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A.Holberg fordert von der Linken hier wie im Irak die Unterstützung des bestehenden »nationalen bewaffneten
Befreiungskampfes« im Irak, bei gleichzeitiger Opposition der irakischen Linken gegen dessen »bürgerliche Führungen«. Die
Grundfehleinschätzung von A.Holberg liegt bereits darin, die derzeitigen bewaffneten Aktionen zu einem »nationalen Befreiungskampf«
schön zu reden und den bewaffneten Aktionen ohne Einschränkung das Prädikat »antiimperialistisch« zu verleihen. Hierzu
einige Anmerkungen:
1. Die Schaffung einer Gesellschaft ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg ist
für Revolutionäre Marxisten übergeordnete Leitlinie ihres Handelns.
Eine ablehnende Haltung zur Besatzung im Irak und insbesondere zur Besatzungsmacht USA
alleine ist keine ausreichende Grundlage um eine Bewegung oder Organisation als »antiimperialistisch« zu bezeichnen und macht noch keine
Befreiungsbewegung im fortschrittlichen, emanzipatorischen Sinne aus. Die Frage, ob eine bestimmte Bewegung zu unterstützen ist bzw. als
Bündnispartner in einer bestimmten Frage betrachtet werden kann, ist hinsichtlich der politischen Zielvorstellungen und Kampfmittel, die von der
Bewegung vertreten und angewandt werden, zu bewerten.
Die formale politische Unabhängigkeit ist von der ökonomischen und sozialen
Unabhängigkeit nicht zu trennen. Befreiungsbewegungen, die zu Recht diesen Namen verdienten, haben deshalb zumindest programmatisch das Recht auf
Unabhängigkeit gegenüber allen Formen kolonialer Unterdrückung eingefordert. Davon kann aber bei den derzeitigen Hauptakteuren des
bewaffneten Kampfes, den Baathisten und Islamisten nicht die Rede sein.
2. Außer Frage steht das Widerstandsrecht der irakischen Bevölkerung gegen die
Besatzungsmächte und ihre unmittelbaren Unterstützer. Selbstverständlich ist der sofortige Abzug der Besatzungsmächte zu fordern
und deren Niederlage wünschenswert. Wünschenswert ist aber gleichermaßen die Schaffung von Voraussetzungen für einen
grundlegenden demokratischen Neuanfang im Irak. Es ist jedoch eine Fehleinschätzung anzunehmen, der Kampf gegen die Besatzung im Irak
würde alleine auf militärischer Ebene entschieden werden.
3. Islamistische Gruppierungen wie z.B. Muktada el Sadr und seine »Mahdi-
Armee« sind mit den Begrifflichkeiten Holbergs wie »konjunkturell antiimperialistisch« mit »plebejischer oder subproletarischer
Basis«, die es von der »Führung zu trennen« und zu gewinnen gilt, völlig unzutreffend gekennzeichnet. Es handelt sich vielmehr
um eine klerikal-faschistische Bewegung, die in unversöhnlichem Gegensatz zu allen emanzipatorischen Ansätzen steht. Der Klassengegensatz wird
geleugnet, die Menschheit in »Ungläubige« und »Gläubige« eingeteilt, wobei es gilt, die
»Ungläubigen« zu vernichten. Die Hauptfront des Kampfes der Islamisten im Irak ist nicht der Kampf gegen die Besatzungsmächte,
sondern der Kampf gegen die innenpolitischen Gegner und Andersgläubige sowie für die Einschränkung der Frauenrechte. Gruppierungen
der genannten Art sind in jedem Stadium der politischen Entwicklung von der Linken als Gegner zu bekämpfen. Eine Unterstützung,
Zusammenarbeit oder auch nur Tolerierung ist völlig indiskutabel. Wer gegenüber diesen Bewegungen keine klare Abgrenzung vornimmt und
lediglich auf die Auseinandersetzung mit der Besatzungsmacht abhebt, wird letztlich unter dem Deckmantel eines nur noch inhaltslosen Antiimperialismus zum
Wegbereiter rechtsextremer Bewegungen.
Beim anderen wesentlichen Teil des aktuellen bewaffneten Widerstands, den Baathisten,
handelt es sich um Anhänger und Unterstützer der Diktatur Saddam Husseins, der Zehntausende Linke, Kurden (Halabja!) sowie Demokraten zum
Opfer gefallen sind. Die US-amerikanischen Besatzer haben nicht nur nahtlos an die Praktiken der Diktatur angeknüpft wie man z.B. an den Folterungen
im berüchtigten Gefängnis von Abu Ghraib sieht, sondern versuchen heute letztlich zur Stabilisierung ihrer eigenen Position ehemalige Offiziere der
irakischen Armee und Mitglieder der Baath-Partei in die Irakisierung der Besatzung einzubinden. Die Baathisten heute zu einem positiven Bezugspunkt der
Linken im Kampf gegen den US-Imperialismus zu erklären, bedeutet Kampf mit Vertretern der alten Diktatur gegen die Diktatur der Besatzung,
verknüpft mit einer Stärkung der Kräfte zur Neuauflage der Diktatur…
4. Der »bewaffnete Kampf« als solcher ist kein Wert an sich, sagt auch noch
nichts über die politische Qualität einer Auseinandersetzung aus. Auch rechtfertigt selbst ein berechtigtes Ziel für Linke nicht den Einsatz
aller Mittel. Die eingesetzten Kampfmittel müssen vielmehr mit dem angestrebten Ziel in Übereinstimmung stehen. Wenn dieses Ziel in einer
sozialistischen Gesellschaft gesehen wird, die ein Mehr an Demokratie und Menschlichkeit mit sich bringen soll, darf z.B. die Einhaltung der Menschenrechte
nicht zur Disposition gestellt werden. Folter, Misshandlung von Gefangenen, Kollektivbestrafungen, Terroraktionen etc. sind deshalb tabu. Auch in der
Anwendung der Mittel haben sich Linke vom politischen Gegner abzugrenzen. Auch der Terror der Besatzer, deren Folterregime in den Gefängnissen etc.
