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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2004, Seite 10

Kongress »Wahlalternative 2006«

Taktik, Tricks und Träumereien

Sommeranfang 2004 in Berlin: Für einen Tag kamen knapp 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum ersten bundesweiten Kongress der »Initiative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit« (ASG) und der »Wahlalternative 2006« in Berlin zusammen. Sie repräsentieren eine sich rasch ausbreitende Bewegung für eine umfassende politische Alternative zum neoliberalen Kapitalismusmanagement der SPD, die in gut fünfzig Orten und fast allen Bundesländern bereits Treffen absolviert und erste Strukturen aufgebaut hat. Der Kongress wurde von der »Wahlalternative 2006« initiiert und maßgeblich organisiert, doch wie fast alle lokalen und regionalen Treffen war auch der Berliner Bundeskongress bereits eine gemeinsame Sache von ASG und »Wahlalternative«, sodass mit dem neuen Kürzel WASG eine reale gemeinsame bundesweite Bewegung bezeichnet wird.
Es kamen viele ältere Herren, sichtlich weniger Frauen, wenig junge Leute und fast gar keine Migrantinnen und Migranten. Sie trugen fast alle eine oder mehrere politische Funktionen im Säckel, schleppten Unmengen an meist schlechten Erfahrungen mit sich herum und gaben dem Kongress somit einen bestimmten Geruch: Hier versammelt sich die geballte Taktik der deutschen Linken.
Ein derart zusammengesetztes Treffen muss nicht schlecht sein. Wenn dabei nicht die merkwürdigen Inszenierungen aus einer fremden Welt wären: Warum muss ein gerade durch Parteiausschluss aus der SPD geadelter Gewerkschaftssekretär wie ein lebender Märtyrer mit brausendem Beifall empfangen werden, wo doch jeder im Saal eher die Leute feiern müsste, die seit dreißig oder mehr Jahren sagen, dass es die SPD nicht mehr bringt? Schließlich sind sie es, die Recht hatten und haben. Warum wird einem einsamen Clown vom CDU-Arbeitnehmerflügel wie einem Glücksbringer gehuldigt, wo doch alle übrigen innerlich in der Gewissheit lachten, es besser, weil »sozialistischer«, zu wissen als er? Warum wird von vielen Rednerinnen und Rednern unzweideutig analysiert, die SPD und mit ihr der gesamte Laden der prokapitalistischen Reformpolitik steuert hart über »die Mitte« nach Rechts, um dann gleichzeitig feurig zu fordern, die neue Partei dürfe nicht »links« oder gar »sozialistisch« sein, weil »die irregeleiteten Menschen« noch abgeholt werden müssten? Ist es nicht gerade Ergebnis der schröderschen SPD-Politik, das politische Leben so zu polarisieren, dass es diese »Massen mit Illusionen in die Reformpolitik der SPD« gar nicht mehr gibt? Ist eine gesunde Radikalität nicht das minimale Gebot der Stunde?
So blieb bis zum Schluss des Kongresses leider eine Ambivalenz über der Veranstaltung: da sehnte sich ein gerammelt volles Audimax und mit ihr eine breite Bewegung in der ganzen Republik nach einer authentischen, glaubwürdigen und handlungsfähigen linken, sozialistischen Partei, nur auszusprechen wagte es kaum jemand. Es war ein Beispiel für die typisch deutsche Linkenpflicht, mit zusammengekniffenen Arschbacken und aufgeblasenen Backen unbedingt vorwärts kommen zu wollen. Je linker ein Wortbeitrag, desto größer der Beifall, je verbindlicher ein Vorschlag, desto zurückhaltender die Zustimmung — in diesem Tempo ging es die fünf Stunden von Berlin nicht gerade schnell voran.
Wie soll es weitergehen? Der Berliner Kongress hat auch gezeigt, es gibt einen inneren Kreis, der sich bemüht, rasch die organisatorischen Fäden für eine Parteibildung noch in diesem Jahr zu ziehen. Mit dem Endresultat ist sicherlich dem Willen der realen Bewegung Genüge getan. Diese neue Partei wird wirklich gewollt und sie wird kommen, das sollte nach Berlin klar sein. Der Zugang zu diesem inneren Kreis ist nicht leicht, seine Tätigkeiten sind nicht gerade transparent und leider wird auch schon getrickst und um die beste Ausgangsposition gerungen. Da die meisten der Berliner Besucher diese Art des politischen Geschäfts kannten, gab es viel weniger Aufregung darum, als zu früheren Zeiten und anderen Parteigründungen.

Mehr Mut zur Unruhe

Dennoch sollte klar sein und es muss gegebenenfalls den wie immer so auch hier eher zu Intoleranz neigenden »Rechten« deutlich gesagt werden: Eine neue Linkspartei braucht heute mehr noch als in den 70er oder 80er Jahren die gesamte Linke, um überhaupt erst einmal in Fahrt zu kommen. Die »gesamte Linke« meint: vom frisch enttäuschten Noch-Sozi bis zum Hardcore-Linken. Was passiert, wenn die Sache läuft und die Medien in Wallungen gebracht hat, steht auf einem anderen Papier. Eine »Sozialistische Einheitspartei« wird‘s sicherlich nicht werden.
Programmatisch wurden durch die Referate von Detlev Hensche, Bernd Riexinger und anderen sowie durch die Arbeitsgruppendiskussionen erstens nicht viel Neues und zweitens vor allem eins vermittelt: Der Raum für eine Neuauflage reformistischer, neokeynesianischer Politik ist nicht gerade groß. Ohne eine radikale Ausgangsposition und ohne Mut zur politischen Machtprobe und Aufbau realer Gegenmachtstrukturen ist schon die Anfangsphase einer neuen Linkspartei kaum zu überstehen.
Eines hinterließ der Berliner Kongress aber auf jeden Fall: Wenn es der neuen Partei nicht gelingen sollte, in erheblich größerem Maße die Jugend zu begeistern, dann wird es nichts. Dafür ist aber eine gehörige Portion mehr an rebellischem Geist und Mut zur Unruhe nötig, als an diesem Tag in der Humboldt-Universität zu spüren war. Einen harmonischen, friedlichen, kostenneutralen neuen Linksaufbruch, der möglicherweise auch noch niemanden wehtut, wird es in keinem Fall geben.

Thies Gleiss

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