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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2004, Seite 9

2.Oktober, Amsterdam

Auftakt für politische Alternative

Über 250000 Menschen haben am 2.Oktober in Amsterdam gegen die Sparmaßnahmen und die Sozialabbaupolitik der Mitte-Rechts-Regierung demonstriert.

Es war eine der größten Demonstrationen der letzten zwanzig Jahre. Nur die Demo gegen Einsparungen bei der Arbeitsunfähigkeitsrente 1992 und die beiden Demos gegen die Militarisierung 1982 und 1984 waren größer.
Aus allen Landesteilen waren die Menschen auf dem Museumsplein zusammengeströmt, um ihrem Unmut gegen die Politik der Regierung Balkenende Ausdruck zu verleihen. Zur Kundgebung hatten die drei großen Gewerkschaftsverbände des Landes, FNV, CNV und MHP aufgerufen.
Die anschließende Demonstration über den Dam im Stadtzentrum von Amsterdam wurde in Kooperation mit dem Bündnis Keer Het Tij (etwa: Wendet das Blatt) durchgeführt — das ist ein Bündnis aus 500 Organisationen. In den vorangegangenen Wochen hatte es Demonstrationen und kurze Streik in verschiedenen niederländischen Städten gegeben.
Die Mitte-Rechts-Regierung (eine Koalition aus Christdemokraten, Rechts- und Linksliberalen) hat eine »Reform« des Vorruhestands angekündigt, die darauf abzielt, diesen weniger attraktiv zu machen und die Erwerbstätigen zu nötigen, dass sie länger arbeiten. Auch die Arbeitsunfähigkeitsrente und das Gesundheitssystem sollen abgebaut werden. Dievorgesehenen Maßnahmen hätten zur Folge, dass 200000 Menschen keine Leistungen mehr erhalten.

Funkstille

Nach der Demo haben Regierungsvertreter gesagt, die »Reformen« seien notwendig, weil die Bevölkerung altere und die Erwerbstätigen länger arbeiten müssten, um die Sozialsysteme noch finanzieren zu können. Sie lehnen es jedoch ab, den Gesamtplan noch einmal mit den Gewerkschaften zu diskutieren, die Regierung ist nur zu geringfügigen Veränderungen beim Vorruhestand bereit.
Eine Woche nach der Demonstration ist die Lage jetzt so, dass niemand verhandeln will. Diese Ablehnung kann bedeuten, dass die Gewerkschaften gezwungen werden, zu weiteren Aktionen aufzurufen. Hierin unterscheidet sich die Lage in den Niederlanden von der in Deutschland. In den Niederlanden ist eine Alternative derzeit greifbarer.
Den jüngsten Umfragen zufolge lehnen 60% der Bevölkerung die »Reformen« ab und die Linksparteien PvdA, Groen Links und SP erfreuen sich einer großen Mehrheit. Aber die Wahlen sind erst 2007, da kann sich noch viel ändern.
Die Demonstration war sehr positiv, sie kann ein Auftakt für eine Kampagne für eine andere Politik sein. Die Gewerkschaften und die Linksparteien die Initiative ergriffen, eine Volksbefragung über die Rentenreform zu starten. Sie wollen weitere Streiks organisieren und im Februar oder März kommenden Jahres wieder eine große Demonstration durchführen.
Aber viele unter den Demonstranten kombinieren die Kritik an der Sozialpolitik der Regierung auch mit nationalistischen Vorstellungen. Viele Niederländer wollen nicht, dass die Türkei Mitglied der EU wird. Sie akzeptieren Maßnahmen gegen Ausländer und Flüchtlinge; sie wollen die sozialen Probleme auf nationale Weise regeln und sind gegen eine europaweite Kooperation für ein soziales Europa.
Andererseits war diese Demonstration auf eine spontane Weise europäisch: Von Rhein und Ruhr sowie aus Belgien hatten sich größere Kontingente nach Amsterdam aufgemacht — auf deutscher Seite fand man es praktischer, nach Amsterdam zu fahren als ins ferne Berlin. Die Themen, um die es ging, waren eh dieselben. Es gab auch einen Redneraustausch mit der Demonstration in Berlin. In Zukunft sollen gemeinsame Aktionen und Konferenzen über Internet organisiert werden. Vielleicht ist das der Anfang einer neuen europäischen Bewegung.

Piet van der Lende

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