
Vielleicht erinnert sich noch jemand: In den 70er Jahren entwickelten Medizinstudierende einer Arbeitsgemeinschaft des Offenbacher Sozialistischen Büros (SB) Modelle von berufsübergreifenden Praxiszentren, in denen Ärzte, Psychologen, Sozialpädagogen etc. gemeinsam arbeiten sollten. Woanders hieß das Poliklinik und die Beschäftigten wurden nach Stundenlohn vergütet. Für die ärztlichen Standesorganisationen waren derartige Bestrebungen seinerzeit der Weg in die sozialistische Staatsmedizin. Heute tauchen diese Vorstellungen in der neuen Ärztlichen Berufsordnung auf: In Form einer Art Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Notabene: Die Gesellschaftsform macht den Unterschied, im Allgemeinen wie im Besonderen.
Johannes Rau hat das alles nicht mehr mitbekommen. Der hielt wahrscheinlich schon irgendwo anders eine seiner Sonntagsreden.

Klaus Engert

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