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Die »Irakische Kommunistische Partei« (IKP) stimmte im Juli 2003 dem Eintritt in den vom US-Statthalter Paul
Bremer nominierten »Regierungsrat« zu. Im Verlauf der letzten zwölf Monate hat die IKP den Kurs dieses Organs mitgetragen und dabei
seine sämtlichen Akte akzeptiert:
Die Bildung einer Exekutive im September 2003.
Das »Abkommen über die politischen Maßnahmen«, das im
November mit Bremer geschlossen wurde und eine Konstituierende Versammlung vorsah, die sich aus von oben ernannten prominenten Persönlichkeiten
zusammensetzt.
Die Verabschiedung des »Gesetzes über die Verwaltung des irakischen
Staates während der Übergangsperiode« im März 2004 (eine Art Verfassungsentwurf), das nach den gewaltigen Demonstrationen im
Januar gegen das »Abkommen« vom November die vier Monate zuvor getroffenen Beschlüsse kippte, eine gewählte Konstituierende
Versammlung vorsieht und einen Rahmen liefert, in dem sich der verfassunggebende Prozess vollziehen soll.
Die politische Rückendeckung für die Streitkräfte der Koalition bei
ihrer militärischen Offensive gegen Falluja und gegen die Miliz von Al Sadr seit April.
Die Bildung der Regierung Allawi im Mai.
Die Akzeptanz der Auflösung seiner bewaffneten Miliz und ihre Eingliederung in
die irakischen Streitkräfte im Juni.
Im selben Monat die stillschweigende Aufgabe des drei Monate zuvor angenommenen
»Gesetzes über die Verwaltung des irakischen Staates während der Übergangsperiode« dank der Resolution 1546 des UN-
Sicherheitsrats, die die Entscheidung bekräftigt, zu einer gewählten Konstituierenden Versammlung zu kommen, aber ohne den Rahmen
demokratischer Garantien, der im März noch vorgesehen war.
In jeder Situation hat die IKP die Beschlüsse des »Regierungsrats« als die
angesichts der im Irak bestehenden »komplizierten Lage« bestmöglichen Entscheidungen verteidigt, ebenso sowohl das
Kräfteverhältnis im Innern des »Regierungsrats« als auch die »provisorische Autorität der Koalition« (d.h. Bremer,
das wahre Machtzentrum im Irak). Die Fakten strafen diese Position Lügen, wie das Kippen der Entscheidungen vom November, dank der vom
schiitischen Klerus angeführten Demonstrationen für die Demokratie, gezeigt haben.
Die IKP vertrat in diesem Zeitraum die Perspektive eines »friedlichen und relativ raschen Übergangs von der vorausgegangenen Periode der
Diktatur zu einem föderalen und demokratischen Irak, wo das Gesetz und die Respektierung der Menschenrechte die vorherrschenden Normen
sind«. Dazu »appelliert sie an das ganze Volk, damit es seine patriotische und soziale Einheit festigt und seine brüderliche Zusammenarbeit
intensiviert«.
Die IKP betrachtet sich als Teil der Gesamtheit der »demokratischen und patriotischen
Kräfte«, denen sie zwei Aufgaben zuweist: »1. Die Beendigung der Besatzung und die Sicherung einer raschen Übergabe der Macht an
die Iraker in der Weise, dass die nationale Souveränität gesichert wird; 2. das Ausmerzen der Hinterlassenschaften und der Einflüsse des
früheren diktatorischen Regimes und der Aufbau eines demokratischen Regimes.« Die auszumerzenden Einflüsse des früheren
diktatorischen Regimes (»um das Wiederentstehen einer neuen Diktatur zu verhindern«) sind »politischer, psychologischer und
ideologischer« Natur.
