SoZSozialistische Zeitung |
Über die Umsetzung des Gesetzes »Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt«, wie Hartz IV offiziell heißt, gibt es
immer noch viel Unsicherheit. Die Betroffenen fragen sich: Wieviel darf mein Auto wert sein, ohne dass es mir angerechnet wird? Bis zu welchem
Wert ist mein Eigenheim bzw. meine Eigentumswohnung geschützt? Wieviel Quadratmeter darf ich bewohnen und wie hoch darf der
Mietpreis sein, damit er als »angemessen« gilt? Gibt es dazu mittlerweile sichere Auskünfte?
Ganz sichere Auskünfte gibt es wohl noch nicht. Zu befürchten ist jedoch, dass das Meiste in peniblen Vorschriften festgelegt
und die »Besonderheiten des Einzelfalles«, also die konkrete Situation der Betroffenen, nicht berücksichtigt wird.
Es wird Vermögensobergrenzen geben, die dann zum Verkauf eines
bestimmten Autos zwingen. Oder die Agentur berücksichtigt nicht die fällige Rückzahlung der Kredite für das Eigenheim
und die Arbeitsuchende muss eine Stundung der Rückzahlung mit der Bank verhandeln bei längerer Unfähigkeit, die
Kreditraten zu zahlen, kann dies zum Verlust des Eigenheimes führen. Für die Miete wird es in jeder Stadt oder Gemeinde
Obergrenzen geben, die eine größere Zahl von Betroffenen, in erster Linie Arbeitslosenhilfebeziehende, zum Umzug in eine billigere
Wohnung zwingen werden. Weil günstiger Wohnraum immer knapper wird, vor allem durch den zunehmenden Wegfall der Sozialbindung
bei Sozialwohnungen, wird ein Umzug in eine reguläre Wohnung eine schwierige Sache. Da die Bedingungen für die Übernahme
von Mietschulden ebenfalls sehr rigide gehandhabt werden, wird es in absehbarer Zeit eine Zunahme von Obdachlosen geben.
Die organisatorische Umsetzung von Hartz IV bereitet noch große Schwierigkeiten. Erst hieß es, die notwendige Software
stünde bis Anfang Oktober bereit, jetzt heißt es Ende Oktober. Wie sieht es aus und auf welche Folgen müssen sich die ALG II-
Beziehenden einstellen?
Sollte die Berechnungssoftware A2LL nicht schnellstens zur Verfügung stehen, ist die nahtlose Zahlung von ALG II Anfang Januar
2005 nicht mehr möglich. Es wird dann zu Verzögerungen kommen, die die Existenz der Betroffenen gefährdet.
Von organisatorischen Schwierigkeiten betroffen sind die BA, die für die
Arbeitslosenhilfebeziehenden zuständig ist, und die Kommunen, die für die Sozialhilfebeziehenden zuständig sind. Beide gehen
noch getrennte Wege, wollen aber demnächst zusammenarbeiten. Die ARGEn werden gerade gebildet, sie gibt es noch nicht.
Organisatorische Probleme gibt es in vielen Bereichen:
Die Antragstellung geht nur schleppend voran. Viele Hilfebeziehende werden
durch den 16-seitigen Antrag abgeschreckt, dazu kommen penible Fragen zu Vermögen, Unterhaltsansprüchen, Kontoständen
uvm.
Die Daten müssen eingegeben werden, damit die Berechnung
automatisiert erfolgen kann. Dazu ist in der Regel kein zusätzliches Personal vorhanden. Die Anzahl der Zugriffsmöglichkeiten per
Internet (bundesweit !) auf die neue Software ist begrenzt. In der Regel reichen die ausgerüsteten PCs zahlenmäßig nicht aus,
möglicherweise muss in Schichten rund um die Uhr gearbeitet werden.
Alle Beschäftigten in den Ämtern müssen entsprechend
ausgebildet werden, um mit den Gesetzesänderungen, den Anträgen, der Software, den Eingaben, den Entscheidungskriterien, der
Bescheiderteilung und der Auszahlung richtig (im Sinne des Gesetzes) umgehen zu können. Die Ausbildung erfolgt ohne zusätzliches
Personal. Die laufende Bearbeitung der Arbeitslosengelder und der Sozialhilfe leidet stark darunter.
Durch alle diese Schwierigkeiten kann es zu verspäteten Auszahlungen,
aber auch zu Berechnungsfehlern und falschen Entscheidungen kommen. Sollte die Software A2LL, die für die Auszahlung von ALG II
erforderlich ist, nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen, sind die Ämter gezwungen, die Berechnungen eventuell per Hand (!!)
oder mit Excel-Tabellen vorzunehmen und mit den vorhandenen Programmen an die Hilfeempfänger auszuzahlen.
Sehr wahrscheinlich wird das »Fördern« der Arbeitssuchenden,
von dem immer vollmundig die Rede ist, auch wegen dieser Probleme erst sehr viel später überhaupt angedacht werden können.
Ein weiteres Thema, das den Menschen unter den Nägeln brennt, sind die 1-Euro-Jobs. Aus einigen Städten hört
man, die Stadtverwaltung plane, auch Normalarbeitsplätze dadurch zu ersetzen. Weißt du davon? Gibt es Gegenstrategien?
In Frankfurt sollen bis zu 4000 »Arbeitsgelegenheiten« geschaffen werden. Ähnliches hört man von anderen
Städten und Landkreisen. Natürlich wird versichert, dass tarifliche Arbeiten nicht betroffen seien, doch die Gefahr besteht, dass normal
entlohnte Arbeit durch Billigjobs verdrängt oder Druck auf die Tariflöhne ausgeübt wird. Wichtig ist, dass diese
Verdrängung nicht hingenommen, sondern öffentlich gemacht wird und dass die Gewerkschaften gegen solche Pläne vorgehen.
Die Zusammenlegung der Ämter schafft große Probleme nicht nur für die ALG-II-Beziehenden, sondern auch
für das Personal in den Ämtern. Kannst du darüber etwas sagen?
In den Job-Centern sollen die Bereiche ALG I und ALG II angesiedelt werden. Die ARGEn sind für ALG II zuständig ist.
Beschäftigte aus der BA und den Kommunen sollen direkt, vielleicht sogar in gleichen Teams, zusammenarbeiten. Bis jetzt sehe ich
folgende größere Schwierigkeiten (täglich kommen aber welche dazu):
Geplant war, dass die Beschäftigten im Job-Center arbeiten, aber bei
ihrem »alten« Arbeitgeber angestellt bleiben. Mittlerweile geht die BA davon aus, dass aus ihrem Bereich das Personal nicht mehr ins
Job-Center wechselt, sondern nur die Dienstleistung zur Verfügung stellt. Der Hauptpersonalrat der BA sieht auf diese Weise die Interessen
»seiner« Beschäftigten am besten gesichert. Allerdings können Versetzungen an ungünstige Arbeitsorte,
Herabgruppierungen durch Aufgabenwegfall oder Aufgabenänderung und ähnliches drohen.
Aus kommunaler Sicht besteht die Schwierigkeit in der Art und Weise, wie das
Personal in die ARGE wechselt. Abordnungen sind befristet, Zuweisungen haben personalvertretungsrechtliche Nachteile, Überleitungen
können zu Privatisierungen führen (GmbHs!).
Wenn beide Bereiche nur ihre Dienstleistungen der ARGE überlassen, wie
kann ein solches Konstrukt dann sinnvoll gesteuert werden? Wer kann Anweisungen geben? Wer ist verantwortlich? Kann es gemischte Teams
geben? Das sind offene Fragen.
In der BA und in den Kommunen gibt es verschiedene »Kulturen«,
die dann auf einander treffen. In den Kommunen gibt es eher eine ganzheitliche Sachbearbeitung, die eine geringe Spanne im Gehalt der
Beschäftigten bedingt. In der BA gibt es eine stärkere Hierarchie mit vielen unterschiedlichen Arbeits- und Entscheidungsbereichen
und entsprechend unterschiedlichen Eingruppierungen. In den beiden Bereichen gelten verschiedene Tarifverträge.
Sollte es keine sinnvollen Lösungen geben, wird das Chaos der
Gesetzgebung noch um ein Chaos in der Verwaltung erweitert.
Ich halte es für dringend erforderlich, dass die Personalvertretungen und
die gewerkschaftlichen Vertrauensleute beider Organisationen vor Ort Kontakt miteinander aufnehmen, ihre Erfahrungen austauschen und
Strategien überlegen, wie sie die Rechte der Beschäftigten verteidigen können und wie eine größtmögliche
soziale Absicherung bei der Bildung der ARGEn zu erreichen ist. Die Forderungen sollten in gemeinsamen Personal- und
Mitgliederversammlungen diskutiert werden. Auch die beiden zuständigen Fachbereiche der Verdi-Bundesverwaltung (4 und 7) sollten ein
gemeinsames Vorgehen planen und sich nicht mit Einzelaktivitäten für »ihre« Beschäftigten hervortun.
Wie stehen die Beschäftigten in den Ämtern zu den Veränderungen und zu dem neuen, rigoroseren, Verhalten
gegenüber den Erwerbslosen, das ihnen abgenötigt wird?
Nach meiner Einschätzung ist die große Mehrheit der Beschäftigten zur Zeit sehr reserviert gegenüber den
geplanten Veränderungen:
Die Anforderungen sind völlig unklar: Welche Aufgaben habe ich, wenn ich
in die ARGE gehe? Welche Arbeitsbedingen sind dort? Wer ist mein Vorgesetzter? Wie ist das Klima im Umgang mit den ALG-II-Beziehenden?
Werde ich bedroht? Gibt es oft Konflikte? Habe ich Stress und hohe Belastungen? Wie ist es, wenn ich mit jemandem in einem Team arbeite, der
die gleiche Arbeit macht, aber zwei Gehaltsgruppen mehr oder weniger verdient? Droht eine Privatisierung durch die Auslagerung der Aufgaben
aus dem Amt und wie sicher ist dann mein Arbeitsplatz?
Wenn die Arbeit verlagert wird, kann man mich dann zwingen, mitzugehen?
Kann ich gekündigt oder versetzt werden, wenn die Arbeit in meinem Bereich wegfällt?
Das Verhältnis der Beschäftigten zu den ALG-II-Beziehenden wird
vermutlich erst in den Vordergrund treten, wenn die Auswirkungen des »Forderns« konkret geworden sind. Allerdings ist einigen
Beschäftigten schon klar, dass der Weg zum ALG II viel kürzer ist als z.B. zur Sozialhilfe. Gemeinsame Widerstandsformen oder gar
Aktionen gegen Sozialabbau kamen bisher leider nicht in nennenswertem Umfang zustande.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04