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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2004, Seite 10

Exit mit Schadenersatz?

Cross Border Leasing: eine Zwischenbilanz

In Europa ist der Eindruck entstanden, in den USA sei Cross Border Leasing nun »verboten«, das Problem sei »erledigt«. Das ist jedoch nicht der Fall. Zudem bleibt das Instrumentarium der globalen Steuerflucht erhalten, und die Branche arbeitet an Nachfolgeprodukten.

Bereits im Oktober 2003 hat der US-Senat in seinem fast einstimmig verabschiedeten Gesetzesvorschlag JOBS (»Jumpstart Our Business Strength«) missbräuchliche Steuerumgehungen wie Cross Border Leasing für nicht mehr zulässig erklärt. Im Mai 2004 hat das Repräsentantenhaus mehrheitlich einen ähnlichen Gesetzesvorschlag — »American Jobs Creation Act of 2004« — abgestimmt.
Beide Vorschläge unterscheiden sich jedoch in manchen Punkten, etwa ob die Steuervorteile schon ab 2003 oder erst ab 2005 nicht mehr gewährt werden sollen, und ob für inneramerikanische fiktive Leasingverträge eine Ausnahme gemacht werden soll. Dann könnten »Investoren«, die z.B. die U-Bahn von Washington gekauft haben und an die Stadt zurückvermieten, im Unterschied zu Leasing mit Wiener und Kölner Straßenbahnen doch bis zum Ende der Verträge ihren Steuervorteil erhalten. Wegen dieser Unterschiede muss ein Vermittlungsverfahren in Gang kommen, das möglicherweise bis in den Herbst 2004 reicht. Erst mit der Unterschrift des Präsidenten unter einen gemeinsamen Vorschlag beider Häuser gäbe es eine neue Gesetzeslage.
Eindeutig ist jedoch schon jetzt, dass zukünftig keine neuen fiktiven Leasing- Verträge zwischen US-Investoren und amerikanischen wie ausländischen Städten mehr abgeschlossen werden. Seit Ende 2003 stagniert das Geschäft vollständig. Damit ist aber keineswegs klar, wie die Abwicklung der etwa 600 in Deutschland, Europa und Australien bestehenden Verträge vonstatten gehen wird. In beiden Gesetzesvorschlägen steht dazu nichts Genaues. Da rangeln die Lobbyisten hinter den Kulissen und werden das auch noch nach einem neuen Gesetz tun.
Klar ist jedenfalls, dass bei den geschlossenen Verträgen die Steuergewinne der »Investoren« ab sofort oder demnächst nicht mehr fließen bzw. erheblich verringert werden. Da entsteht ein Dilemma: Die Laufzeiten der Verträge betragen noch mindestens 24 Jahre. Solange wären die angelegten Geldbeträge zwischen 100 Millionen und 1,6 Milliarden Dollar je Vertrag noch festgelegt, ohne Gewinn zu bringen. Da könnten die »Investoren« eine Lösung suchen nach der Formel »Exit und Schadenersatz«. Sie könnten sehr viel genauer als bisher nach einem der zahlreichen Kündigungsgründe seitens der Städte suchen und Schadenersatz fordern. Beispielsweise wenn die Städte ihrer Berichtspflicht (umfassender jährlicher Bericht in englischer Sprache über den Zustand und die Auslastung der verleasten Kanalisation, Schienennetze, Straßenbahnen, Messehallen…) nicht so genau nachgekommen sind.
Die Änderungen in den USA gehen keineswegs auf die Einsicht zurück, das fiktive Leasing sei an sich schlecht oder illegal. Natürlich widerspricht das fiktive Leasing nach dem Muster des Cross Border Leasing den Prinzipien, die in den USA und in allen demokratischen Rechtsstaaten gelten, jedenfalls auf dem Papier: Ein Geschäft, das überwiegend oder sogar ausschließlich zu dem Zweck abgeschlossen wird, Steuern zu sparen, ist ein steuerliches Scheingeschäft und darf nicht zu Steuervorteilen führen.
Das ist bei Cross Border Leasing besonders eindeutig, da es sich nicht einmal dem Anspruch nach um eine Realinvestition handelt: Die verleasten Kanäle, Schienennetze, Straßenbahnen, Messehallen usw. sind ja schon vollständig vorhanden und finanziert. Die Gewinne fließen hier ausschließlich aus dem Steuervorteil.
