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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2004, Seite 15

Währungskonkurrenz im atlantischen Kapitalismus

Kann die EU Hegemonialmacht werden?

Mit der amerikanischen Wirtschaft geht es bergauf. Während des konjunkturellen Abschwungs im Frühjahr 2001 hat die amerikanische Zentralbank drastische Zinssenkungen vorgenommen. Damit konnte sie Unternehmen und private Haushalte zu Kreditaufnahmen und hierdurch finanzierte Nachfrage ermutigen. Darüber hinaus hat die US-Regierung für zusätzliche Nachfrage durch Steuersenkungen und Ausgabenerhöhungen gesorgt. Das Ergebnis: Zunehmende Haushaltsdefizite und ein schneller Übergang zum nächsten Konjunkturaufschwung.
Ganz anders die Situation in der Euro-Zone: Nach drei Jahren annähernder Stagnation steht die konjunkturelle Erholung dort noch immer auf wackligen Beinen. Da die Stagnation zu unerwarteten Einnahmeausfällen in den Staatshaushalten geführt hat, konnten die Sparziele des Stabilitäts- und Wachstumspakts nicht erreicht werden. Seit immer mehr Länder die Defizitgrenzen des Paktes überschreiten, arbeiten der Europäische Rat und die Kommission an weniger strikten haushaltspolitischen Vorgaben.
In offiziellen Erklärungen hält die EU immer noch daran fest, innerhalb von zehn Jahren zur wettbewerbsfähigsten und am schnellsten wachsenden Region der Welt zu werden. Ein Ziel, das der EU-Gipfel in Lissabon im März 2000 verkündet hatte. Tatsächlich erinnert ein Vergleich der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa und Amerika eher an die 80er Jahre. Damals haben Mainstreampolitik und -medien einem »sklerotischen«, von überbordender Staatsintervention erdrückten Europa ein unter der Präsidentschaft Reagans revitalisiertes Amerika gegenübergestellt und letzteres zum wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Vorbild erklärt.
Was hat sich in den transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen seither geändert? Trotz kräftigen Wachstums in den USA haben sich auch dort die in den 1990er Jahren verbreiteten Hoffnungen auf eine »New Economy« verflüchtigt. Andererseits ist die Integration Europas über die Schaffung eines Binnenmarkts, die Aufnahme neuer Mitgliedsländer in die EU und die Einführung des Euro gegenüber den 80er Jahren enorm vorangeschritten.
Gerade von der Europäischen Währungsunion wurde vielfach eine Veränderung der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen erwartet. So haben Ökonomen mit unterschiedlichen theoretischen Orientierungen gemutmaßt, der Euro würde das Währungsmonopol des Dollar herausfordern. In der Folge könnten die USA ihre exzessive Schuldenpolitik nicht mehr verfolgen, weil Investitionen seltener in Dollar, sondern öfter in Euro getätigt würden.
Um Kapitalabflüsse aus den USA zu verhindern, würde die amerikanische Wirtschaftspolitik daher gezwungen, die europäischen Prinzipien knappen Geldes und ausgeglichener öffentlicher Haushalte zu übernehmen. Angesichts der massiven Kapitalzuflüsse, die zur Finanzierung des US-Aufschwungs beitragen, sowie ansteigender Haushaltsdefizite in vielen EU- Ländern erscheinen solche Überlegungen aus heutiger Sicht jedoch ebenso abwegig wie die Annahme, Europa würde die USA in punkto Wachstum einholen und überholen.

