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Das war eine schwere Geburt. Seit 2002 gibt es in Deutschland einen Initiativkreis, der die deutsche Beteiligung am
Weltsozialforum koordiniert; 2003 ist die Beteiligung am Europäischen Sozialforum hinzugekommen. Während die bundesweite Initiative den
Sozialforumsgedanken publik gemacht und Organisationen und Initiativen gewonnen hat, sich aktiv in den Prozess auf internationaler Ebene einzubringen, haben
sich parallel lokale und regionale Sozialforen gebildet. Inzwischen sind es über 40 Foren, die oft ein sehr unterschiedliches Verständnis von ihrer
Arbeit haben.
Auf Bundesebene gibt es bis jetzt nichts. Dabei ruft die gesellschaftliche und politische
Entwicklung in diesem Land immer lauter danach, sich nicht nur an einzelnen Angriffen wie den Hartz-Gesetzen oder der kalten Wiedereinführung der 40-
Stunden-Woche abzuarbeiten, sondern die ganze Bandbreite der kapitalistischen Offensive ins Blickfeld zu nehmen und eine globale Gegenstrategie zu
entwickeln, die eingebettet ist in die weltweite globalisierungskritische Bewegung. Die Bündnisse gegen Sozialraub, die sich im letzten Jahr entwickelt
haben, nehmen ja nur Teilbereiche aufs Korn, der soziale Widerstand ist nach wie vor zersplittert.
Ein Sozialforum in Deutschland, auf Bundesebene, kann dem Abhilfe schaffen. Es kann die
unterschiedlichsten Bereiche, die von den neoliberalen Angriffen betroffen sind, an einen Tisch bringen, sie miteinander ins Gespräch bringen. Es kann
zudem, wenn es erfolgreich ist, auch in Deutschland so etwas wie eine Versammlung der sozialen Bewegungen schaffen, die von allen (oder fast allen)
aktionsorientierten Gruppen und Organisationen als Referenzpunkt für die Verabredung gemeinsamer Aktionen anerkannt wird. Gegenüber dem
jetzigen Zustand, wo selbst die Kraft, die am 3.April eine halbe Million Menschen auf die Straße gebracht hat, wieder zerläuft, wäre das ein
großer Fortschritt.
Doch bis dahin ist noch ein weiter Weg. Zwar bezeichnete sich die bundesweite Initiative von Anfang an als eine »für ein Sozialforum in
Deutschland«. Doch eineinhalb Jahre hindurch waren sich die Aktiven unschlüssig, ob die Idee hier zünden würde. Das war die Zeit,
die die zweite Schröder-Regierung brauchte, um die Mitglieder in SPD und Gewerkschaften in Scharen gegen sich auf zu bringen und ein riesiges Loch zu
reißen.
Diese Lücke will gefüllt werden, und das Aufpflanzen einer neuen Wahlpartei
wird dafür zu wenig sein. Neue Formen der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an gesellschaftlichen Debatten und politischen
Entscheidungen müssen entwickelt und eingeklagt werden. »Immer weniger Menschen fühlen sich in ihren Anliegen vertreten. Wir
müssen uns daher selbst auf den Weg machen«, heißt es jetzt im Aufruf für Erfurt 2005.
Die Demonstration am 1.11., das ESF in Paris und schließlich die Perspektive auf eine
bundesweite Großmobilisierung am 3.April brachten eine neue Aufbruchstimmung. So fasste ein der Initiativkreis im Februar schließlich den
Beschluss: Wir wollen ein Sozialforum auch in Deutschland. Die Struktur des Initiativkreises war dafür jedoch nur bedingt geeignet, weil er traditionell
mit der Vorbereitung des ESF beschäftigt war so auch diesmal für den Herbst in London.
So kam es immer wieder zu Terminüberschneidungen, die den Kreis zerrissen in
diejenigen, die ESF, und diejenigen, die SFiD »machen«. Während es auf dieser Ebene zu Disfunktionalitäten kam, gewann die Idee
bei anderen an Unterstützung: Bsirske erklärte öffentlich, Verdi werde ein solches Forum unterstützen; Attac, Medico, Greenpeace,
selbst die IG Metall wollen dabei sein. Der Trägerkreis des Perspektivkongresses im Mai bekundete ein solches Interesse einhellig.
Namhafte Vertreter dieser Organisationen ließen sich auf dem Vorbereitungstreffen im
Juli dennoch nicht sehen; man will wohl abwarten, was sich da entwickelt.
Entscheidenden Schwung erhielt die Initiative von anderer Seite: Das frisch konstituierte
Thüringer Sozialforum hat sich die Idee zu eigen gemacht und die Einladung ausgesprochen, ein solches Sozialforum im Juli nächsten Jahres in
Erfurt stattfinden zu lassen. Nun gibt es einen Ort, und vor Ort auch mit Gewerkschaften eine solide Struktur.
Auf dem Vorbereitungstreffen in Frankfurt gelang es, die in den vergangenen Wochen aufgetretenen Unstimmigkeiten zu überwinden und fast
einstimmig eine gemeinsame Struktur zu finden, wie das Sozialforum vorbereitet werden kann. Das Sozialforum in Deutschland (SFiD) versteht sich als Teil des
Weltsozialforums und arbeitet auf der Grundlage der Charta von Porto Alegre. Ein Aufruf wurde verabschiedet; die Webseite wird neu gestaltet und erhält
den Namen: www.sozialforum2005.de. Eine AG Erweiterung kümmert sich darum, dass die bestehenden örtlichen und regionalen Sozialforen
eingebunden werden und überhaupt ein möglichst breiter Kreis an Interessierten gewonnen wird, mit in die Vorbereitung einzusteigen.
Drei Vorbereitungskonferenzen sollen organisiert werden, die erste davon am
11./12.September in Erfurt; sie dienen zugleich der Mobilisierung. Die Arbeitsstruktur soll über das Internet soweit wie möglich transparent gemacht
werden und zur Mitarbeit einladen. Eine Finanzgruppe legt im September einen Kostenplan vor und betreibt ein professionelles Fundraising. Es wird ein
gemeinsames Logo und Werbematerialien geben. Die Septemberkonferenz wird die wichtige Aufgabe haben, die Grobstruktur des Programmablaufs festzulegen.
Jetzt hängt alles daran, dass möglichst viele für diese Idee Feuer fangen.
Das geschieht in dem Maße, wie sie erkennen, dass sie sich aktiv einbringen können.
Die Versammlung im Juli war etwas hin- und her gerissen: Die erfahrenen Sozialforumsaktiven
sind sich der Dynamik, die ein solcher Prozess auslöst, sicher zumal in der jetzigen Situation, wo sich gesellschaftliche Kämpfe zuspitzen
und politische Alternativen vermehrt gefragt sind. Sie können sich eine Teilnehmerzahl um die 10000 im nächsten Jahr vorstellen. Die meisten
anderen halten eine solche Erwartung noch für abwegig. Aber haben wir nicht auch die Beteiligung am 1.11. und am 3.April bis kurz davor für
»abwegig« gehalten?
Angela Klein
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