SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2004, Seite 8

Wie Hartz IV kippen?

Friede den Hütten, Krieg den Palästen!

Die Montagsdemos, die von Mal zu Mal in mehr Städten und mit mehr Teilnehmenden stattfinden, werfen einen guten Teil der bisherigen Aktionsplanungen für den Herbst über den Haufen.
Diese Planungen waren nach der Großdemonstration am 3.April in Berlin, Köln und Stuttgart entstanden, die von den DGB-Gewerkschaften mit organisiert worden waren. Sie waren auf zahlreichen Treffen, darunter am Rande des Perspektivkongresses Mitte Mai in Berlin konkretisiert worden mit dem Ziel, nach diesem Kraftakt »kein Loch« entstehen zu lassen, sondern eine Perspektive für den Fortgang der Straßenproteste zu entwickeln. Daraus sind die Planungen für die Aktionskonferenz im Herbst entstanden, die am 18. und 19.September darüber entscheiden soll.
Wie wir in früheren Ausgaben berichtet haben, hatten sich die Organisatoren der Aktionskonferenz, namentlich die Initiative für eine Vernetzung der Gewerkschaftslinken, Attac, das Rhein-Main-Bündnis und die Friedens- und Zukunftswerkstatt darauf verständigt, am 17.November republikweit einen dezentralen Aktionstag durchzuführen. Bis dahin sollten zahlreiche Aktivitäten vor Ort stattfinden: Betriebs- und Personalversammlungen, Infoaktionen auf der Straße, Flugblattverteilaktionen zur Aufklärung über Hartz IV, öffentliche Informations- und Diskussionsveranstaltungen, Zeitungsanzeigen, Plakatwände, Aktionstrainings u.v.a.
Der 17.11. ist dieses Jahr Buß- und Bettag, der vor wenigen Jahren als Feiertag abgeschafft wurde und wieder angeeignet werden sollte.
Diese Planung fällt inzwischen hinter das Niveau zurück, das mit den Montagsdemonstrationen bereits erreicht ist. Im Mittelpunkt der Debatte müssen nunmehr Fragen stehen wie:
Wie können die Montagsdemonstrationen so weiterentwickelt werden, dass Hartz IV zurückgenommen wird?
Wie können wir im Herbst einen Schritt nach vorn kommen?
Um diese Fragen zu beantworten, mag es nützlich sein, sich anzuschauen, welche Aktions- und Mobilisierungsvorschläge bisher gemacht worden sind.

Peter Grottian

Grottians Vorschläge sind darauf gerichtet, in einem ersten Schritt (September) die ansprechbare Intelligenz zu verpflichten, dass sie an vorderster Front den Protest gegen Hartz öffentlich macht und damit die Betroffenen ermuntert sich zu beteiligen. Wissenschaftler sollen bis Anfang Oktober Alternativen zur Agenda 2010 vorstellen; Rechtsexeperten, Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen Ende September einen Aufruf zur begründeten Verweigerung des Hartz-IV-Fragebogens starten; Hochschullehrer in der 1.Oktoberwoche zum zivilgesellschaftlichen Ungehorsam gegen Hartz-IV-Gesetze aufrufen. Professoren und Studierende sollen einen eigenen Beitrag dazu leisten in Form eines einwöchigen Streiks.
In einem zweiten Schritt (Oktober) sollen der Reichtum und die Enteignung thematisiert werden: Die reichen Arbeitslosen fahren vor die Arbeitsämter und geben ihr Letztes für die Agenda 2010: »mit Bugattis und Rolls Royce, mit Rembrandts und Miros, mit teuren Schmuckstücken und Gucci-Mode, mit Vodafone-Aktien und Fondszertifikaten des Bankenskandals« — alles Gegenstände, die für ALG II anzurechnen sind. Am Vorabend des Tags der deutschen Einheit sollen sich Prominente auf einem zentralen öffentlichen Platz (in Berlin der Gendarmenmarkt) auf Aktionen des zivilen Ungehorsams festlegen.
Grottian denkt auch an Aktionen zivilen Ungehorsams von Menschen, die in den Institutionen beschäftigt sind.
Parallel dazu sollen die Betroffenen in ausgewählten Stadtbezirken angeschrieben und ihnen kleinere und größere Protest- und Widerstandsformen angeboten werden. Dabei soll die Rolle der Arbeitsämter problematisiert werden, bis hin zur Forderung ihrer Schließung. Die Reichen sollen anders als bisher mit dem Ausmaß der Armut konfrontiert werden: Lumpendemonstrationen anlässlich festlicher Ereignisse, demonstrative Aufruf zum Schwarzfahren, Betteldemonstrationen in wohlhabenden Stadtteilen.
Jugendzentren u.a. sinnvolle Arbeitsplätze sollen instandbesetzt werden, inkl. einer »fürsorglichen Belagerung« der für die Schließung politisch Verantwortlichen.
Grottian ruft zur Demonstration nach Nürnberg am 6.11. auf und zu einem Bürgerstreik gegen Hartz IV am 10.Dezember (da ein Generalstreik noch nicht machbar erscheint). Am nächsten Tag würde ein Hartz- Tribunal in Berlin folgen und schließlich die Vorlage eines radikalen Entschuldungsplans für die Gemeinde. (Siehe auch Gastkommentar, S.4.)

