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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2004, Seite 11

Vom IWF-Direktor zum Bundespräsidenten

Schreibtischtäter Köhler

Horst Köhler, der neue Bundespräsident, kennt die Welt. Als geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) hat er in den vergangenen vier Jahren von Washington aus viele Länder bereist, war in Afrika, in Asien, in Lateinamerika. Er ist fest davon überzeugt, in dieser Funktion einen Beitrag, und das sagt er wortwörtlich, für eine »bessere Welt« geleistet zu haben. Eine Welt mit weniger Armut und mehr Demokratie. Davon konnten ihn, den Mann mit Sendungsbewusstsein, bei seinen Weltreisen auch kritische Stimmen nicht abbringen. Zum Beispiel in Afrika, wo er 2001 erstmals gemeinsam mit seinem Amtskollegen von der Weltbank mehrere Hauptstädte besuchte.
Auf den Autofahrten zu den Treffen mit hochrangigen Politikern sah Horst Köhler das Elend in den Massenslums der afrikanischen Metropolen. Manchmal, zum Beispiel in Bamako, der Hauptstadt von Mali, überwanden einige Bewohner aus diesen Slums die Sicherheitsabsperrungen und konnte ihre Klagen direkt an die beiden Repräsentanten der internationalen Finanzinstitutionen richten.
Die hohe Verschuldung Malis und die Strukturanpassungsprogramme des Kreditgebers IWF, so der Vorwurf, führten zu Verarmung und niedriger Lebenserwartung. Strukturanpassung beim IWF heißt: sparen auf Kosten der Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsysteme in diesen Ländern, damit Zinsen für die Auslandsschulden gezahlt werden können. Die Schulden als Grundlage dieser Kürzungsprogramme müssten deshalb komplett gestrichen werden, forderten die Demonstranten.
Aus einem Washingtoner Wolkenkratzer, Fünf-Sterne-Hotels und einer gepanzerten Limousine sieht die Welt jedoch anders aus als aus der Perspektive eines Slumbewohners. Deswegen hat Horst Köhler nie einen Hehl daraus gemacht, dass er nur einen Weg für die Bekämpfung der Armut sehe: Strukturanpassung. Das heißt beim IWF: öffentliche Dienstleistungen zurückfahren, Lebensmittelsubventionen streichen, staatseigene Betriebe verkaufen. Wenn Schuldenerlass, dann nur teilweise und nur für die ganz armen Länder und an besonders strenge Auflagen geknüpft. Erst dann stelle sich wirtschaftlicher Erfolg ein, dann gebe es Wohlstand für alle.
Nach dieser einfachen Formel sind nahezu alle Projekte gestrickt, an denen Horst Köhler bisher mitgewirkt hat. Eine neoliberale Karriere: Seit 1990 ist er Staatssekretär unter dem konservativen Bundesfinanzminister Theo Waigel gewesen. In dieser Funktion war er deutscher Chefunterhändler in der Regierungskonferenz, die zum Maastricht-Vertrag über die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion mit ihrem rigiden Euro-Stabilitätspakt führte; er bastelte mit an der finanzpolitischen »Wiedervereinigung« der beiden deutschen Staaten — andere nennen es Ausverkauf der DDR, dem heutigen Armenhaus Deutschlands. Er persönlich beriet den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl auf den G7-Treffen in Houston 1990, in London 1991, in München 1992 und in Tokyo 1993.
Die Praxis hat seine Politik längst ad absurdum geführt. Besonders auch die Strukturanpassungspolitik des IWF. Während Horst Köhlers Amtszeit kollabierte sogar die Wirtschaft des IWF-Musterschülers Argentinien, einst das wohlhabendste Land in Südamerika. Nun, dank der Auflagen des IWF, ist es ausgesaugt von internationalen Bankenkonsortien und der nationalen Oberschicht. »Wegen der Krisen sind 50—60% der Bevölkerung verarmt«, gab Köhler noch im vergangenen September zu und sagte gleich darauf: »Diesen Argentiniern klarzumachen, dass es unverzichtbar ist, den Gürtel noch enger zu schnallen, um die Krise zu bewältigen, ist eine große Herausforderung.«
Nicht nur die Armutsbekämpfung, auch die Demokratie ist dem IWF nicht mehr als eine hohle Phrase. Zum Beispiel in Zambia: Dort hatte das Parlament im Dezember 2002 die Regierung mit Erfolg aufgefordert, die Privatisierung der staatlichen Bank zurückzunehmen. Der Beschluss währte nicht lange. Als der IWF drohte, den schon zugesagten Schuldenerlass von einer Milliarde Dollar deshalb nicht zu gewähren, machte die Regierung einen Rückzieher und entschied nach dem Willen des IWF.
Als geschäftsführender Direktor des IWF war Horst Köhler stets an die Anweisungen der 24 Exekutivdirektoren gebunden, die vor allem die Interessen der USA, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und Japans vertreten. Der Einfluss der 182 Mitgliedstaaten im IWF bestimmt sich nämlich nach der Höhe ihrer finanziellen Einlagen. Horst Köhler hat seine Rolle als überzeugter Repräsentant dieser Gelddemokratie gut gespielt. Manchmal hat er zwar auch die reichen Nationen gemahnt, ihre Märkte für die Agrarprodukte aus armen Ländern zu öffnen oder die Entwicklungshilfe zu erhöhen. Aber die Grundlagen des IWF und dessen Strukturanpassung hat er immer verteidigt — und damit den Ausverkauf der Länder der Dritten Welt zugunsten privater Kreditgeber und Unternehmen in Nordamerika, Europa und Japan.
Auch als neuer Bundespräsident hat Horst Köhler keine politischen Entscheidungskompetenzen. Aber eine ideologische Leitbildfunktion. Er wird seine internationalen Erfahrungen als Verfechter neoliberaler Politik auch im neuen Amt einbringen. Umstellen muss er sich nicht. Die Strukturanpassungsprogramme in Deutschland heißen Agenda 2010 oder Hartz-Gesetze und der Ausverkauf öffentlicher Dienste heißt hier wie in der Dritten Welt ganz einfach Privatisierung.
Schon unter Köhlers Vorsitz lobte der IWF ausdrücklich das soziale Kürzungsprogramm Agenda 2010. Doch damit nicht genug: Die Regierung Schröder sei gut beraten, so der IWF, nicht nur die Arbeitslosenhilfe, sondern auch das Arbeitslosengeld zu reduzieren und dieses maximal auf der Höhe der jetzigen Sozialhilfe einzufrieren.
Für Horst Köhler ist die Agenda 2010 nur ein erster Schritt. Nach seiner Nominierung zum Bundespräsidenten sagte der Mann von Welt: »Wir kämpfen mit einem Wohlstandsphänomen. Behäbigkeit aber kann man sich in einem unglaublich schnellen globalen Wettbewerb schlecht leisten.« Und der Globalisierung, das hat Köhler in seiner Antrittsrede noch mal betont, kann sich niemand entziehen. Wer das in Deutschland noch nicht verstanden hat, muss mit dem neuen Bundespräsidenten rechnen.

Gerhard Klas

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