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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2004, Seite 16

Wer hat Angst vor Michael Moore?

Das Premierenwochenende von Michael Moores neuem Dokumentarfilm Fahrenheit 9/11 Ende Juni bestätigte die Alpträume der Anhänger von Präsident Bush. Trotz größter Bemühungen der politischen Rechten, die Fahrenheit 9/11- Dampfwalze aus der Bahn zu werfen, wurde der Streifen an nur einem Wochenende der Dokumentarfilm mit den meisten Zuschauern in der Geschichte der USA.
Laut New York Times vom 28.Juni schlug er White Chicks und Dodgeball — Filme, die in fast dreimal so vielen Kinos laufen wie Fahrenheit. Doch auch die Rekordsumme, die der Film als Dokumentation eingespielt hat, hält keinen Vergleich stand mit dem Einfluss, den er bereits jetzt — rund vier Monate vor den Präsidentschaftswahlen — auf die politische Landschaft in den USA ausgeübt hat.
Eine Reihe von Berichten über Premieren des Films aus dem ganzen Land, die auf Michael Moores Webseite (www.michael-moore.com) gepostet wurden, gibt einen Eindruck. »E.G.« aus Montgomery (Alabama) schreibt: »Der Kinosaal war voll, und der Film erhielt am Ende fünf Minuten lang stehenden Applaus. Was für eine phänomenale Leistung — Michael Moore ist ein Genie, der vielleicht dieses Land vor sich selbst retten wird.« »S.W.« aus Dallas (Texas) berichtete: »Ich habe gute Nachrichten aus Nord-Texas … Am Ende des Films leistete das gesamte Publikum fast fünf Minuten lang stehend Beifall. Auch während des Films kam es zweimal zu spontanem Beifall.« Der große Erfolg des Films ist ein Schlag ins Gesicht für jene, die versucht haben, seine Aufführung zu verhindern. Die Liste der von Moore in Schrecken Versetzten liest sich wie ein Who‘s who? des rechten Establishments.
Die »vorbeugende« Anti-Moore-Kampagne begann bei Disney, das den Verleih des Films durch seine Tochter Miramax verhinderte. Moores Agent Ari Emanuel äußerte gegenüber der New York Times vom 5.Mai, dass Disney-CEO Michael Eisner ihm gesagt hatte, dass die steuerlichen Vergünstigungen, die Disney in Florida erhält, wo Bushs Bruder Jeb Gouverneur ist, gefährdet seien, wenn der Film herausgegeben wird. »Es ist nicht im Interesse eines bedeutenden Unternehmens, in einen hochgradig aufgeladenen politischen Kampf hineingezogen zu werden«, äußerte ein ungenannter Topmanager des Konzerns gegenüber dem Blatt.
Die Nichtbereitschaft, an »einem politischen Kampf« beteiligt zu sein, hinderte Disney jedoch nicht daran, sich mit einer der rechten Gruppen zusammenzutun, die die Anti-Fahrenheit-Kampagne führen, Move America Forward (MAF). Am 28.Juni organisierte MAF eine Vorabaufführung von Disneys America‘s Heart and Soul. Laut MAF bezahlte Disney für die Aufführung. In einer Presseerklärung zwecks Werbung für die Aufführung heißt es: »Anders als die irreführende und negative Geschichte von Fahrenheit 9/11 zeigt Disneys America‘s Heart and Soul eine Ansammlung beschwingter Geschichten wirklicher Amerikaner, die ihren Leidenschaften in einer Weise nachgehen, die verdeutlicht, was Amerika zu einer großen Nation macht.« Der Domainname der MAF-Webseite wurde auf Russo Marsh & Rogers registriert, einer PR-Firma mit engen Verbindungen zur Republikanischen Partei.
MAF führte eine Kampagne zur Verhinderung der Ausstrahlung von Moores Film in den Kinos. Am 17.Juni behauptete der MAF-Vorsitzende Howard Kaloogian: »Dieser Film ist so populär wie Eis in der Antarktis, und die Kinobesucher reagieren frostig auf Michael Moores antiamerikanischen Film.«
