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Die Fiat-Arbeiter im süditalienischen Werk Melfi haben erstmals seit 24 Jahren wieder nach einem dreiwöchigen
Arbeitskampf ihre Forderungen gegen die Geschäftsleitung durchgesetzt.
Das Werk Fiat-Sata wurden in Melfi Anfang der 90er Jahre auf die grüne Wiese gebaut,
mit viel finanzieller Unterstützung seitens des Staates und der Kommune, die etwa die Hälfte der Gesamtinvestitionen von damals 6,6 Milliarden
Mark aufgebracht hatten.
Es arbeiten dort heute 5000 Menschen, davon 4000 in Zulieferbetrieben; pro Tag werden 1200
Autos hergestellt. Der Bau folgte dem Konzept, Produktionsstätten zu errichten in Gebieten ohne industrielle Tradition, mit einer »neuen«
Arbeiterklasse, die keine Kampferfahrungen und keine gewerkschaftliche Tradition hat und ausschließlich aus jungen Arbeitskräften besteht, die
vollständig der betrieblichen Standortlogik unterworfen sind.
Das schien möglich, weil die italienische Arbeiterklasse schwere Niederlagen erfahren
hatte und die Gewerkschaftsführungen sich mit ihrer sozialpartnerschaftlichen Politik mehr und mehr den Forderungen der Unternehmer unterwarfen und
immer mehr Rückschritte bei Löhnen, Arbeitsbedingungen, Flexibilisierung der Arbeitszeiten und prekären Arbeitsbedingungen einhandelten.
Zehn Jahre lang ist es Fiat gelungen, brutale Ausbeutungsbedingungen durchzusetzen. Die
Beschäftigten bei Melfi bekommen 20% weniger Lohn als an anderen Fiat-Standorten. Sie unterliegen einem mörderischen Schichtsystem (drei
Schichten innerhalb von sechs Tagen, zwei Wochen Nachtarbeit hintereinander mit nur einem Tag Unterbrechung usw.).
Die Mehrzahl der Beschäftigten ist zu sehr langen und auch gefährlichen
Anfahrten gezwungen, teilweise über 150 Kilometer, weil die Arbeiter überall dort angeheuert wurden, wo die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist.
Die betriebsinterne Hierarchie folgte wieder dem alten Fiat-Stil eines Kasernenregimes, wo es allein im vergangenen Jahr mehrere tausend
Disziplinarmaßnahmen gehagelt hat.
Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen sind so eingerichtet, dass das Werk sechs Tage in der
Woche rund um die Uhr produziert. Die Gewerkschaften hatten auch akzeptiert, dass Neueinstellungen jahrelang nur mit prekären Verträgen
erfolgten, vor allem auf der Basis von Ausbildungsverträgen, was Beschäftigte über 32 Jahre ausschloss.
Das Härteste war jedoch ein neues Leistungssystem, Tmc2 genannt, das das
durchschnittliche Leistungsniveau der Arbeiter auf 94,3% gegenüber früher 86% hochgeschraubt hat. Technisch bedingter Stillstand der
Bänder wird durch nachfolgende Heraufsetzung der Bandgeschwindigkeiten ausgeglichen.
Rings um das Werk sind die Zulieferbetriebe angesiedelt, die genau in Abstimmung mit den
Bedürfnissen der Hauptproduktion arbeiten, »just in time«, und somit noch stärker flexibilisierten Arbeitsbedingungen bei gleich
intensiver Ausbeutung unterworfen sind.
Fiat Melfi ist damit die produktivste Autofabrik in ganz Europa. Viele junge Arbeiter halten
diesen Rhythmus nicht aus, trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und der nahezu Unmöglichkeit, einen anderen Arbeitsplatz zu finden. Der Durchlauf
an Beschäftigten ist deshalb sehr hoch.
Im Jahr 2002 hatte es bei Fiat einen sehr harten Arbeitskampf gegen eine weitere Umstrukturierungsmaßnahme gegeben, die den Verlust von mehreren
zehntausend Arbeitsplätzen bedeutete. Dabei war es nicht gelungen, die Arbeiter von Melfi in den Kampf einzubeziehen, die noch unter dem
Erpressungsdruck der Geschäftsleitung standen.
