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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2004, Seite 7

Der Weg zum ALG II wird kürzer

Die Umsetzung von Hartz IV aus der Sicht der Beschäftigten

Für die Beschäftigten bei der Bundesagentur und den Sozialämtern ist die Einführung des ALG II nicht weniger ein Trauma wie für Erwerbslose. Die SoZ wollte wissen, ob es gemeinsame Aktionsmöglichkeiten gibt. Sie sprach mit KURT KRUMREI. Er ist beim Jugend- und Sozialamt einer westdeutschen Großstadt beschäftigt.

Über die Umsetzung des Gesetzes »Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt«, wie Hartz IV offiziell heißt, gibt es immer noch viel Unsicherheit. Die Betroffenen fragen sich: Wieviel darf mein Auto wert sein, ohne dass es mir angerechnet wird? Bis zu welchem Wert ist mein Eigenheim bzw. meine Eigentumswohnung geschützt? Wieviel Quadratmeter darf ich bewohnen und wie hoch darf der Mietpreis sein, damit er als »angemessen« gilt? Gibt es dazu mittlerweile sichere Auskünfte?

Ganz sichere Auskünfte gibt es wohl noch nicht. Zu befürchten ist jedoch, dass das Meiste in peniblen Vorschriften festgelegt und die »Besonderheiten des Einzelfalles«, also die konkrete Situation der Betroffenen, nicht berücksichtigt wird.
Es wird Vermögensobergrenzen geben, die dann zum Verkauf eines bestimmten Autos zwingen. Oder die Agentur berücksichtigt nicht die fällige Rückzahlung der Kredite für das Eigenheim und die Arbeitsuchende muss eine Stundung der Rückzahlung mit der Bank verhandeln — bei längerer Unfähigkeit, die Kreditraten zu zahlen, kann dies zum Verlust des Eigenheimes führen. Für die Miete wird es in jeder Stadt oder Gemeinde Obergrenzen geben, die eine größere Zahl von Betroffenen, in erster Linie Arbeitslosenhilfebeziehende, zum Umzug in eine billigere Wohnung zwingen werden. Weil günstiger Wohnraum immer knapper wird, vor allem durch den zunehmenden Wegfall der Sozialbindung bei Sozialwohnungen, wird ein Umzug in eine reguläre Wohnung eine schwierige Sache. Da die Bedingungen für die Übernahme von Mietschulden ebenfalls sehr rigide gehandhabt werden, wird es in absehbarer Zeit eine Zunahme von Obdachlosen geben.

Die organisatorische Umsetzung von Hartz IV bereitet noch große Schwierigkeiten. Erst hieß es, die notwendige Software stünde bis Anfang Oktober bereit, jetzt heißt es Ende Oktober. Wie sieht es aus und auf welche Folgen müssen sich die ALG II- Beziehenden einstellen?

Sollte die Berechnungssoftware A2LL nicht schnellstens zur Verfügung stehen, ist die nahtlose Zahlung von ALG II Anfang Januar 2005 nicht mehr möglich. Es wird dann zu Verzögerungen kommen, die die Existenz der Betroffenen gefährdet.
Von organisatorischen Schwierigkeiten betroffen sind die BA, die für die Arbeitslosenhilfebeziehenden zuständig ist, und die Kommunen, die für die Sozialhilfebeziehenden zuständig sind. Beide gehen noch getrennte Wege, wollen aber demnächst zusammenarbeiten. Die ARGEn werden gerade gebildet, sie gibt es noch nicht.
Organisatorische Probleme gibt es in vielen Bereichen:
Die Antragstellung geht nur schleppend voran. Viele Hilfebeziehende werden durch den 16-seitigen Antrag abgeschreckt, dazu kommen penible Fragen zu Vermögen, Unterhaltsansprüchen, Kontoständen uvm.
Die Daten müssen eingegeben werden, damit die Berechnung automatisiert erfolgen kann. Dazu ist in der Regel kein zusätzliches Personal vorhanden. Die Anzahl der Zugriffsmöglichkeiten per Internet (bundesweit !) auf die neue Software ist begrenzt. In der Regel reichen die ausgerüsteten PCs zahlenmäßig nicht aus, möglicherweise muss in Schichten rund um die Uhr gearbeitet werden.
Alle Beschäftigten in den Ämtern müssen entsprechend ausgebildet werden, um mit den Gesetzesänderungen, den Anträgen, der Software, den Eingaben, den Entscheidungskriterien, der Bescheiderteilung und der Auszahlung richtig (im Sinne des Gesetzes) umgehen zu können. Die Ausbildung erfolgt ohne zusätzliches Personal. Die laufende Bearbeitung der Arbeitslosengelder und der Sozialhilfe leidet stark darunter.
Durch alle diese Schwierigkeiten kann es zu verspäteten Auszahlungen, aber auch zu Berechnungsfehlern und falschen Entscheidungen kommen. Sollte die Software A2LL, die für die Auszahlung von ALG II erforderlich ist, nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen, sind die Ämter gezwungen, die Berechnungen eventuell per Hand (!!) oder mit Excel-Tabellen vorzunehmen und mit den vorhandenen Programmen an die Hilfeempfänger auszuzahlen.
Sehr wahrscheinlich wird das »Fördern« der Arbeitssuchenden, von dem immer vollmundig die Rede ist, auch wegen dieser Probleme erst sehr viel später überhaupt angedacht werden können.

Ein weiteres Thema, das den Menschen unter den Nägeln brennt, sind die 1-Euro-Jobs. Aus einigen Städten hört man, die Stadtverwaltung plane, auch Normalarbeitsplätze dadurch zu ersetzen. Weißt du davon? Gibt es Gegenstrategien?