Citizens United, eine weitere Pro-Bush-Gruppe, reichte am 24.Juni Klage bei der Bundeswahlkommission ein. Die Gruppe behauptet, dass der Film gegen das Federal Election Campaign Act verstößt, weil Moore den Film dafür einsetzt, damit Bush die kommende Präsidentenwahl verliert. Aber alle Bemühungen der Rechten — u.a. die Einstufung des Films durch die Fimbewertungsstelle der Motion Picture Association of America in die Kategorie »R« — haben das Interesse an diesem Film nur angeheizt. [Personen unter 17 Jahren dürfen Filmvorführungen der Kategorie R nur in Begleitung Erwachsener besuchen.]
Der Anklang des Films ist nicht schwer zu verstehen: Seit Washington seinen »Krieg gegen den Terror« lanciert hat, ist merklicher Widerspruch zu den Plänen des Bush-Regimes nahezu vollständig aus den Medien der großen Konzerne verschwunden. Moores Film liefert den Menschen Antworten, die sie bei CNN oder Fox nicht finden konnten.
Der Film ist eine scharfe Kritik an der Invasion des Irak und, was vielleicht noch wichtiger ist, an der darauf folgenden Besetzung. Nicht einmal diejenigen, die am entschiedensten an die »Befreiung« des Irak geglaubt haben, können diesen Film sehen und die Besetzung unterstützen.
Eine besondere Bedrohung für die Kriegstreiber der demokratischen wie der republikanischen Variante ist die Tatsache, dass Moore das gemeinsame Interesse herausarbeitet, das die amerikanische Arbeiterklasse, einschließlich der Soldaten, und die meisten Iraker an einem Ende der Besetzung haben.
In einer der bewegendsten Szenen von Fahrenheit 9/11 erklärt Lila Lipscomb, deren Sohn als Soldat im Irak gefallen ist, wie wütend sie früher auf Antikriegsdemonstranten war — und nun gehört sie selbst dazu. Sie liest den letzten Brief ihres Sohnes aus dem Irak vor: »Was zum Teufel ist falsch an George Bush? Dass er wie sein Vater sein will. Er hat uns hierhin geschickt für nichts und wieder nichts. Ich bin jetzt so verdammt wütend. Ich hoffe wirklich, dass dieser Narr nicht wiedergewählt wird.« Ihre herzzerreißende Trauer ähnelt sehr derjenigen, die Moore in seinem Film bei irakischen Frauen zeigt, deren Familien durch die Invasion ausgelöscht wurden.
Während Fahrenheit 9/11 zeigt, dass die US-Soldaten wie die von ihnen getöteten Iraker Opfer der Invasion und der Besetzung sind, geht er über die Grausamkeiten, die sie verüben, nicht hinweg. »Es gab eine Menge unschuldiger Zivilisten, die getötet wurden«, gibt ein Soldat zu. »Und ich glaube, der Grund dafür ist, dass wir, die US-Armee, hier reinkamen und wussten, dass es nicht leicht sein würde und so einfach auf alles schossen, was sich bewegte.«
Ein anderer erzählt Moore, dass ein Gefecht »der letzte Kick« ist. Ein Soldat erzählt, wie er und seine Kameraden »The Roof is on Fire« von The Bloodhound Gang hörten, während sie am Angriff auf Bagdad teilnahmen. Grinsend singt er in die Kamera: »Das Dach brennt. / Wir brauchen kein Wasser. / Lasst den Scheißkerl brennen. / Brenn‘, Scheißkerl, brenn‘.«
Die Behauptungen des Pentagon über amerikanische »smart bombs« kontrastiert der Film mit grauenvollen Bildern irakischer Opfer von Bombenangriffen. Der Film zeigt auch, wie US-Soldaten irakische Gefangene misshandeln.
Der Film greift nicht nur die rassistische US-Außenpolitik an, die, wenngleich Moore dies anscheinend nicht wahrhaben will, zu 90% von Republikanern und Demokraten gleichermaßen vertreten wird, er verbindet auch den »Krieg gegen den Terror« mit dem Krieg gegen die werktätige Bevölkerung innerhalb der USA.