Nach langer Leidenszeit ist der Knoten jetzt aber geplatzt, die Unzufriedenheit und der Zorn
über die unmenschliche Ausbeutung haben sich Luft geschaffen. Im April und Mai haben die Beschäftigten des Autowerks zusammen mit denen der
Zulieferbetriebe den Zugang zum Betriebsgelände blockiert und sich vor den Toren versammelt, um sich nicht mit Streiks im Werksinneren dem Druck
und den Erpressungsmaßnahmen der Meister auszusetzen. Sie haben einen unbefristeten Streik mit Betriebsversammlungen und breiter Beteiligung der
Belegschaften beschlossen und damit zu harten Kampfformen zurückgefunden.
Die Metallergewerkschaft FIOM hat sie bis zum Schluss begleitet, so auch die Linke in der
CGIL. Die Arbeiter haben gefordert, bei den Löhnen den Beschäftigten in anderen Werken gleichgestellt zu werden, das Schichtsystem zu
ändern, die Disziplinarmaßnahmen abzuschaffen und das Polizeiregime im Betrieb zu beenden.
Die Geschäftsleitung von Fiat glaubte, den Kampf brechen zu können. Sie hat
geglaubt, sich auf ihr System von Spaltung der Belegschaften, Ausbeutung, Repression und Erpressung nicht nur gegenüber den Beschäftigten,
sondern auch gegenüber ihren Familien und den armen Gemeinden, die am Rande der wirtschaftlichen und industriellen Entwicklung des Landes leben,
verlassen zu können. Sie hat verloren.
Auslöser war ein Vorfall, der nicht einmal einzigartig war. Ein Zulieferbetrieb befand
sich im Streik, die Teile wurden nicht angeliefert, und die Geschäftsleitung bestellte die Gewerkschaftsvertreter, um ihre Zustimmung einzuholen, dass sie
die Arbeiter nach Hause schicken konnte, ohne ihnen den Lohn weiter zu bezahlen. So etwas war schon mehrfach vorgekommen, um die einen gegen die anderen
aufzuhetzen.
Diesmal war es aber anders: der Vertreter der FIM (Metallgewerkschaft der CISL)
unterschrieb, der der FIOM jedoch nicht. Als sie das Personalbüro verließen, standen die Beschäftigten vor ihnen, die sagten: »Diesmal
reichts. Diesmal geben wir nicht klein bei. Alle zusammen besetzen wir die Eingänge.« 21 Tage lang haben sämtliche Belegschaften
die Geschäftsleitung von Fiat in Schach gehalten.
Diese hat sich zuerst geweigert, überhaupt zu verhandeln. Dann hat sie die Arbeiter zu
spalten versucht, indem sie eine klägliche Demonstration der Beschäftigten organisiert hat, die angeblich arbeiten wollten. Sie wurden
angeführt vom reaktionären Bürgermeister von Melfi, aber es wurde ein Flop, es kamen vielleicht 100 Leute, in der Mehrzahl Meister und ein
paar lokale Persönlichkeiten. Dann tat sie so, als wollte sie verhandeln und verlangte von den Gewerkschaften, sie sollten unterschreiben, dass sie den
Arbeitskampf verurteilen. FIM und UILM haben auch unterschrieben, die FIOM jedoch nicht.
Dann schaltete sich die Regierung ein und versuchte, die Blockaden vor den Werktoren mit
Polizeigewalt aufzulösen. Ohne Erfolg, die Arbeiter blieben zusammen und hielten die Tore weiter besetzt. Es folgte die gerichtliche Aufforderung an die
FIOM und die Gewerkschaftsvertreter, die Blockade aufzulösen. Gleichzeitig erklärte Fiat sich bereit zu verhandeln.
Das war ein gefährlicher Moment, wie sollte man reagieren. Um dies zu klären,
wurde vor den Toren eine große Betriebsversammlung einberufen. Hochrangige Vertreter der FIOM traten auf und schlugen vor, jetzt andere
Kampfformen einzuschlagen aber sie sagten auch, wenn die Arbeiter beschließen würden, die Blockade weiter zu führen,
würden sie diese Entscheidung respektieren und mit ihnen gemeinsam die Repressalien durchstehen, die das Gericht und die Regierung vorbereiteten.