Euro — eine regionale Leitwährung

Vieles spricht gegenwärtig dafür, dass der Euro die Nachfolge der D-Mark als regionale Leitwährung angetreten, aber keineswegs das globale Währungsmonopol des Dollar aufgebrochen hat. So hat sich der Anteil des Euro an den weltweiten Devisenreserven gegenüber den früheren DM-Werten nur geringfügig erhöht und liegt gegenwärtig bei knapp 19%. Zum Vergleich: Fast zwei Drittel der Devisenreserven werden in Dollar gehalten.
Als Ankerwährung, an die Regierungen anderer Länder ihre Währung in einem festen Verhältnis ankoppeln, womit sie auch gezwungen sind, die Geldpolitik des Leitwährungslandes weitgehend mit zu vollziehen, wird der Euro im Wesentlichen von Nachbarländern genutzt. Die meisten der osteuropäischen Länder, die gerade der EU beigetreten sind oder dies in naher Zukunft tun werden, bereiten sich sogar auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Währungsunion vor. Dagegen ist die Wechselkursbindung ehemaliger französischer Kolonien an den Euro weltwirtschaftlich zu vernachlässigen.
Demgegenüber wird der Dollar in vielen Weltregionen als Ankerwährung genutzt. In Südamerika haben Währungskrisen in mehreren Ländern zur Diskussion über die Einführung des Dollar als offizielles Zahlungsmittel geführt, die ecuadorianische Regierung hat dies bereits getan. Im Mittleren Osten haben die Länder des Golf-Kooperationsrats nach dem Irakkrieg beschlossen, die Dollarbindung ihrer Währungen beizubehalten und den Ölhandel weiterhin in Dollar abzuwickeln.
Noch wichtiger als die weltweite Leitwährungsrolle des Dollar, die sich aus dessen Verwendung als Anker-, Reserve- und Handelswährung ergibt, dürfte allerdings seine Funktion als Anlagewährung sein. Dabei geht es nicht um die Verwendung des Dollar für ökonomische Aktivitäten außerhalb Amerikas, sondern um ausländisches Engagement in den USA.

Geldsog durch Aufrüstung

Seit gut zwei Jahrzehnten ziehen amerikanische Börsen anlagesuchendes Kapital aus allen Teilen der Welt an und ermöglichen so die Finanzierung zusätzlicher Nachfrage von Unternehmen sowie privaten und öffentlichen Haushalten. Ebenso spekulieren Ökonomen und Medien über die Grenzen der steigenden Auslandsverschuldung der USA, die schließlich zu Kapitalflucht, Dollar-Abwertung und Wirtschaftskrise führen würde.
Tatsächlich schwankte der Dollar-Kurs seit dem Übergang von festen zu flexiblen Wechselkursen in erheblichem Maße, von einer generellen Abwertungstendenz kann jedoch trotz immer weiter ansteigender Leistungsbilanzdefizite und Auslandsverschuldung keine Rede sein. Darüber hinaus hat die US-Ökonomie das Ende der Nachkriegsprosperität weitaus besser überstanden als die europäische Konkurrenz. Während dieses langen Aufschwungs waren die Wachstumsraten in Europa höher als in Amerika, seit dessen Ende in den 70er Jahren ist es umgekehrt. Zu diesem — relativen — Erfolg hat das dollarzentrierte Weltfinanzsystem seinen Teil beigetragen.
Das Bretton-Woods-System fester Wechselkurs, in dem alle anderen Währungen an den Dollar gebunden waren und dieser in einem festen Verhältnis zu Gold stand, galt während des Nachkriegsbooms als ein Symbol ökonomischer Überlegenheit der USA. Die Aufgabe dieses Systems 1973 wurde deshalb vielfach als Zeichen des Niedergangs gesehen. Vielleicht etwas zu voreilig: Mit riesigen Ausgabenprogrammen — bevorzugt für militärische Zwecke — kurbelte die Reagan-Administration zu Beginn der 80er Jahre nicht nur die amerikanische Wirtschaft, sondern — über entsprechende Importe — den gesamten kapitalistischen Weltmarkt an.
Überdurchschnittlich hohe Zinsen führten zugleich zu massiven Kapitalzuflüssen aus dem Ausland. Diese trugen einerseits zur Finanzierung des Rüstungskeynesianismus bei, andererseits versprachen sie rentable Felder der Kapitalanlage, die im Zuge der Wirtschaftskrisen der 70er Jahre rar geworden waren.
Mit dem nach Amerika fließenden Kapital erhöhte sich die Nachfrage nach dem Dollar, der auf diese Weise seine Rolle als weltweite Nummer 1 unter den Währungen behaupten konnte. Durch den Höhenflug des Dollar wurden die Waren aus anderen Ländern im Vergleich zu amerikanischen Waren billiger. Vor allem Europa wurde auf diese Weise der Weg zu einem exportorientierten Aufschwung eröffnet.