Bei einem Besuch in seiner Heimatstadt Flint (Michigan) betrachtet Moore die v.a. ökonomisch motivierte Rekrutierung für die Armee bei armen Familien, besonders Latinos und Afroamerikanern. Ein junger Mann erzählt Moore, wie ihn die Bilder der zerstörten Gebäude im Irak an die Verwüstung ganzer Straßen in Flint erinnern — hervorgerufen nicht durch Bomben und Panzer, sondern durch die kapitalistische Ökonomie.
Moores Film nimmt auch die Reaktion der US-Regierung auf den 11.September auseinander, indem er klar beweist, dass der Terrorismus niemals das Motiv war, in Afghanistan oder im Irak einzumarschieren. Insbesondere dokumentiert er die Verbindungen zwischen dem Bush-Clan und der herrschenden Klasse Saudi-Arabiens einschließlich Osama Bin Laden.
Dieses Material ist interessant und wird von den großen Medien in den USA kaum erwähnt, sodass der Film hier für viele eine Enthüllung darstellt. Leider gibt es bei Moore weniger Klarheit darüber, was die Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien betrifft. Der Film impliziert einen »ungebührlichen Einfluss« Saudi-Arabiens auf Bush und die Politik der USA. Bedeutende Teile der US-Elite haben zwar ein Interesse am Überleben des saudischen Regimes, dies aber hauptsächlich aufgrund der Rolle der saudischen Monarchie als zentrale Agentur der US-Politik im Mittleren Osten. Ohne die Unterstützung durch die USA hätte die Herrschaft des Hauses Saud vielleicht schon ein Ende gefunden.
Moore untersucht nicht die Tatsache, dass die Carlyle-Gruppe, eine im Film vorkommende Finanzgesellschaft mit Verbindungen zu Bush und seinem Vater, einst Eignerin von Vinnell Corporation war. Vinnell, die oft von der CIA als Deckmantel für ihre Auslandseinsätze benutzt wird, trainiert die saudische Nationalgarde, das Hauptwerkzeug der Monarchie zur Unterdrückung der inneren Opposition.
Schade auch, dass Moore die von US-Linksliberalen initiierte Kampagne »Anyone but Bush« (Jeder, nur nicht Bush) unterstützt. Diese Kampagne argumentiert, dass der Schlüssel zur Beendigung der militärischen US- Aggression und des inneren Krieges gegen die Arbeiterklasse darin besteht, dass ein Demokrat nach der Präsidentenwahl im Herbst Bushs Platz im Weißen Haus einnimmt. Wenngleich die Demokraten nicht ungeschoren davonkommen, bekommen sie nicht die Behandlung, die sie aufgrund ihrer Komplizenschaft beim »Krieg gegen den Terror« verdienen. Aber während der Erfolg des Films vielen Demokraten gefällt, ist seine Politik weit besser als die des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Kerry.
Kerry ist nicht gegen die Besetzung des Irak. Kerrys offizielle Politik besteht darin, mehr Unterstützung von anderen imperialistischen Nationen zu erhalten, u.a. dadurch, dass der »Irak zu einem Bestandteil der globalen NATO- Mission« wird. Mark Latham, der Vorsitzende der australischen Labor Party (ALP), wurde von Kerry kritisiert, weil er versprochen hatte, im Falle eines Wahlsiegs der ALP die australischen Truppen aus dem Irak abzuziehen. Es besteht ein Widerspruch zwischen Moores Unterstützung für Kerry und seiner Opposition gegenüber dem »Krieg gegen den Terror«.
Von dieser Kritik abgesehen ist Fahrenheit 9/11 mehr als Moores frühere Filme ein Werkzeug politischer Veränderung, was ihm eine Aufmerksamkeit verschafft, die sein hervorragender letzter Film Bowling for Columbine so nicht hatte. Der Film erobert eindeutig das moralische Terrain zurück, das sich die Apologeten des US-Imperialismus nach dem Schrecken des Massenmords vom 11.September 2001 angeeignet hatten, und er klagt diejenigen an, die den 11.9. dazu benutzen, die dem Irak und Afghanistan zugefügten Schrecken zu rechtfertigen.

Rohan Pearce (Green Left Weekly)

(Übersetzung: Hans-Günter Mull)



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