SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2004, Seite 5

Leo Gabriel über einen neuen politischen Ansatz in Österreich

Die Zivilgesellschaft als Akteurin einbringen

Die LINKE Opposition für ein solidarisches Europa hat in Österreich bei den EU-Wahlen 0,8% erhalten. Dennoch stellt sie den Versuch dar, beim Aufbau einer politischen Alternative neue Wege zu gehen. Für die SoZ sprach Angela Klein mit dem Spitzenkandidaten, LEO GABRIEL.

Wie bewertest du euer Stimmenergebnis?

Die 0,8% haben mich natürlich anfänglich enttäuscht. Analysiert man sie genauer, stellt man fest: In größeren Städten — Wien, Graz, Salzburg — haben wir 2—3% bekommen, mehr haben wir nicht erwartet. Was das Wahlergebnis sehr gedrückt hat, war die Tatsache, dass es 500 Landgemeinden gab, in denen wir keine Stimmen geholt haben. Das einzige Printmedium, das diese Gemeinden erreicht, ist die Kronenzeitung: sie hat 3 Millionen Leserinnen und Leser (von 8 Millionen Einwohnern in Österreich). Die Kronenzeitung aber hat den »Spesenritter« Hans-Peter Martin gepuscht. Sie hat so sehr nur für diesen einen Kandidaten Propaganda gemacht, dass es selbst der Haupteigentümerin, der WAZ, aufgefallen ist.

Wie kommt sie dazu?

Die Zeitung versteht es immer irgendwie, die österreichische Neidgenossenschaft beim Schopf zu packen… Früher hat sie Haider gepuscht, als er noch nicht an der Regierung war. Die Kronenzeitung steht mit an der Spitze einer populistischen EU-Kritik in Österreich.

In Italien, Frankreich, auch Spanien hat die Sozialdemokratie gegen die rechte Regierung jeweils massiv gewonnen. Warum in Österreich nicht?

Bei diesen Wahlen ist die FPÖ auf 5—6% abgestürzt, sie hat 11% verloren. In die freiwerdende Lücke ist aber Hans-Peter Martin gestoßen, der aus dem Stand 14% geholt hat — womit wir nicht gerechnet haben. Das heißt, die Stimmen, die die SPÖ früher an Haider verloren hat, holt sie nur sehr begrenzt wieder zurück. Haider hat früher einmal von sich gesagt, er sei der Nachfolger von Bruno Kreisky, weil er die ganzen Arbeiterbezirke für sich gewonnen hat. Die wären zurückgekommen, hätte es nicht die populistische Kampagne von Hans-Peter Martin gegeben: Die EU ist korrupt. Er hat mit seinem »Saubermann-Image« nach den rechten Wählern geschielt und damit Erfolg gehabt.

Wer hat euch gewählt?

Wir haben auf dem grünen Rand und bei den Intellektuellen gepunktet, die sozial engagiert sind und den Grünen vorwerfen, in der Friedenspolitik ihre Prinzipien aufgegeben zu haben. Wir haben die Leute aus der Friedensbewegung, aus Attac, aus vielen Bürgerinitiativen angesprochen. Das sind keine neuen Leute, sondern solche, die schon in zahlreichen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten engagiert sind. Aus dem Spektrum der KPÖ haben wir nur etwa 0,2% der Stimmen bekommen.
Wir hatten ursprünglich den Ehrgeiz, über das Sozialforum sowohl im grünen als auch im traditionellen sozialdemokratischen Spektrum zu fischen. Bei den Grünen hat das geklappt, weil die einen parteiinternen Konflikt über die EU-Verfassung hatten. Bei der SPÖ ist die Rechnung nicht so aufgegangen, weil die Gewerkschaften, die im letzten Jahr noch sehr mobilisiert haben, in diesem Jahr gegenüber der Parteiführung der SPÖ eine eher abwartende Haltung an den Tag gelegt haben. Das ändert sich gerade wieder. Die SPÖ hat unter Gewerkschaftern auch eine massive Kampagne geführt, bloß keine »verlorenen Stimmen« abzugeben…

Was waren die Hauptaussagen eurer Liste?

Wir haben uns auf drei von insgesamt zehn griffigen Punkte konzentriert, die wir im Wahlkampf angesprochen haben: Erstens das Grundeinkommen, quantifiziert nach dem Vorbild der Euromärsche mit 50% des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf. Das ist fantastisch angekommen, und wenn ich den Wahlkampf noch einmal führen müsste, würde ich ihn überhaupt nur mit diesem Punkt führen.

Die Leute haben nicht gesagt: Das ist aber doch zu viel?

Nein. Bei jeder dieser Wahlveranstaltungen hatte ich mir zur Gewohnheit gemacht zu fragen: »Bitte zeigen Sie auf, wer von Ihnen einen geregelten Arbeitsplatz hat.« Und immer habe ich mit einem Blick die Hände zählen können. Manchmal waren es nur sechs, manchmal fünfzehn… Je jünger das Publikum war, desto weniger Hände gingen nach oben. Dann habe ich gesagt: »Wir reden hier nicht mehr von der Bedrohung durch den Neoliberalismus. Der ist keine Zukunft mehr, der ist schon da.« Das war der Grund, weshalb das Grundeinkommen so gut angekommen ist.
Unser zweiter Punkt ist auch aus den Sozialforen entstanden und wird vor allem von der französischen Liga für Menschenrechte immer wieder vorgebracht: das ist die Idee der Wohnbürgerschaft für Migranten. Wohnbürgerschaft bedeutet, dass unabhängig von der Staatsbürgerschaft jeder Mensch die gleichen Rechte und Pflichten hat. Damit bin ich einmal in eine Moschee gegangen, da waren tausend Araber, die haben mich anschließend wie einen Patriarchen beglückwünscht; auch zu den Latinos, die kennen mich eh, die afrikanische Gemeinde — überall dort haben wir punkten können.

