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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2004, Seite 9

Volksbegehren gegen den Berliner Senat

Den Konflikt politisieren

Zwei Monate vor Abgabeschluss der Unterschriften sind die Initiatoren des Volksbegehrens zur Abwahl des Berliner Senats zuversichtlich, dass sie die erste Hürde — 60000 Unterschriften bis zum 4.12.2004 nehmen werden.
Die Initiative hat in den vergangenen vier Monaten einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht: 62% der Berlinerinnen und Berliner wissen von der Initiative, 42% wünschen sich Neuwahlen; darunter sind 27% PDS-Sympathisierende. Das ergab eine Emnid-Umfrage im Juli. Damals wurden alle Berliner Spitzenpolitiker in Presseinterviews mit den Forderungen der Initiative konfrontiert. Die Proteste gegen Hartz IV haben in den Sommermonaten die Landespolitik jedoch aus den Medien verdrängt, obgleich der Senat für einige Aspekte der Umsetzung verantwortlich sein wird. Das wurde aber auf den Montagsdemos nicht richtig thematisiert, was der PDS wiederum erlaubt hat, sich ungestraft als Teil der Opposition präsentieren zu können.
Für die Initiative geht es nun darum, die Berechtigung und Notwendigkeit ihres Anliegens erneut in die Öffentlichkeit zu bringen, damit der Kreis der unterstützenden Organisationen ausgeweitet werden kann. Denn ohne dem wird die zweite Hürde nicht zu nehmen sein. Da müssen 500000 Unterschriften innerhalb von zwei Monaten gesammelt werden.
Dabei sieht sich die Initiative genötigt, vorwiegend gegen Kritiker von links zu argumentieren, die eine Beteiligung am Volksbegehren aus verschiedenen Gründen ablehnen. Sei es, weil sie die Initiative für »parlamentsfixiert« halten, sei es, weil sie die aktive Beteiligung der Gewerkschaft der Polizei als Sündenfall gegen die politische Korrektheit empfinden, sei es, weil viele Linke im SPD-PDS-Senat immer noch das kleinere Übel sehen.

Kleineres Übel?

Durch die Streichung der Berlinhilfe und die Deindustrialisierung Ostberlins ist die Sparpolitik in keiner Stadt der BRD so rabiat ausgefallen wie in Berlin. Von 1996 an sind die staatlichen Ausgaben um 6% gesunken — in anderen Bundesländern sind sie in dem Zeitraum um 8% gestiegen. Ab 1996 hat auch ein systematischer Stellenabbau im öffentlichen Dienst eingesetzt (35000 bis zum Jahr 2000).
Der Doppelhaushalt 2004/05, den der SPD-PDS-Senat verabschiedet hat, hat zudem die Kosten für die Machenschaften der Bankgesellschaft übernommen und sie den sozial Benachteiligten und abhängig Beschäftigten aufgebürdet: Den Sozialhilfebeziehenden wurde das Sozialticket im öffentlichen Nahverkehr gestrichen; den Behinderten das Blindengeld gekürzt; den sozialen Projekten, die vielen ein Leben in der Stadt ermöglichten, die Gelder gestrichen; über ein Viertel der Jugendzentren geschlossen.
Der SPD-PDS-Senat ist Vorreiter für Stellenabbau, Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerung im öffentlichen Dienst. Er ist dafür verantwortlich, dass Berlin als erstes Bundesland den kommunalen Arbeitgeberverband verlassen hat, um sich nicht an Tarifabschlüsse halten zu müssen. Für den Doppelhaushalt 2006/07 planen SPD und PDS weitere Kürzungen in Höhe von 500 Millionen Euro. Kein Berliner Senat hat zuvor eine so unsoziale Politik betrieben.
Das Etikett des kleineren Übels, das vor allem die beiden großen Gewerkschaften, IG Metall und Verdi, aber auch die Berliner Wahlalternative vorbringen, die das Volksbegehren nicht unterstützen, ist deshalb ganz und gar nicht angebracht. Sie mogeln sich damit nur um die Frage nach Alternativen herum. Die ist aber drängender denn je. Die Zustimmung der Berliner Bevölkerung zur Politik des Senats liegt derzeit bei 7—12%! Bei Neuwahlen kämen die Senatsparteien zusammen auf 35—38%. Die CDU bleibt in ihrem desolaten Zustand und liegt in allen Umfragen unter 30%.
Für den Normalbürger erscheint die Situation ausweglos. Es gibt eine Stimmung, die sagt: Dieses Land hat keine Zukunft mehr. Viele trauen sich aber nicht zu, selber eine Alternative zu bilden. Sie wenden sich ganz von der Politik ab oder sie warten auf einen neuen Führer. Das ist eine gefährliche Situation. Es ist offenkundig — so argumentiert die Initiative für ein Volksbegehren —, dass Alternativen politisch durchgesetzt werden müssen. Der Aufbau einer Wahlalternative muss deshalb Hand in Hand mit dem Volksbegehren gehen.

