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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2004, Seite 20

Raul Zelik: Bastard — die Geschichte der Journalistin Lee, Berlin: Assoziation A, 2004. 237 S., 15 Euro

Jenseits von Lateinamerika

»Trotz Versammlungs- und Streikverbot haben sie sich in dem verbotenen freien Gewerkschaftsverband Korea Democracy Labour Movement organisiert, kämpfen sie für das Recht auf Vollversammlung in der Fabrik und für die Verwirklichung der fundamentalsten Menschenrechte und treffen sich, um die weiteren Schritte ihres Kampfes zu bestimmen«, machte 1987 die Rote Zora in einer Erklärung zu einem Anschlag gegen den Textilkonzern Adler auf miserable Arbeitsbedingungen wie auf Kampferfahrungen in Südkorea aufmerksam. Inhaltlich war dies aber nicht Ausdruck einer breiteren Beschäftigung der hiesigen Linken mit dem asiatischen Tigerstaat. Über das Allgemeingut hinaus, dass es auf dortigen Demos nicht immer zimperlich zugeht, ist die Auseinandersetzung mit Südkorea — und den koreanischen Migrantinnen und Migranten— eher dürftig. Ein sehr lesenswertes Interview mit einem Vertreter der Gewerkschaft für illegale Migranten in Südkorea im letzten Express (4/2004) bildet eine der löblichen Ausnahmen. Umso erfreulicher, dass Raul Zelik seinen neuesten Roman größtenteils in Korea spielen lässt. Das mag überraschen, war von ihm doch in den letzten Jahren v.a. über Lateinamerika zu lesen. Erinnert sei nur an die politisch-literarische Reportage made in venezuela sowie den Roman La Negra.
Die Protagonistin in bastard ist Lee, Tochter einer Portugiesin und eines Koreaners, die mit ihren Eltern in dem irgendwie verhassten Deutschland lebt. Auf der Suche nach ihren Wurzeln reist sie nach Südkorea, wo sie schon bald merkt, dass sie dort noch weniger zu Hause ist. Dennoch versucht sie sich als Journalistin und recherchiert in einem Fall, wo bei einem Kaufhauseinsturz 1997 rund 500 Menschen ums Leben kamen. Gewinner: Eine mit dem Staat verfilzte Versicherungsfirma. Natürlich besteht der Filz auch nach dem Übergang von der (Entwicklungs-)Diktatur zur glückseligen Demokratie weiter — der Subtext »Kapitalismus geht über Leichen« ist unübersehbar —, und so ist Lee immer drauf und dran, sich an dem Fall die Finger zu verbrennen. Die Repression lauert überall.
Thematisch geht es nicht zuletzt um die (Un-)Möglichkeit von unabhängigem, investigativem Journalismus im Rahmen bürgerlicher Medien. Lee ist unmittelbar konfrontiert mit dem Anpassungsdruck von Mainstreammedien — mögen sie noch so linksliberal-alternativ daherkommen — und sieht ihre Illusionen in dieselben nach und nach demontiert. Ein weiteres Thema ist Fremdheit bzw. Fremdsein, das sich auf körperlicher Ebene durch Essstörungen ausdrückt: Lee leidet an dem Massenphänomen Bulimie.
Dabei wartet Zelik nicht mit einfachen Erklärungsmustern auf — klar wird aber, dass es für Lee letztlich auch die Verhältnisse sind, die einen kotzen lassen. Dazu passt auch der sprichwörtlich ernüchternde Ton des Romans, immer auch eine Spur rotzig, flapsig, sarkastisch. Ein Ton, der sich durch die verschiedenen Erzählperspektiven und -formen zieht und den mentalen Zustand der Charaktere widerspiegelt.
In der ersten Person ist Lee greifbar, sie agiert, lotet etwa »die Grenzen zwischen Unterwerfung und Aufbegehren, Selbsttäuschung und Hellsichtigkeit« aus. In der dritten Person dagegen tritt sie nahezu subjektlos als Figur, Charakter, Person auf, womit das Thema der Fremdheit und Entfremdung unterstrichen wird: »Völlig mutlos läuft die Figur durch eine Stadt, die ihr fremd ist und immer fremder wird, um mit jemand Vertrautem zu sprechen … Der Blick der Figur oder völlig mutlosen Person — sie hat gekotzt, sie hat den ganzen Vormittag nichts als gefressen und gekotzt — gilt dem Telefon und dem Pieper.«
Neben Lee kommen noch andere Akteure zu Wort, etwa Cem, der »Sauerlandkanake«, der an Iserlohn Beats, eine frühere Kurzgeschichte Zeliks, erinnert. Durch ihn wie durch Lees Eltern gelingt die Rückkopplung der Geschichte nach Deutschland. Im Gegensatz zum koreanischen Terrain ist dies die Spielwiese, die dem Autor vertraut ist, auf der er entlarvend mit Klischees jongliert. Moralisierungen liegen ihm fern, alle kriegen ihr Fett weg, so auch der »Gutmenschen-Rassismus«, und mit ihm Lees Mutter, eine der »blökenden Ausländermuttis«. Besser kommt ihr Vater bzw. dessen Geschichte weg — er hatte sich in Südkorea einst als linker Gewerkschafter einen Namen gemacht.
Der collagenhafte Roman ist in zehn Kapitel und zahlreiche Unterkapitel unterteilt, in denen die verschiedenen Stränge facettenreich zusammenfließen. Dadurch erinnert die Struktur an den früheren Roman La Negra, wobei die Erzähltechniken teilweise noch weiter entwickelt sind. Bei der Vielschichtigkeit des Romans wird jeder seine Lieblingskapitel finden, so auch die Filmfans, die durch eingeflochtene Sequenzen auf ihre Kosten kommen — auch dies eine Parallele zu La Negra.
Insgesamt kann Zelik auch in bastard inhaltlich wie literarisch überzeugen — auch deshalb, weil er wie gewohnt auf den besserwisserisch-aufklärerischen Gestus und den erhobenen Zeigefinger verzichtet. Vorhalten mag man dem Roman, dass seine Stimmung vergleichsweise pessimistisch ist. Doch wie soll dies auch anders sein, wenn die Charaktere am kapitalistischen Alltag Deutschlands und Koreas gespiegelt werden, ohne eine Gegenperspektive zu haben und wo sie sich mit Verhältnissen herumschlagen, die nicht nur sie zum Kotzen finden. So wird Bulimie immerhin zum Ausdruck einer individuellen Form der Verweigerung. Die Radikalität liegt dabei nicht in der Veränderung selbst, sondern in der Negation als Voraussetzung von Veränderung. »Am Anfang war der Schrei«, ließe sich mit John Holloway sagen.

Mario Tal

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