SoZSozialistische Zeitung |
Die Auseinandersetzung mit SPD und PDS geht in Berlin in eine neue Runde. Nachdem die zum Teil beachtlichen
Mobilisierungen in den letzten zwei Jahren nicht einmal einen Achtungserfolg für soziale Bewegungen und Gewerkschaften herbeiführen konnten
und die Regierungsfraktionen den Kürzungshaushalt 2004/05 im März durchgesetzt haben, entschieden sich Akteure der sozialen Bewegungen, die
GEW und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) für ein Volksbegehren zur Erzwingung von Neuwahlen in Berlin. Auf Delegiertenversammlungen stimmten
über 80% der Delegierten der 16000 Mitglieder starken GdP Mitte Mai, sowie ebenfalls 80% der 25000 Mitglieder zählenden GEW Anfang Juni
für diesen Vorstoß.
Unter den Initiativen und Gruppen der sozialen Bewegungen sowie der revolutionären
Linken ist die Initiative zur Abwahl umstritten. Die Einigkeit in strategischen Fragen in den vergangenen zwei Jahren unter einflussreichen Spektren der sozialen
Bewegung existiert so nicht mehr. Die Formierung der Wahlalternative bundesweit und auch in Berlin kompliziert die Situation zusätzlich. So sind nicht
alle, die die Wahlalternative oder das Berliner Sozialbündnis unterstützen, auch ein Anhänger der »Initiative Soziales Berlin«.
Die Entscheidung für das Volksbegehren ist in gewisser Hinsicht jedoch aus der Not heraus entstanden, denn offensichtlich war es nicht gelungen durch
die Straße und den Druck der Gewerkschaften den Senat zum Stopp seiner Politik zu bewegen. Daher formuliert die Initiative auf ihrem zentralen
Flugblatt: »Wer nicht hören will, muss fühlen!«
Die Berliner Gewerkschaften sehen sich mit der neuen Situation konfrontiert, dass sie im Senat
mit ihren Positionen überhaupt kein Gehör mehr finden. So schreibt die GEW Berlin in ihrem Mitgliederrundbrief vom 10.6.04: »Feste
Vereinbarungen und sogar schriftlich fixierte Vereinbarungen, wie der für uns sehr problematische Anwendungstarifvertrag [Arbeitszeitverkürzung
für Gehaltsverzicht], werden von der anderen Seite systematisch gebrochen. Es gibt keine konstruktiven Gespräche, keine Vereinbarungen und
keine Vertragstreue dieses Senats welche Handlungsoptionen bleiben? … Wir sagen den Verantwortlichen in der SPD und der PDS auch, das
Argument, ›zu uns gibt es keine Alternative und deshalb ist das Volksbegehren falsch‹, hat uns lange genug erpressbar gemacht.«
Die über 155000 Mitglieder organisierende Verdi und die 45000 Mitglieder umfassende
IG Metall unterstützen das Volksbegehren nicht, sagen aber auch, dass in Berlin eine andere Politik notwendig ist.
Auf dem stadtpolitischen Kongress am 4./5.Juni, getragen vom Berliner Sozialbündnis,
GEW und Verdi, betonte die stellvertretende Verdi-Geschäftsführerin, Gabi Lipps, daher, dass auch Verdi verstärkt auf Informations- und
Straßenkampagnen setzen will. Dass sich an der Co-Management-Politik von Verdi in vielen Berliner Betrieben etwas ändern müsse, fiel ihr
jedoch nicht ein. Denn was ist der Wunsch nach einer anderen Politik wert, wenn gleichzeitig der Sanierungsplan auf Kosten der Beschäftigten im
landeseigenen Krankenhausbetrieb Vivantes mitgetragen wird?
Die Debatte über das Volksbegehren hat die Debatte über eine neue Strategie und
Einflussmöglichkeiten in den Gewerkschaften belebt. Dynamik und öffentliche Auseinandersetzung um das Volksbegehren sowie die geplante
Antiprivatisierungskampagne werden die Diskussion innerhalb der Gewerkschaften weiter voranbringen. Die außerparlamentarischen Akteure sind
gezwungen ihre Alternativen zur Senatspolitik zu konkretisieren und breitere Kreise damit in Kontakt zu bringen. In der ersten Stufe des Volksbegehren werden
das mindestens 50000 sein und in der zweiten Stufe über 480000. Bei einer Volksabstimmung wären es dann je nach Wahlbeteiligung zwischen
700000 und 1,2 Millionen Berliner.
Fünf zentrale Forderungen, die der Senat erfüllen muss, um den Volksentscheid
zur Abwahl abzuwenden, sind bereits jetzt Bestandteil der Kampagne. Das Berliner Sozialbündnis hatte bereits im Winter 15 zentrale Forderungen
aufgestellt. Und auf dem stadtpolitischen Kongress wurden in zentralen Workshops weitere erarbeitet. In der bereits gebildeten Struktur der Berliner
Wahlalternative hat die Erarbeitung von Positionen ebenfalls begonnen. Die letztlich erarbeiteten Positionen, Leitbilder und Alternativen werden sich
wahrscheinlich zwischen antineoliberalen und antikapitalistischen bewegen.
Solch ein (Wahl-)Aktionsprogramm wird darauf achten müssen, möglichst nah an
den Bedürfnissen der abhängig Beschäftigten, Erwerbslosen, Armen und der Jugend anzusetzen. Entscheidend ist auch der Aufbau von
Vertrauen für die neue Wahlformation und ihre Kandidaten. Den Eindruck zu erwecken, ein alternatives Regierungsprogramm formuliert zu haben oder
eine bessere marktorientierte Wirtschaftspolitik machen zu können, entspräche hingegen weder dem Schwung der Bewegung noch den Lehren, die
wir aus SPD, Grünen und PDS ziehen können.
Wenn die Rechnung der »Initiative Soziales Berlin« aufgeht, dann gibt es
zwischen März und Juni 2005 in Berlin Neuwahlen. Der Senat ist gerade sichtlich bemüht, den Eindruck zu erwecken, dass keine weiteren
Belastungen kommen werden und nach dem Verkauf der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GSW keine weiteren Privatisierungen anstehen
würden. Wer auch nur ein wenig Berliner Tagespresse liest, erkennt sehr schnell, dass es sich hier nur um Ausflüchte und Lügen eines Senats
handelt, der in der Bevölkerung die Hälfte seiner Unterstützung verloren hat. Die Abwahl des Senats und der Einzug einer linken
Wahlalternative ins Parlament wäre jedenfalls ein großer Erfolg, auf den sich dann aufbauen ließe.
Sascha Kimpel