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Die Proteste zeigen Wirkung. Schröder und Clement (beide Regierung & SPD) wettern wütend gegen
»Populisten«, »Volksfront«-Anhänger und jene, die sich die alte revolutionäre Tradition der Montagsdemonstrationen
vermeintlich zu eigen machen. Ursula Engelen-Kefer und Michael Sommer (beide DGB & SPD) sprechen sogar als erste von
»Rattenfängern«, die sie nicht bei den Herrschenden und Regierenden, sondern bei den Beherrschten und Demonstrierenden ausmachten. Die
versammelte Journaille übernimmt diese Stichworte mit steigender Beliebtheit.
Gleichzeitig distanzieren sich aufgeregt CDU-Ostpolitiker von Hartz IV und CDU-
Westpolitiker von ihren Ost-Kollegen. Die Unternehmerverbände wiederum beschimpfen die Union und versuchen, die Reihen der herrschenden Klasse
hinter der Bundesregierung zu schließen. Die Regierung sagt, sie gibt nicht nach (»Basta!«), und versucht stattdessen, immer wieder ein neues
Zückerchen hinzuwerfen, um den Protesten die Spitze abzubrechen und vor den Landtags- und Kommunalwahlen im September zu retten, was noch geht.
Zuletzt mit der Diskussion um die mögliche Einführung eines Mindestlohns. Wie wichtig wäre ein solcher, wüsste man nicht, dass
Clement einen Satz von 4 Euro pro Stunde im Auge hat.
Nein, heute darf man keine gesetzliche Regelung mehr fordern oder sich auf eine solche
einlassen, die nicht klar beziffert ist. Regelungen, die unabhängig von der Erwerbstätigkeit ein »Einkommen zum Auskommen«
sichern, sind wichtig in einer Zeit, in der die Produktivität der Warenproduktion in Landwirtschaft und Industrie so hoch ist, dass Vollbeschäftigung
bei Beibehaltung des 8-Stunden-Tags einen Güterberg schaffen würde, der nicht mehr absetzbar wäre.
Mögliche Regelungen und die Diskussion um sie müssen beziffert werden und den
Anspruch ausdrücken, dass jeder Mensch in unserer Gesellschaft das Recht auf einen Anteil am gesellschaftlichen Reichtum hat, der ihm ein Leben als
voll integriertes Mitglied der Gesellschaft ermöglicht. Dieses Anrecht ist durchaus ein Klassenkriterium, denn dieser Reichtum wird ausschließlich
von der erwerbsabhängigen Bevölkerung geschaffen. Auf diesem grundlegenden Verständnis muss die Diskussion um Mindestlohn aufbauen,
der nur dann als gesetzlicher unakzeptabel wäre, wenn er zu niedrig ist.
Was aber ist zu niedrig? Die Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit,
ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung haben für ein Mindesteinkommen für nicht Beschäftigte, das nicht unterschritten
werden darf, in Anlehnung an Berechnungen des Rentnerverbands im Europäischen Gewerkschaftsbund, die Marge von 50% des Bruttoinlandsprodukts
pro Kopf angelegt. Das entspräche in Deutschland 1000 Euro im Monat und den Berechnungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialhilfeinitiativen
über den heute tatsächlichen Bedarf einer Sozialhilfebeziehenden. Die Bundesarbeitsgemeinschaft kommt auf der Basis eines (fiktiven) aktuellen
Warenkorbs zu heutigen Preisen auf 750 Euro plus Warmmiete.
Und der Mindestlohn? Die Europäische Sozialcharta sagt, er muss bei zwei Dritteln des
durchschnittlichen Bruttomonatslohns Erwerbstätiger liegen. Das wären bei uns 1850 Euro. Die Gewerkschaft Nahrung, Gaststätten und
Genuss fordert 1500 Euro brutto, die IG BAU hat 2003 für unqualifizierte Arbeiter einen Mindeststundenlohn von 12,47 Euro tarifvertraglich vereinbart.
Ist ein solcher Mindestlohn Traumtänzerei? Mitnichten. Gerade verteilt der DGB
Thüringen ein Flugblatt, in dem er die »Einführung eines garantierten Mindesteinkommens bei Beschäftigten in Höhe von 1500
Euro, bei nicht Beschäftigten von 1000 Euro« fordert. Dies, verbunden mit der Einführung der 30-Stunden-Woche europaweit, einer
»hohen Steuer auf hohe Einkommen und Vermögen« und dem Ausbau des öffentlichen Dienstes könnte eine Forderung sein, die
uns eint: Erwerbslose wie Erwerbstätige, Alte wie Junge, Migranten und Deutsche. Und sie hätte eine Chance, europaweite Geltung und
Anhängerschaft zu bekommen.
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