Die IKP behauptet, dass »der Regierungsrat nur ein Mittel unter anderen in unserem
Kampf für die Verwirklichung der Souveränität und nationalen Unabhängigkeit und für die Schaffung der Grundlagen der
Demokratie ist«: Die IKP »muss als wiedervereinende und einende patriotische Kraft, die stets die höheren Interessen des Landes verteidigt,
in ihrer Politik und ihrer Tätigkeit das Bewusstsein des Volkes und die nationale Einheit verkörpern. Die Partei wird dann zu einer wahren Kraft, die
die gesamte patriotische Bewegung mitreißt, und zum Stützpfeiler der breitesten demokratischen Bewegung, um für die Beendigung der
Fremdbesatzung und für die Wiedererrichtung der nationalen Souveränität und Unabhängigkeit zu kämpfen, wobei sie die
Unterdrückung in all ihren Formen zurückweist und die Grundlagen eines modernen demokratischen irakischen Staates festigt, der auf
Bürgerrechten und sozialer Gerechtigkeit beruht.«
In Bezug auf die militärische Lage im Irak und die Aktionen des
»Widerstands« ist die IKP von einer vorsichtigen, auch die getroffenen Ziele und die lokalen Dynamiken in Betracht ziehenden Position, die sie bis
Oktober 2003 vertrat, zu einer ausnahmslosen Verurteilung der bewaffneten Aktionen überggegangen. Im Dezember 2003 behauptete sie sogar, dass die
fehlende Sicherheit im Lande vor allem einer nicht genügend »wirksamen und entschlossenen« Unterdrückung des Widerstands seitens
der Streitkräfte der Koalition geschuldet sei und dass die militärischen Aktionen die unbefristete Präsenz der Koalitionstruppen rechtfertigten.
Im April 2004 protestierte die IKP angesicht der militärischen Offensive der Koalition
gegen Falluja und die Miliz von Al Sadr, wobei sie mit dem Ziel der Militäroffensive einverstanden war, lediglich gegen die
»unverhältnismäßigen Mittel«, die die Koalition im Kampf gegen die »Terroristen« anwandte (aber ohne ihre
Beteiligung am Regierungsrat auszusetzen, wie es andere irakische Kräfte aus Protest taten).
In Bezug auf den Prozess des Übergangs zu einer irakischen Regierung behauptet die
IKP, dass es »sich um einen komplexen Prozess handelt, der nur erfolgreich vonstatten gehen kann, wenn eine ganze Reihe präventiver
Bedingungen erfüllt werden. Eine der wichtigsten Bedingungen ist die Sicherstellung der materiellen und humanen Ressourcen zum Schutz der neuen
Macht. Dies bedeutet die Schaffung einer Armee, von Polizeikräften sowie anderer Organe, um die terroristischen Elemente, die Reste des früheren
Regimes und alle dem demokratischen Wandel feindlich gesonnenen Kräfte zu schwächen.«
In einem am 20.April 2004 der linken britischen Zeitung Morning Star gewährten
Interview bringt das Mitglied des ZK der IKP, Salam Ali, die ganze Spannung, der seine Partei auf internationaler Ebene unterliegt, zum Ausdruck: »Das
irakische Volk benötigt keine Belehrungen über die Führung seiner Angelegenheiten. Bei seiner großen Erfahrung weiß das Volk
sehr wohl, wer seine Feinde sind. Manche linken Kommentatoren … machen den Eindruck, als wollten sie uns Lehren erteilen und uns sagen, was zu tun
sei. Diese Dinge bringen uns keinen Nutzen. Nur demokratische Regime, die den Willen des Volkes repräsentieren, können sich gegen den
Imperialismus erheben. Saddam hat sich als Papiertiger erwiesen … Wir brauchen Unterstützung, keine Belehrungen.«
Die »Arbeiterkommunistische Partei Irak« (API) hat sich dagegen stets gegen den
»Regierungsrat« gewandt (»es ist jetzt schlimmer als mit Saddam statt einen Saddam Hussein haben wir jetzt 25 Saddam Hussein mit
einem islamisch-politischen Programm, das noch restriktiver ist«). Sie hat sich auch von den Debatten und den Mobilisierungen um den Übergang zu
einer irakischen Macht stets ferngehalten und lehnt jegliche Charakterisierung als »national und patriotisch« ab. Für die API gibt es keinerlei
»Recht auf Selbstbestimmung« außerhalb des sozialen Inhalts dieser Selbstbestimmung.