Alternativen

Die Zuspitzung auf die Senatsebene ist auch deshalb notwendig geworden, weil die außerparlamentarische Mobilisierung allein im vergangenen Jahr nicht ausgereicht hat, die Senatspolitik in eine andere Richtung zu drängen. In dem Maße, wie sich die linke Opposition in der Stadt auf diese Ebene einlässt, muss sie in ihren Gegenentwürfen präziser werden. Die Initiative will deshalb verstärkt über ein Paket von Gegenmaßnahmen diskutieren.
Dazu gehören die Durchsetzung eines Schuldenmoratoriums; die Rücknahme der Risikoabschirmung für die Fondszeichner bei der Bankgesellschaft; die Ausgestaltung eines öffentlich finanzierten Beschäftigungssektors; die Einrichtung eines Fonds für die Finanzierung sozialer Projekte. Diese Maßnahmen begleiten die Forderungen nach Rücknahme der Kürzungen im Sozial-, Bildungs- und Kulturbereich, nach Stopp der Privatisierungsvorhaben bei den Landesbetrieben, nach der Rückkehr Berlins in den kommunalen Arbeitgeberverband, nach der Rücknahme von Arbeitszeitverlängerung und Lohnsenkungen im öffentlichen Dienst.
Finanzierbar ist das alles. Die Berliner Finanzverwaltung hat ausgerechnet, die Erfüllung dieser Forderungen würde 480 Millionen Euro kosten. Allein für die Risikoabsicherung der 70 Fondszeichner der Bankgesellschaft gibt die Stadt aber in den nächsten zehn Jahren jährlich bis zu 300 Millionen Euro aus. Und die Verbesserung der Einnahmeseite wurde vom Senat bisher vollkommen vernachlässigt. Es fehlt also nur am politischen Willen. Klar ist aber auch, dass die Krise nicht in Berlin allein gelöst werden kann.
Wichtig wird jetzt, dass die Umsetzung von Hartz IV genutzt wird zu einer Mobilisierung, die sich auch gegen den Senat richtet. Das würde dem Volksbegehren neuen Auftrieb geben. In Berlin sind 460000 Menschen von der Einführung des ALG II betroffen, das ist ein Sechstel der Bevölkerung. Während der PDS-Landesverband zu den Demonstrationen aufruft, erklärt Wirtschaftssenator Harald Wolf, er werde Hartz IV umsetzen. Die 1-Euro-Jobs werden von der Abgeordnetenhausfraktion begrüßt. Die Sozialsenatorin Knake-Werner hat den politischen Spielraum zu verhindern, dass jemand wegen Hartz IV seine Wohnung verlassen muss. Die denkt aber gar nicht daran und hat im Senat die gesetzlich angedachte Übergangsfrist von einem halben Jahr vorgeschlagen, was selbst die SPD-Senatoren abgelehnt haben. Der Berliner Mieterverein geht davon aus, dass ein Viertel der heutigen Bezieher von Arbeitslosenhilfe die eigene Wohnung verlieren wird.
Das Volksbegehren kann die Proteste, die sich auf Landesebene fortsetzen werden, zu einer erneuten Debatte um politische Alternativen bündeln.

Michael Hammerbacher

Michael Hammerbacher ist Sprecher der Initiative Volksbegehren.


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