Sind die wahlberechtigt?

Eben nicht. — Das dritte Thema war die Idee der Neutralität, die in Österreich bei der Mehrheit der Bevölkerung verankert ist. Wir haben gefordert, dass die EU ein demilitarisiertes Gebiet wird und eine aktive Neutralitätspolitik betreibt. Da haben die Leute natürlich gefragt: »Wie stellen Sie sich das vor, wenn es einen Krieg gibt, wie kann man da aktiv neutral sein?« Das waren sehr spannende Diskussionen. Seit langem habe ich nicht mehr eine so interessierte und intelligente Auseinandersetzung erlebt. Aber diese Menschen repräsentieren natürlich nicht die Mehrheit.

Welche institutionellen Auflagen musstet ihr erfüllen, um zur Wahl anzutreten?

Wir haben die Wahl gehabt, uns als Partei zu konstituieren oder als Plattform. Ich habe mich persönlich sehr für das letztere stark gemacht, auch wenn dies bedeutet hat, dass wir keine Wahlkampfkostenerstattung bekommen haben. Wir mussten 2000 Stimmen für unsere Wahlzulassung sammeln. Mit der Plattform wollten wir die Zivilgesellschaft als politischen Akteur einbringen. Deshalb haben wir inhaltlich deren Anliegen aufgegriffen und einer breiteren Öffentlichkeit vorgetragen.

Wie stellt ihr euch vor, dass soziale Bewegungen unmittelbar politisch handeln können? Wie wollt ihr vermeiden, dass ihr wieder in den alten Dualismus verfallt: die sozialen Bewegungen zuständig für die Mobilisierungen auf der Straße oder im Betrieb, die Partei zuständig für die Sphäre der Macht?

Das ist jetzt leichter geworden. Im Wahlkampf haben wir Strukturen aufgebaut, das war vor allem das Verdienst der SOAL, also der IV.Internationale in Österreich, die nicht nur in Wien, sondern auch in Innsbruck und in Graz in der Lage war, Wahlkampfgruppen zu schaffen, die jetzt als Fundament für den Aufbau einer politischen Bewegung dienen können. Nach dem Wahlkampf stehen wir nicht mehr so stark unter dem Druck der Abgrenzung von den anderen Parteien. Jetzt können wir auch Leute aus anderen Parteien einladen, ohne dass sie ihr Parteimitgliedschaft aufgeben müssen. Wir sagen ihnen: Wenn ihre eure Position innerhalb eurer Partei stärken wollt, kommt zu diesem neuen Kristallisationspunkt.

Was wäre dessen Aufgabe?

Dass wir uns aktiv in die konjunkturellen Themen einbringen: die Gesundheitsreform, die im Herbst ansteht, Arbeitszeitverlängerung, Pensionsreform, der ganze Sozialabbau. Wir müssen friedenspolitische Konzepte weitertreiben und dazu Arbeitskreise schaffen. Wir wollen unser Programm in einem offenen Diskussionsprozess systematisch ausarbeiten und vertiefen und zu einer mindestens intellektuell stimmigen politischen Alternative zu allen anderen politischen Parteien werden. Wenn im Wahlkampf gefragt wurde: »Was ist denn der Unterschied zwischen euch und den anderen Parteien?«, habe ich immer gesagt: »Es ist vor allem die Struktur. Wir verstehen uns in erster Linie als Bewegung und nicht als Parlamentsfraktion. Wir haben das Beispiel der Grünen, die als Bewegung begonnen haben, in den Parlamentarismus gegangen sind und die Bewegung dadurch kaputt gemacht haben. Wir machen vielleicht andere Fehler, aber diesen Fehler zumindest wollen wir nicht machen.«

Wie war die Zusammenarbeit mit der KPÖ?

Die KPÖ war gespalten. Diejenigen, die im Sozialforumsprozess aktiv mitarbeiten, haben sich eingebracht. Die anderen haben die Wahlen boykottiert. Das hat zum Teil krude Formen angenommen, z.B. in Innsbruck, wo sie das Parteilokal versperrt haben, damit es von den Aktiven im Wahlkampf nicht genutzt werden konnte. In Graz hatte die KPÖ bei den letzten Gemeinderatswahlen über 20% geholt. Ich habe den dortigen Stadtrat Ernst Kaltenegger gebeten, öffentlich zu sagen, dass er die Kandidatur der Linken unterstützt, was ja Parteibeschluss war. Da hat er gesagt: Das will ich nicht machen, das kann ich nicht machen, dann würde man glauben, ich bin auf die Seite von Walter Baier (das ist der Generalsekretär) übergegangen…
Im Lauf des Wahlkampfs habe ich dann gemerkt, dass die KPÖ aufgrund des verlorenen Prozesses gegen die Treuhand in eine tiefe Depression verfallen ist, denn alle Leute, die irgendwo einen Anstellungsverhältnis bei der Partei gehabt haben, müssen sich jetzt nach einem neuen Arbeitsplatz umschauen. Das betrifft mehrere Dutzend Personen. Das ist ein erheblicher Umorientierungsprozess, der die Partei viel Kraft kostet. Aber es ist auch eine Frage des Stils. Die KPÖler sind nie auf die Straße gegangen und haben mit den Leuten gesprochen. Im Herbst soll es eine ernsthafte Diskussion mit denen geben, die den Wahlkampf boykottiert haben.X2

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang