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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2004, Seite 17

Norwegen

Die Linke und die Wahlen 2005

Die politische Lage in Norwegen ist vom Rückgang der Gefolgschaft für die Sozialdemokratie geprägt: Bei den Kommunalwahlen von 2003 ging ihre Stimmenzahl von etwa 35% auf 25% zurück. Die Ursache dafür liegt im Übergang von einer sozialdemokratischen zu einer sozialliberalen Politik. Gleichzeitig ist auch die gemäßigte regierende Christliche Volkspartei von 12% auf 6—7% zurückgegangen. Die Unterstützung für den Krieg der USA im Irak kam sie teuer zu stehen. Wähler gewinnen konnten auf der Linken die Sozialistische Linkspartei (SV) und auf der Rechten die populistische Fortschrittspartei (FrP).
Die SV erzielte bei den Kommunalwahlen ihr bislang bestes Resultat: landesweit 13%, mit guten Ergebnissen in den großen Städten: 22% in Tromsø, 20% in Oslo, 18% in Trondheim. Die rechte FrP konnte ihren Anteil auf 16% steigern.
Die sozialdemokratische Arbeiterpartei (AP) hat eingesehen, dass sie zur Regierungsbildung bei den Wahlen zum nationalen Parlament, dem Storting, im Jahr 2005 die SV benötigt. Andererseits will die traditionelle konservative Partei, Høyre (»Rechte«), nicht erneut mit den Parteien der Mitte die Regierung bilden. Somit kann die FrP, die wegen ihres kaum verheimlichten Rassismus bislang als Regierungspartei nicht in Frage kam, zum ersten Mal in die Regierung kommen.
Eine Regierung aus Høyre und FrP würde eine Offensive der Bourgeoisie gegen die Reste des norwegischen Sozialstaats eröffnen. Für die Linke würde eine solche Regierung eine Niederlage mit schwerwiegenden und langfristigen Folgen bedeuten. Daher haben Sozialdemokraten, Linkssozialisten und revolutionäre Marxisten ein gemeinsames Interesse daran, dass eine Alternative zu Høyre und FrP aufgebaut wird.
Zwischen führenden Kreisen der AP, der SV und der Zentrumspartei, einer Partei der Kleinbauern, finden bereits Gespräche statt. Aber auch an der Basis und unter den Wählern gibt es ein klares Bewusstsein darüber, dass eine solche Allianz erforderlich ist. Damit bleibt die zentrale Frage, was für eine Politik eine solche Regierung durchführen soll.
Die Linke ist in zwei Parteien organisiert: in der SV und in der RV (Rote Wahlallianz). Die RV hat ihre Wurzeln in der starken norwegischen ML-Bewegung, nach dem Massaker auf dem Tienanmen-Platz vollzog sie jedoch einen teilweisen Bruch mit dem Stalinismus und Maoismus.
Ihre Hoch-Zeit hatte sie zwischen 1993 und 1997. Die RV hatte einen Abgeordneten im Storting und 70 Abgeordnete in den Provinz- und Kommunalparlamenten. 1997 und 2001 gelang es ihr nicht mehr, in das Storting einzuziehen, sie scheiterte an der 4%-Klausel. Hatte sie 1997 noch 43000 Stimmen, erhielt sie 2003 32000 Stimmen (1,5%), soviel wie bei den Kommunalwahlen 1991 und 1995.