Geldsog durch Aktienkäufe

Auch die zu Beginn der 90er Jahre einsetzende Krise der Weltkonjunktur wurde zu einem erheblichen Teil durch staatliche Nachfrageimpulse aus den USA überwunden. Einen weiteren Teil trug eine paradox anmutende Mischung aus deregulierten Finanzmärkten und amerikanischer Geldpolitik bei.
Seit dem Ende des Nachkriegsbooms hat es stets einen Kapitalüberschuss gegeben, von dem keine rentable Investition in wertschöpfende Tätigkeit erwartet werden kann. Hiergegen sprachen die enormen Kapitalkosten in einigen Sektoren, die geringe Arbeitsproduktivität in anderen sowie ein weltweites Zurückbleiben der Nachfrageentwicklung gegenüber den Produktionskapazitäten.
In dieser Situation wurden Gewinne zunehmend in Finanzanlagen gesteckt. Auf diese Weise konnte einerseits Druck ausgeübt werden, Zins- und Dividendenansprüche durch eine Umverteilung zulasten der Löhne zu bedienen. Andererseits bestand die Hoffnung, der Boom auf den Finanzmärkten würde einer allgemeinen und anhaltenden Prosperität den Weg bereiten.
Ein drastischer Kurseinbruch an der Wall Street im Oktober 1987 trübte solche Zukunftsaussichten vorübergehend. Andererseits erfuhren Anleger zu jener Zeit auch, dass die amerikanische Zentralbank alles tun würde, um eine Abwärtsspirale aus sinkenden Börsenkursen, Zahlungsunfähigkeit von Firmen und privaten Haushalten und hierdurch ausgelöster Wirtschaftskrise zu vermeiden. Diese Erfahrung sollte während des New-Economy-Booms in den 90er Jahren eine wichtige Rolle spielen.
In dem Vertrauen, die Zentralbank würde Liquiditätsengpässe des privaten Sektors auch in Zukunft durch großzügige Kreditschöpfung vermeiden, wurden Wertpapiere immer öfter auf Pump gekauft. Anstelle des Staates wurde dieses deficit spending zunehmend von privaten Haushalten und Unternehmen betrieben. Die Rolle des Staates beschränkte sich beim Börsenkeynesianismus zunehmend auf die Garantie privater Zahlungsfähigkeit. Dauerhaftes Wachstum konnte auf diese Weise jedoch nicht hergestellt werden.
Im Gegensatz zu 1987, als der Börsenkrach kaum Einfluss auf die Konjunkturentwicklung hatte, kam es im Jahre 2001 gleichzeitig zum Ende der New-Economy-Spekulation und zu einem konjunkturellen Abschwung. Bei dessen Überwindung spielte der Rüstungskeynesianismus wieder eine größere Rolle als in den frühen 90er Jahren: die Friedensdividende nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war inzwischen durch den Krieg gegen den Terror verdrängt worden. Gleichzeitig verlagerte sich das Zusammenspiel von privater Schuldenaufnahme, hieraus finanzierter Nachfrage und staatlicher Liquiditätsgarantie von den Finanz- auf die Immobilienmärkte.