Dennoch haben die US-Behörden den illegalen Steuervorteil letztlich geduldet und gefördert. Die Gesetzesvorschläge vermeiden eine klare rechtliche Bewertung. Sie gehen auf einen internationalen Machtpoker zurück. Die EU hatte bereits 1999 vor dem Schiedsgericht der WTO gegen die unfaire Steuerpraxis der USA geklagt, die den Export amerikanischer Waren durch gesetzlich zulässige Briefkastenfirmen in der Karibik subventionieren. Alle Autos von Ford, jede Software von Microsoft werden bisher über solche Briefkastenfirmen exportiert, sodass auf die Gewinne keine Steuern gezahlt werden müssen.
Auch bei Cross Border Leasing sind inner- und außeramerikanische Briefkästen eingeschaltet. Die WTO gab der EU Recht und forderte die US-Regierung auf, die Praxis abzustellen. Präsident Bush hielt sich nicht daran, sodass die WTO in einem erneuten Urteil der EU erlaubte, ab März 2004 Strafzölle auf US-Exporte zu erheben, und zwar jeden Monat 1% mehr, solange die US-Praxis fortdauert. Diese Sprache versteht der US-Gesetzgeber nun offensichtlich.
Gleichzeitig aber wollen die beiden Gesetzesvorschläge mit dem Stop für Cross Border Leasing und ähnliche Steuerumgehungskonstrukte der privilegierten Klientel der Konzerne und Großbanken nicht weh tun. Deshalb enthalten beide Vorschläge erhebliche Steuersenkungen von jährlich etwa 30 Milliarden Dollar, um die Verluste aus den nun gestoppten Umgehungsmodellen zu kompensieren.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass die global agierende Branche der Wirtschaftskanzleien, Wirtschaftsprüfer, Arrangeure und Banken keineswegs unter Gewissenbissen leidet und längst an Nachfolge- und Ersatzkonstrukten arbeitet. »Cross-Border-Leasing-Gestaltungen in anderen Jurisdiktionen — Japan, Schweden, England usw. — werden an Bedeutung gewinnen«, verkünden die Berater von Due Finance, einer Tochterfirma der Sächsischen Landesbank.
Innerdeutsches fiktives Leasing ist schon seit einem Jahrzehnt möglich, etwa wenn Stiftungen von deutschen Unternehmen kommunale und staatliche Immobilien kaufen und zurückvermieten. Auch hier erhalten die Stiftungen einen Steuervorteil, von dem sie wie bei Cross Border Leasing einen kleinen Teil (»Barwertvorteil«) an den Vertragspartner abgeben. So kaufte 1997 die Stiftung Moena, die Aldi Süd gehört, die Müllverbrennungsanlage der Stadt Aachen und vermietet sie für 30 Jahre zurück. Über solche innerdeutschen Modelle wird bisher öffentlich nicht diskutiert.
Die US-Gesetzgebung, wie immer sie genau aussehen wird, greift auf keinen Fall in das Instrumentarium ein, das Cross Border Leasing möglich machte: Weder wird die inneramerikanische Finanzoase Delaware geschlossen, wo die für jedes Cross Border Leasing gegründete »Zwischengesellschaft« ihren Sitz hat, noch wird den in Karibikinseln wie Cayman Islands, Bermudas und Barbados ausgelagerten Finanzoasen ein Riegel vorgeschoben. Der Staat, nicht nur in den USA, begünstigt nach wie vor »Finanzinvestitionen« — etwa die seit 2004 auch in Deutschland zugelassenen Hedgefonds — vor Realinvestitionen.
Auch wenn das Kapitel Cross Border Leasing allmählich geschlossen werden kann, die Strukturprinzipien bleiben bestehen und die Nachfolge- und Ersatzprodukte blühen.
Übrigens: Die Berater, die jahrelang zu Cross Border Leasing geraten haben, mit dem Versprechen, dass sei »alles legal«, bieten den von ihnen beratenen Städten nun »Risikoanalysen« an. So einfach scheint das Abwickeln illegaler Verträge nicht zu sein.

Werner Rügemer

Werner Rügemer ist Publizist und Verfasser von Colonia Corrupta. Globalisierung, Privatisierung und Korruption im Schatten des Kölner Klüngels.



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