rechtfertigt nicht den Rückgriff auf die gleichen Mittel.
Zumindest Teile des derzeitigen »bewaffneten Widerstands« im Irak haben bereits
aufgrund der eigenen Handlungsweisen jegliche Legitimität verloren. Die Ermordung von Gefangenen durch selbsternannte
»Widerstandskämpfer« ist keine Widerstandstat sondern ein Verbrechen. In seiner frauenverachtenden Logik hat Muktada el Sadr dazu
aufgerufen, gefangen genommene weibliche GIs zu vergewaltigen und als »Sklavinnen« zu benutzen. Die Frauen im Irak haben diesen Aufruf zu
Recht auch als Kampfansage an sie selbst verstanden.
Ein nicht unerheblicher Teil der bewaffneten Aktionen, die heute im Irak stattfinden, sind als
terroristische Aktionen zu verurteilen und abzulehnen. Terroraktionen, die lediglich dazu dienen, Angst und Schrecken zu verbreiten und wahllos Unschuldige
und Zivilisten treffen, sind von Seiten der Linken eindeutig und ohne wenn und aber als konterrevolutionär abzulehnen. Diese Aktionen richten sich direkt
gegen die Ansätze der fortschrittlichen Kräfte, die Bevölkerung für ihre Interessen zu mobilisieren und diese zu ermuntern an
öffentlichen Protestaktionen teilzunehmen. Gerade Massenansammlungen sind beliebte Anschlagsziele.
Viele Linke haben Angst, sich mit einer klaren Abgrenzung vom Terrorismus in die
Nähe des politischen Gegners zu begeben, der den Widerstand gegen die imperialistische Politik generell als terroristisch diffamiert. Nicht eindeutig
inhaltlich Position zu beziehen, bedeutet aber letztlich dem politischen Gegner die Definitionsmacht der Begriffe Widerstand und Terrorismus zu
überlassen.
5. Die Problematik, die sich mit der Einschätzung »nationaler
Befreiungskampf« bereits aus dem Verhältnis von »nationale Frage« und dem eingeforderten »Selbstbestimmungsrecht«
der kurdischen Bevölkerung ergibt, wird von A.Holberg nicht einmal erwähnt. Unabhängig von der Einschätzung der Politik von PUK
und KDP ist festzustellen, dass sich die überwiegende Mehrheit der kurdischen Bevölkerung des Irak aktuell nicht als Teil des von A.Holberg
festgestellten »nationalen bewaffneten Befreiungskampfes« sieht. Im Gegenteil, die Hauptakteure des »bewaffneten Kampfes« werden
wegen ihrer Vergangenheit und Zukunftsvorstellungen als Gegner der kurdischen Sache betrachtet. Zu beachten ist außerdem, dass die bewaffneten
Einheiten von PUK und KDP die mit Abstand stärksten irakischen Milizen sind. Wer den Anspruch formuliert aus »linker Sicht« zur Lage im
Irak Stellung zu nehmen, ist auch an der Haltung zu »Kurdistan« zu messen.
6. Für die Linke im Irak ist es derzeit nicht möglich eine zweiseitige bewaffnete
Auseinandersetzung gegen die Besatzer und gegen die reaktionären Kräfte im Irak zu führen. Dabei geht es nicht darum, die Notwendigkeit
auch bewaffneten Widerstands grundsätzlich in Frage zu stellen oder wie von A.Holberg unterstellt, dem Aufbau von Selbstverwaltungsstrukturen und
Massenorganisationen entgegenzustellen. Aktuelle Schwerpunktsetzung der Linken im Irak ist der Aufbau einer zivilen Gegenmacht zum Besatzungsregime und
Orientierung auf Kampfmittel der Arbeiterbewegung wie Massendemonstrationen, Streiks, Besetzungen, die auch bewaffnete Formen annehmen können
bis hin zum »Volksaufstand« als Ausdruck des Versuchs, den Widerstand gegen die Besatzung als Massenbewegung zu organisieren und
gleichzeitig die Basis für die Durchsetzung wirklich demokratischer Strukturen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu verbreitern.
Zur Bedeutungslosigkeit verdammt sind die Linken im Irak nicht dann, wenn sie heute eine
eigenständige Politik in Abgrenzung von den Hauptakteuren des »bewaffneten Kampfes« entwickeln, wie Holberg meint, sondern wenn sie
durch ihre Unterstützung, Baathisten und Islamisten zu alter/neuer Stärke verhelfen würden.
Brigitte Kiechle
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