Die Betriebsversammlung wurde zu einem außergewöhnlichen Beispiel von
Arbeiterdemokratie, das alle überrascht hat.
In stundenlanger dramatischer Diskussion äußerten die Arbeiter ihre Angst, wenn
sie in die Fabrik zurückkehrten, würden die Meister sie noch mehr erpressen. Einstimmig beschlossen sie, die Blockade zu unterbrechen, aber
gleichzeitig in jeder Schicht einen jeweils achtstündigen Streik durchzuführen; über die Fortsetzung der Streiks würde jede Schicht in
einer Betriebsversammlung entscheiden. Die Tore wurden freigegeben, die Streikbrecher konnten rein, aber es waren nur etwa hundert, und es war
unmöglich, die Produktion wieder aufzunehmen.
Die Einheit war gewahrt worden, zwischen den Belegschaften, aber auch mit den Familien und Nachbarschaften. Die Dörfer standen vollständig
hinter ihnen, und wer erwog, die Arbeit wieder aufzunehmen und den Kampf damit zu spalten, wurde davon abgehalten. Vor dem Firmensitz von Fiat in Rom
gab es eine große Demonstration, an der sich Delegationen aus allen Fiat-Werken beteiligten. Am Ende büßte Fiat die Produktion von 40000
Autos ein und musste nachgeben.
Es hat sich erwiesen, dass ein Produktionssystem, das ganz und gar auf Kostenreduzierung und
Profitmaximierung ausgerichtet ist, keinen Manövrierspielraum lässt und zusammenbricht, wenn es zu einem massiven Arbeitskampf kommt.
»Just in time« ist ein perfider Ausbeutungsmechanismus, aber er funktioniert nicht mehr, wenn die Arbeiter zusammenstehen.
Es wurde ein Abkommen erreicht, das den Forderungen der Belegschaften entspricht: die
wochenlangen Nachtschichten werden gestrichen, die Lohngleichung in drei Etappen vorgenommen, die Disziplinarmaßnahmen überarbeitet. Die
Arbeiter haben es als einen großen Sieg gefeiert und die Gewerkschaftsvertreter verspottet, die sie vom Kampf abhalten wollten.
Der Kampf von Melfi ist Ausdruck einer Veränderung, die es in den sozialen
Kämpfen der letzten Monate gegeben hat. Bislang hatten die Arbeitskämpfe einen vorwiegend defensiven Charakter, auch wenn sie sehr massiv
waren, wie dies seit der Großdemonstration der CGIL in 2002 der Fall gewesen ist. Ihre Ergebnisse waren dennoch bescheiden geblieben: So wurde
verhindert, dass der Art.18 im Arbeitsrecht, der unangemessene Kündigungen verbietet, ausgehöhlt wird, aber es konnte nicht verhindert werden,
dass das Gesetz 30 über die Prekarisierung der Arbeit durchgesetzt wird.
Mit diesem Gesetz werden die Schutzbestimmungen des Art.18 umgangen und die
Arbeitsverträge individualisiert. Die Offensive der Unternehmer konnte somit nicht aufgehalten werden und die Führung der Kämpfe blieb
häufig der CGIL überlassen, fand keine Unterstützung auf betrieblicher Ebene. Dennoch haben sie dazu beigetragen, das soziale Klima zu
verändern.
In den letzten Monaten hat es eine Reihe von sehr harten betrieblichen Auseinandersetzungen
gegeben, die zu einer Wiederbelebung radikaler Kampfformen geführt haben, mit unbefristeten Streiks und der völligen Lahmlegung von
Produktion und Dienstleistungen. Diese Kämpfe waren nicht mehr nur defensiv.
Anders als in der Vergangenheit wurde die Abwehr der Angriffe verbunden mit
weitergehenden Forderungen zu Löhnen und Arbeitsbedingungen. So beim Kampf der Stahlarbeiter in Genau und in Terni, beim Kampf der Busfahrer in
verschiedenen Großstädten, der Beschäftigten bei Alitalia, oder zuletzt der Werftarbeiter bei Fincantieri. In mehreren Fällen gab es
Erfolge. Es wäre jedoch falsch zu glauben, das Kräfteverhältnis hätte sich bereits umgekehrt.
Franco Turigliatto
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