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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2004, Seite 10

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Schilys Lagerpläne für Nordafrika

Ende Juli füllte Bundesinnenminister Otto Schily das Sommerloch mit der Verkündung seiner Pläne zur Errichtung von »Auffangplätzen« für afrikanische Flüchtlinge in Nordafrika. Er griff damit eine Initiative des britischen Premierministers Tony Blair auf, die im Juni 2003 beim EU-Gipfel in Thessaloniki noch abgelehnt worden war. Flüchtlinge aus Afrika sollen gar nicht mehr in die EU hineingelassen werden.
Sie sollen sich in Libyen oder Marokko einer Überprüfung durch EU-Beamte unterziehen, die feststellen sollen, ob sie den Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention genießen oder nicht. Einen Antrag auf politisches Asyl nach Artikel 16 Grundgesetz könnten sie dann nicht mehr stellen, da das nur von deutschem Boden aus möglich ist. Auf den sollen sie aber gar nicht erst gelassen werden. Auch eine gerichtliche Überprüfung soll es für die Entscheidungen nicht mehr geben, da die Rechtsweggarantie von Artikel 19 Grundgesetz ebenfalls nur für Menschen gilt, die sich auf dem Boden der BRD befinden.
Dieses Konstrukt erinnert an die Regeln, die die US-Regierung für Guantánamo aufgestellt hat, wo ein unter der Hoheit der USA stehendes Gebiet juristisch für Aus- oder besser Niemandsland erklärt worden ist. Der Vorschlag Schilys geht sogar noch einen Schritt weiter, da derzeit kein Teil Nordafrikas unter deutscher Hoheit steht. Da Schily seinen Vorschlag aber gleich auf EU-Ebene gemacht hat, käme allenfalls die spanische Enklave Ceuta in Frage, von der aber bisher nicht die Rede war. Stattdessen kommt aus dem Bundesinnenministerium der Vorschlag, dass Italien oder Malta ja mit Libyen oder Spanien mit Marokko entsprechende Vereinbarungen aushandeln könnten.
Falls die genannten Staaten sich darauf einließen, würden sie damit Souveränitätsrechte an die EU abgeben. Ziemlich genau 100 Jahre nach dem Völkermord an den Herero scheint Deutschland unter dem Deckmantel der EU wieder nach Afrika zu greifen. Schily bekam für seinen Vorschlag Beifall vom bayerischen Innenminister Beckstein, von der CDU- Vorsitzenden Angela Merkel, vom rechtssozialdemokratischen Seeheimer Kreis — und von jenem Oskar Lafontaine, der von vielen immer noch als »linker Hoffnungsträger« gesehen wird.
Lafontaine hatte bereits im Gefolge des Frankfurter Vizepolizeipräsidenten Daschner und des Münchner Bundeswehrprofessors Wolffsohn (siehe SoZ 8/04) die sog. »Rettungsfolter« befürwortet. Jetzt betätigt er sich wieder als sicherheitspolitischer Hardliner und verbreitete diese Ansicht über seine Kolumne in Bild.
Anlass für Schilys Vorschlag war das Flüchtlingsdrama um die Cap Anamur im Juli. Unter dem Vorwand, doch nur humanitär zu handeln, wenn man den Flüchtlingen nicht mehr die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer zumutet, soll die Abwehr von Flüchtlingen noch weiter ins Vorfeld verlagert werden. An eine Erleichterung der Einreise in die EU als Konsequenz aus den Flüchtlingsdramen im Mittelmeer ist nicht gedacht.
Der bündnisgrüne Koalitionspartner will noch nicht zustimmen. Auch von SPD- Linken und sogar aus CDU und FDP kommen ablehnende oder zumindest skeptische Stimmen. Da ein ähnlicher Vorschlag aber bereits einmal Thema eines EU-Gipfels war, ist es nicht sicher, dass Schilys Initiative endgültig im Sommerloch verschwindet.

ab


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