In Frankfurt sollen bis zu 4000 »Arbeitsgelegenheiten« geschaffen werden. Ähnliches hört man von anderen Städten und Landkreisen. Natürlich wird versichert, dass tarifliche Arbeiten nicht betroffen seien, doch die Gefahr besteht, dass normal entlohnte Arbeit durch Billigjobs verdrängt oder Druck auf die Tariflöhne ausgeübt wird. Wichtig ist, dass diese Verdrängung nicht hingenommen, sondern öffentlich gemacht wird und dass die Gewerkschaften gegen solche Pläne vorgehen.

Die Zusammenlegung der Ämter schafft große Probleme nicht nur für die ALG-II-Beziehenden, sondern auch für das Personal in den Ämtern. Kannst du darüber etwas sagen?

In den Job-Centern sollen die Bereiche ALG I und ALG II angesiedelt werden. Die ARGEn sind für ALG II zuständig ist. Beschäftigte aus der BA und den Kommunen sollen direkt, vielleicht sogar in gleichen Teams, zusammenarbeiten. Bis jetzt sehe ich folgende größere Schwierigkeiten (täglich kommen aber welche dazu):
Geplant war, dass die Beschäftigten im Job-Center arbeiten, aber bei ihrem »alten« Arbeitgeber angestellt bleiben. Mittlerweile geht die BA davon aus, dass aus ihrem Bereich das Personal nicht mehr ins Job-Center wechselt, sondern nur die Dienstleistung zur Verfügung stellt. Der Hauptpersonalrat der BA sieht auf diese Weise die Interessen »seiner« Beschäftigten am besten gesichert. Allerdings können Versetzungen an ungünstige Arbeitsorte, Herabgruppierungen durch Aufgabenwegfall oder Aufgabenänderung und ähnliches drohen.
Aus kommunaler Sicht besteht die Schwierigkeit in der Art und Weise, wie das Personal in die ARGE wechselt. Abordnungen sind befristet, Zuweisungen haben personalvertretungsrechtliche Nachteile, Überleitungen können zu Privatisierungen führen (GmbHs!).
Wenn beide Bereiche nur ihre Dienstleistungen der ARGE überlassen, wie kann ein solches Konstrukt dann sinnvoll gesteuert werden? Wer kann Anweisungen geben? Wer ist verantwortlich? Kann es gemischte Teams geben? Das sind offene Fragen.
In der BA und in den Kommunen gibt es verschiedene »Kulturen«, die dann auf einander treffen. In den Kommunen gibt es eher eine ganzheitliche Sachbearbeitung, die eine geringe Spanne im Gehalt der Beschäftigten bedingt. In der BA gibt es eine stärkere Hierarchie mit vielen unterschiedlichen Arbeits- und Entscheidungsbereichen und entsprechend unterschiedlichen Eingruppierungen. In den beiden Bereichen gelten verschiedene Tarifverträge.
Sollte es keine sinnvollen Lösungen geben, wird das Chaos der Gesetzgebung noch um ein Chaos in der Verwaltung erweitert.
Ich halte es für dringend erforderlich, dass die Personalvertretungen und die gewerkschaftlichen Vertrauensleute beider Organisationen vor Ort Kontakt miteinander aufnehmen, ihre Erfahrungen austauschen und Strategien überlegen, wie sie die Rechte der Beschäftigten verteidigen können und wie eine größtmögliche soziale Absicherung bei der Bildung der ARGEn zu erreichen ist. Die Forderungen sollten in gemeinsamen Personal- und Mitgliederversammlungen diskutiert werden. Auch die beiden zuständigen Fachbereiche der Verdi-Bundesverwaltung (4 und 7) sollten ein gemeinsames Vorgehen planen und sich nicht mit Einzelaktivitäten für »ihre« Beschäftigten hervortun.

Wie stehen die Beschäftigten in den Ämtern zu den Veränderungen und zu dem neuen, rigoroseren, Verhalten gegenüber den Erwerbslosen, das ihnen abgenötigt wird?

Nach meiner Einschätzung ist die große Mehrheit der Beschäftigten zur Zeit sehr reserviert gegenüber den geplanten Veränderungen:
Die Anforderungen sind völlig unklar: Welche Aufgaben habe ich, wenn ich in die ARGE gehe? Welche Arbeitsbedingen sind dort? Wer ist mein Vorgesetzter? Wie ist das Klima im Umgang mit den ALG-II-Beziehenden? Werde ich bedroht? Gibt es oft Konflikte? Habe ich Stress und hohe Belastungen? Wie ist es, wenn ich mit jemandem in einem Team arbeite, der die gleiche Arbeit macht, aber zwei Gehaltsgruppen mehr oder weniger verdient? Droht eine Privatisierung durch die Auslagerung der Aufgaben aus dem Amt und wie sicher ist dann mein Arbeitsplatz?
Wenn die Arbeit verlagert wird, kann man mich dann zwingen, mitzugehen? Kann ich gekündigt oder versetzt werden, wenn die Arbeit in meinem Bereich wegfällt?
Das Verhältnis der Beschäftigten zu den ALG-II-Beziehenden wird vermutlich erst in den Vordergrund treten, wenn die Auswirkungen des »Forderns« konkret geworden sind. Allerdings ist einigen Beschäftigten schon klar, dass der Weg zum ALG II viel kürzer ist als z.B. zur Sozialhilfe. Gemeinsame Widerstandsformen oder gar Aktionen gegen Sozialabbau kamen bisher leider nicht in nennenswertem Umfang zustande.

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