Die Rolle Asiens

Darüber hinaus haben die Zentralbanken Chinas und Japans in riesigen Mengen Dollars gekauft. Damit sollten Aufwertungen von Yuan bzw. Yen und hierdurch verursachte Exportrückgänge verhindert werden. Die zunehmenden Dollarreserven in den Tresoren asiatischer Zentralbanken stellen für die US-Ökonomie einen zinslosen Kredit zur Überwindung der Konjunkturkrise dar: Zusätzliche, von der amerikanischen Zentralbank in großer Menge in Umlauf gebrachte Dollars sind mit Warenlieferungen aus Asien direkt bezahlt worden.
Ob diese Dollars irgendwann in der Zukunft von asiatischen Zentralbankern zum Kauf von Waren »Made in America« genutzt werden können, ist höchst unsicher. So könnten diese im Ausland gehaltenen Dollarguthaben durch Inflation ihre Kaufkraft verlieren. US-Regierung und Zentralbank könnten im Falle einer weltweiten Finanzkrise eine gezielte Inflationierung ihrer Währung vornehmen und ihre Auslandsschulden mit eigens zu diesem Zweck gedruckten Dollar begleichen. Damit würde der Dollar zwar seine zentrale Rolle im Weltfinanzsystem verlieren, die USA hätten aber ihr Schuldenproblem gelöst und damit eine Voraussetzung für binnenorientiertes Wachstum geschaffen. In diesem Szenario zeigt sich die Fragilität einer Weltwirtschaft, die seit den 80er Jahren hauptsächlich durch zunehmende Auslandsverschuldung und Spekulationsblasen in den USA am Laufen gehalten wird.
Die nächste Krise ist damit vorprogrammiert und könnte einen Trend fortschreiben, der sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten herausgebildet hat: Zwar konnten die USA relativ zu anderen Ländern einen Wachstumsvorsprung erringen, aber den weltweiten Rückgang des Wachstums gegenüber dem Nachkriegsboom nicht verhindern. Die Konjunkturlokomotive Amerika hat eindeutig an Zugkraft verloren. Ob dies aber dazu führt, dass seine zentrale Rolle für die Weltwirtschaft — und damit verbunden auch das amerikanische Währungsmonopol — verloren geht, ist keineswegs ausgemacht.
Dagegen spricht, dass die weltwirtschaftliche Gefolgschaft von den Krisen stärker betroffen ist als die Führungsmacht selbst. Bereits die letzten beiden Rezessionen sind in den USA milder ausgefallen als in Europa und Asien. Sollte sich eines Tages erweisen, dass die USA ihre Auslandsschulden nicht zurückzahlen, wird dies für die Gläubiger in anderen Ländern problematischer sein als für amerikanische Schuldner. Die Gläubigernationen würden riesige Vermögensverluste erleiden, und auf der ganzen Welt würde sich kein Gerichtsvollzieher finden, die ausländischen Forderungen gegenüber Amerika einzutreiben. Die Gläubiger würden Kaufkraft und Kreditwürdigkeit verlieren, die Ökonomien in den betroffenen Ländern massiv geschwächt werden. Einem weltwirtschaftlichen Abstieg der USA würde deshalb nicht notwendigerweise der Aufstieg einer anderen Hegemonialmacht gegenüberstehen.
Ein solcher Führungswechsel würde darüber hinaus nur stattfinden, wenn es einem anderen Land oder eine Ländergruppe gelänge, ein Wachstumsmodell zu etablieren, dass erstens die Weltwirtschaft antreiben und zweitens von anderen Ländern nachgeahmt werden könnte. Ein solches Modell ist aber nirgends auf der Welt in Sicht, und aus diesem Grund dürften die USA ihre — wenn auch fragile — weltwirtschaftliche Sonderstellung beibehalten.
Die politische Klasse Europas, die insbesondere durch die Institutionen der EU zusammengehalten wird, kann ein Scheitern der Lissabon-Strategie und des darin enthaltenen globalen Führungsanspruchs verschmerzen. Schließlich ist sie als Juniorpartner der Amerikaner entstanden, nur unter deren Schutzschild konnte sie das Erbe der miteinander rivalisierenden nationalen Bourgeoisien Europas antreten.
Solange sich nicht eine eigenständige europäische Bourgeoisie vom atlantischen Kapitalismus abspaltet, wofür es kaum Anzeichen gibt, wird auch der Euro nicht über seine Rolle als regionale Währung hinauskommen. Daran könnte, so sieht es gegenwärtig aus, nur ein Zerfall in regionale Währungsräume ohne ein steuerndes Zentrum etwas ändern.

Ingo Schmidt

Ingo Schmidt ist Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Attac Deutschland.



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