Aus diesem Grund wendet sie sich gegen den »Widerstand«, den sie mit
baathistischen Resten und dem politischen sunnitischen wie schiitischen Islam in Verbindung bringt und tritt für die Schaffung eines
»dritten Lagers« zwischen den imperialistischen Kräften und dem »islamischen Faschismus« (für sie ein Konflikt
zwischen »zwei reaktionären Kräften«) ein (für ein drittes Lager »der Werktätigen und der
Humanität«): »Der Kampf der Arbeiter und der Werktätigen gegen die Besatzungtruppen ist nicht zu trennen vom Kampf gegen die
reaktionären Kräfte und ihre mittelalterliche, albtraumhafte Vision der Gesellschaft.«
»Die internationale Linke will, dass wir gegenüber den Kräften und
Gruppen kapitulieren, die nicht nur die Kommunisten, sondern jede nichtreligiöse Person und alle Liebhaber der Freiheit, die sich den Islamisten
entgegenstellen, massakrieren und vernichten wollen … Wenige in der Welt sind so dumm wie die traditionelle Linke, die in einem Konflikt wie diesem
einen Terroristen gegen den anderen unterstützt. Dies ist die verborgene Wahrheit einer Antikriegsbewegung, die kleiner wird und ein immer geringeres
Gewicht auf den Lauf der Ereignisse ausübt.«
Die API hat sich daher auf soziale Mobilisierungen konzentriert, mit der Organisierung von
Strukturen von Frauen und Arbeitslosen, und im Dezember 2003 eine von ihr kontrollierte Gewerkschaft gegründet, die ein Gegengewicht zu der von der
IKP kontrollierten und vom Regierungsrat als einzige Repräsentanz der Arbeitenden anerkannten Gewerkschaft bilden soll.
Außerhalb von IKP und API gibt es noch eine kleine Anzahl von Gruppierungen, die
sich als »kommunistisch« bezeichnen. Einige, die aus einer Reihe von »patriotischen« Abspaltungen von der IKP seit Mitte der 80er
Jahre entstanden sind, sind von arabischen und irakischen nationalistischen Formationen nicht zu unterscheiden.
In den 90er Jahren wurde die Irakische Kommunistische Partei (Zentralkommando)
eine Linksabspaltung der IKP vom Ende der 60er Jahre, die durch Repression und Verrat in den 70er Jahren zerstört worden war wiederaufgebaut.
Diese Gruppierung hat ihre Basis in London und verwendet denselben »patriotischen« Jargon wie die IKP, wendet ihn aber (anders als die IKP)
gegen den Regierungsrat. Weitere kleine Linksabspaltungen von der IKP aus dem vergangenen Jahr sind wohl hauptsächlich unter den Studenten und
Intellektuellen aktiv.
Die IKP, die glaubt, »Partei des Kampfes und der Regierung« sein zu können (einer Phantomregierung im Übrigen, ohne irgendeine
Macht, und eine Partei, die keinerlei Kampf führt, aus Furcht vor der »komplexen« Situation und ihres Gleichgewichts), ist, einer eisernen
Logik folgend, stets mehr in die Rolle des »linken« Deckmantels der angloamerikanischen Kräfte abgeglitten. Sie bewahrt eine
»patriotische« Rhetorik, die aber zunehmend kontrastiert mit ihrer tatsächlichen Rolle der totalen Unterordnung unter das wahre
Machtzentrum im Irak bislang Bremer und mittlerweile John Negroponte.
Der Verrat, den die IKP in diesem Jahr an den irakischen Werktätigen und
Unterdrückten verübt hat, wird ein noch größeres Gewicht haben als ihre vorausgegangenen politischen Irrtümer: zunächst
die totale Unterordnung unter die Führung Qassems ab 1958, dann die totale Unterordnung unter Saddam Hussein in den 70er Jahren. Damals wurde die
selbstmörderische Orientierung aufgrund der Verbindungen der IKP mit Moskau und unter dem Druck des Kreml angenommen, denn sie entsprach den
Interessen der sowjetischen Politik in der Region. Diese Orientierungen wurden auf schmerzhafte Weise vollzogen, mit Spaltungen und Polemiken, die sich
über Jahre hinzogen.
Der heutigen Orientierung liegt eine interne Dynamik sozialdemokratischen Typs zugrunde
(wie bei vielen anderen Ex-KPs): Es ist eine Partei, deren einziger Horizont der Aufbau eines »modernen demokratischen Staates« ist, zur Sicherung
eines kapitalistischen Marktes, kontrollierter Privatisierungen und ausländischer Investitionen, und worin die IKP die spezifische Rolle der Sprecherin der
Werktätigen anstrebt (als ein sozialer Bereich unter anderen), vorausgesetzt deren Forderungen bleiben bereichsspezifisch, stören das bestehende
Gleichgewicht nicht und durchkreuzen nicht die strategische Perspektive der Partei.
Die angloamerikanische Besatzung und die Auflösung der Armee und der
Sicherheitsapparate hat den alten bürgerlichen irakischen Staat zerstört. In einer weitgehend anarchischen Lage sind die Besatzungstruppen die
einzige effektive Machtstruktur, ohne Wurzeln in der irakischen Gesellschaft. Die baathistische bürokratische Kaste ist zerfallen, ihr oberster Führer
gefangen. Die irakische Bourgeoisie, die noch vor einem Jahr vom alten baathistischen Staat vollkommen abhängig war, scheint heute in völliger
Auflösung. Die politischen Bestandteile der alten Emigration, die heute im Regierungsrat sitzen, haben nur eine beschränkte Basis in der
Bevölkerung und sind kaum repräsentativ. Wenn sich eine politische Kraft das Ziel des Wiederaufbaus eines bürgerlichen irakischen Staates
setzt, kann sie dies nicht erreichen, wenn sie sich nicht mit den Besatzungstruppen verbündet. Eine andere mögliche Basis gibt es nicht. Dies ist die
Logik des Weges, den die IKP im letzten Jahr zurückgelegt hat.
Die API stellt sich nicht in diese Optik. Ihr strategisches Ziel ist nicht der Wiederaufbau eines bürgerlichen Staates im Irak. Ihr politischer
Indifferentismus gegenüber dem politischen Ausgang der irakischen Krise führt sie jedoch an den Rand des politischen Lebens, ohne Einfluss
»auf den Gang der Ereignisse«. Die um die Jahreswende vom schiitischen Klerus um Sistani geführte große demokratische Schlacht
gegen das Abkommen vom November hat zu den größten Demonstrationen im Irak seit Jahrzehnten geführt. Der politische Islam hat ein
demokratisches Bedürfnis der Massen aufgegriffen, was keine andere Kraft getan hat. Die IKP stand als Mitunterzeichnerin des Abkommens auf der
anderen Seite, die API war einfach abwesend.
Indem die API die große angloamerikanische Militäroffensive von April und Mai
2004 als ein Zusammenstoß zwischen »zwei reaktionären Kräften« charakterisierte, verlor sie aus dem Blick, dass mehr auf dem
Spiel stand als die Legitimation von Al Sadr oder der in Falluja operierenden bewaffneten sunnitischen Gruppen. Es ging vielmehr um den möglichen
Wiedereintritt der irakischen Massen in den Kampf gegen die Besatzungstruppen, jenseits der aktuellen Führung des »Widerstands« und
perspektivisch gegen diese: Dies zeigt die Tatsache, dass gerade Al Sadr, nachdem er zum Generalstreik aufgerufen hatte (dem die API sich widersetzte), nach
der ersten Woche der Mobilisierungen den Rückzug antrat, aus Furcht die Kontrolle über die Situation zu verlieren.
Unterdessen fand der Streik statt, auf spontane Weise und zumindest in Bagdad
verallgemeinert, und während er alle öffentlichen Strukturen lahmlegte, führte er zu Wellen der Desertion in den Reihen der irakischen
Polizei. Von da an (es war der 9.April) hat Al Sadr nicht mehr zu Massenmobilisierungen aufgerufen, sondern hat gegen die Besatzer allein seine Miliz
mobilisiert (die er angesichts des Ungleichgewichts der Kräfte in ein Massaker führt).
Ilario Salucci
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