Die Chancen nutzen

Bei den Kommunalwahlen 1999 konnte die RV die Zahl ihrer Abgeordneten auf 90 erhöhen. Das war zu dem Zeitpunkt, als die Führung der SV die NATO-Bomben auf Kosovo befürwortete. Dagegen gab es in der SV starken Widerstand. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten bildete sich eine lockere Tendenz, das sog. »SV-Netzwerk«, zur Bekämpfung der Rechtsentwicklung. Sosialistisk Ungdom (SU), die Jugendorganisation der SV, die bis Ende der 90er Jahre ziemlich weit rechts stand, machte nun einen Linksschwenk.
In der SV ist das Verhältnis zur AP und die Möglichkeiten, mit ihr an die Regierung zu kommen, stets umstritten gewesen. Hier gibt es einen rechten Flügel, der nur Einfluss darauf haben will, wie der Kapitalismus verwaltet wird. Die meisten Mitglieder der Partei haben keine klare Auffassung, wie eine Regierungszusammenarbeit mit der AP aussehen soll. Die SV-Linke ist kein politisch einheitlicher Flügel. Sie ist skeptisch gegenüber einer Regierungszusammenarbeit mit der AP, weil das die Rechtentwicklung in der SV stärken würde. Sie will vermeiden, dass die SV dasselbe Schicksal erleidet wie die französische KP oder die deutschen Grünen.
Die Herausforderung für diese Linke besteht darin, dass die einfachen Leute in der Gewerkschafts- oder Umweltbewegung eine Alternative zu Høyre und der FrP wollen. Die SV wird die entscheidende Rolle spielen, wenn es um das Koalitionsprogramm geht. Die RV könnte die SV nach links drücken. Sie könnte in Oslo und in Bergen, wo sie über 3—4% der Wähler verfügt, gemeinsame Listen auf einem korrekten politischen Programm vorschlagen.
Doch die RV hat die ganzen 90er Jahre hindurch nur sehr vorsichtig Kritik an der SV geübt. Vorschläge seitens trotzkistischer Gruppen in der RV, die SV dadurch herauszufordern, dass man auf einer gemeinsamen Liste kandidiert, wurden mit überwältigender Mehrheit abgelehnt. Die Ursache für dieses eingefleischte Sektierertum liegt darin, dass die RV immer noch nicht vollständig mit Stalinismus und Maoismus gebrochen hat.
Dadurch ist die Partei sehr anfällig für Kritik seitens der SV. Äußerer Druck könnte sie vor eine Spaltung stellen. Ihre Passivität gegenüber der SV ist außerordentlich bedauerlich. Denn obwohl sie klein ist, könnte die RV eine wichtige Stütze für die Linke in der SV sein.
Die Tatsache, dass die antikapitalistischen Kräfte in Norwegen sowohl in der RV als auch in der SV organisiert sind, ist ein großes Hindernis dafür, dass sie die aktuellen politischen Möglichkeiten nutzen können. Denn Norwegen bietet gute Voraussetzungen für eine alternative Politik.
Nach wie vor gibt es starke sozialdemokratische Traditionen, ein hohes Ausbildungsniveau und nicht zuletzt einen großen Haushaltsüberschuss durch die Öleinkünfte. Umfassende ökonomische Reformen sind möglich, ohne in eine direkte ökonomische Konfrontation mit der Bourgeoisie zu kommen. Ein großer Vorteil ist auch, dass Norwegen nicht Mitglied der EU ist.
Eine Linksallianz könnte die sozialstaatliche Ordnung, die zu Hoch-Zeiten der Sozialdemokratie etabliert wurde, bewahren. Sie könnte umfassende Musterreformen mit einem Sechsstundentag im frauendominierten Gesundheitssektor, Lohnangleichungen, einer ökologischen Umrüstung von Landwirtschaft und Fischerei und zahlreichen Umwelmaßnahmen einführen.
Ein Jahr vor der nächsten Wahl ist die Lage jedoch offen. Der rechte Flügel in der AP hat die Hoffnung, eine Zusammenarbeit mit der SV zu vermeiden, nicht aufgegeben. Der rechte Flügel der SV verhandelt im Geheimen mit Teilen der AP. In der RV hat der stalinistische Flügel, jeden Versuch, die SV zu beeinflussen, abgelehnt, der nichtstalinistische Flügel hat es nicht geschafft, Initiativen zu ergreifen. Die RV hat sich selbst ins Abseits gestellt.
Nur die SU und die Linke in der SV können verhindern, dass die SV dasselbe Schicksal erleidet wie die deutschen Grünen. Aber diese Linke ist sehr heterogen, sie hat schwache organisatorische Traditionen und nicht zuletzt scheut sie den Vorwurf des Fraktionismus. Welchen Weg die SV wählt, wird der Parteikongress im März 2005 entscheiden.

Anders Ekeland

Anders Ekeland ist Mitglied von Forbundet Internasjonalen i Norge (FIN), der Organisation in Sympathie mit der IV.Internationale. In FIN wird die Frage, ob man in der SV oder in der RV arbeiten soll, unterschiedlich beantwortet. Einige FIN-Mitglieder, darunter auch der Autor, sind nach über zehnjähriger Arbeit innerhalb der RV in die SV eingetreten.



(Übersetzung: Hans-Günter Mull.)



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