Generalstreik

Die »Sozialistische Alternative Voran« (SAV) trommelt seit längerem für diese Losung, was häufig für Unmut gesorgt hat, weil völlig unklar blieb, wie er realisiert werden soll. Der Druck, der auf den Montagsdemos entfaltet wird, verleiht dieser Forderung eine stärkere Resonanz. Zwar sind die Gewerkschaften weniger denn je geneigt, ihr stattzugeben. Schließlich hat DGB-Chef Sommer auf dem Gewerkschaftsrat der SPD schon im Juli klipp und klar gesagt, dass der DGB nicht mehr bundesweit gegen die Hartz-Gesetze mobilisieren wird. In einer Pressemitteilung vom 19.8. distanziert sich der DGB gar von der Forderung »Hartz IV muss weg« und besteht darauf, »die sozialen Zumutungen zu korrigieren«.
Der DGB hat auch willig den Ball der Nazis aufgegriffen, die immer wieder an einigen Orten versuchen, sich in die Montagsdemos zu mischen, und erklärt deshalb rundweg solche Veranstaltungen für »absolut inakzeptabel«, ohne den mindesten Beitrag dazu zu leisten, dass die Nazis den Demos fern bleiben.
Streiks scheinen also nach wie vor in großer Ferne. Aber die Aktionsform Montagsdemo erlaubt, jede von ihnen unter ein anderes Motto zu stellen. So hat man sich am 23.8. in Köln am Offenen Mikro darauf geeinigt, beim nächsten Mal dem DGB einen Besuch zu erstatten und ihn mit der Notwendigkeit betrieblicher Aktionen zu konfrontieren. Diese Aktion könnte flankiert werden von Besuchen in Betriebsratsbüros großer Konzerne. Man kann auf den DGB damit einen öffentlichen Druck ausüben.

»Agenturschluss«

Die Initiative »Agenturschluss«, die auf dem Labournet-Kongress Mitte Juni in Dortmund entstand, ruft dazu auf, am 3.Januar, den ersten Werktag des neuen Jahres, den Start von Hartz IV zu stoppen — »durch Besetzungen, Blockaden oder Versammlungen«. Die Aktion soll vorbereitet werden durch eine Aktionswoche vor den Arbeitsagenturen vom 2. bis 5.11. (im Rahmen der Planungen der Aktionskonferenz). Die Montagsdemo soll am 3.1. vor die Arbeitsagentur führen: »Wenn die Arbeitsagenturen zur Arbeitspolizei werden, stellen wir ihre Existenzberechtigung in Frage.«
Eine andere Initiative entstand aus dem Runden Tisch der Erwerbslosen, sie nennt sich »höhlenkampf« und fokussiert vor allem auf die drohenden Zwangsräumungen. Ziel ist, den Betroffenen in ihrer Furcht vor dem Verlust der Wohnung zu helfen: durch Plakataktionen, Medienöffentlichkeit, Predigten, Infobüros, Unterstützung und Hilfestellung durch Bündnispartner, Besetzungsaktionen, Mobilisierung der Stadtteile u.a. Die Initiative bietet eine Wanderausstellung über den Kampf der Arbeiter gegen Wohnungsraub in den 20er Jahren an.

Auf zum Kanzleramt!

Das zentrale Anliegen aller Aktionstreffen muss aber sein, noch in diesem Herbst erneut zu einer Großdemonstration zu mobilisieren. Die Dresdner Initiative »Aufbruch in eine friedliche und lebenswerte Gesellschaft« appellierte bereits am 18.Juli in einem Aufruf: »Eine in diesem Jahr im Herbst stattfindende Großdemonstration in Berlin scheint dringend angeraten. Lasst sie uns zeitgleich zur geplanten Protestkundgebung in Nürnberg in Berlin am 6.11. organisieren! Treffpunkt Brandenburger Tor mit anschließendem Marsch zum Kanzleramt.«

Angela Klein

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang