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Die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit hat in der zweiten Oktoberhälfte ihren
Konstituierungsprozess als bundesweiten Verein weitgehend abgeschlossen. 16 Landesverbände sind bis dahin geschaffen worden, die
nunmehr auf Landesmitgliederversammlungen Landesvorstände sowie Delegierte zur Bundeskonferenz gewählt haben, die am 20.
und 21.November in Nürnberg den ersten ordentlichen Bundesvorstand wählen wird und zugleich darüber beschließen
soll, ob der Verein sich in eine Partei umwandelt.
Die Wahlalternative zählt derzeit 5000 Mitglieder. Nach einem furiosen Start (im Juli, dem ersten Monat nach der Gründung
des Vereins am 20.Juni in Berlin, traten 3000 Mitglieder bei) ebbt der Zustrom ab. Dazu trägt sicher die Tatsache bei, dass die WASG, wie
es sich für einen deutschen Verein gehört, seit ihrer Gründungsversammlung hauptsächlich mit ihrem organisatorischen
Aufbau beschäftigt ist und in den zugespitzten politischen Auseinandersetzungen der Sommermonate um Hartz IV politisch so gut wie keine
Rolle gespielt hat.
Die Einmischung in die Politik vor Ort und in die Landespolitik ist zwischen den
Gruppen vor Ort und dem Bundesvorstand stark umstritten. Während Letzterer sich auf den Antritt zur Bundestagswahl 2006 konzentrieren
möchte, hat die Linke in NRW durchgesetzt, dass der Landesverband sich jetzt geschlossen für eine Beteiligung an den
Landtagswahlen im Mai 2005 ausspricht.
In Berlin lehnt die Mehrzahl der WASG-Mitglieder eine Beteiligung an der
Initiative für ein Volksbegehren zur Abwahl des Berliner Senats ab. Zur Zurückhaltung gegenüber der WASG trägt aber
auch bei, dass das Vorgehen beim Aufbau der Vereinsstrukturen von vielen als sehr undemokratisch empfunden wird und teilweise auf heftigen
Widerstand gestoßen ist.
Am zugespitztesten ist die Situation in Berlin. Dort gibt es derzeit 400 Mitglieder. Die Berliner Situation stellt insofern eine Besonderheit dar,
als es eine Berliner Wahlbündnis bereits im Februar dieses Jahres gab, als bundesweit von einer Wahlalternative noch gar nicht die Rede
war.
Dieses Wahlbündnis setzte sich aus dem Kreis der Aktiven zusammen, die
bisher verschiedene soziale Proteste in der Stadt (mit)organisiert hatten und insbesondere nach der Gründung des Sozialforums und dem
Streik der Studierenden Überlegungen darüber anstellte, wie man bis zu den Abgeordnetenhauswahlen 2006 eine Wahlalternative in
der Stadt aufbauen könne. Daraus waren verschiedene Strukturen entstanden, u.a. ein Offenes Koordinierungstreffen, an dem sich
regelmäßig etwa 50 Menschen beteiligten. Als aus Ver.di-Kreisen die Initiative für eine Wahlalternative kam, nahm das Berliner
Bündnis umgehend Kontakt damit auf; fürderhin verstand es sich als Berliner Struktur der Wahlalternative.
Als nach der Vereinsgründung im Juni vom Bundesvorstand ein
Landeskoordinator eingesetzt wurde, machte der sich sofort an den Aufbau einer parallelen Struktur und gab dem bisherigen Bündnis
deutlich zu verstehen, dass es nichts zu sagen hätte.
Dass dies auch die Linie des Bundesvorstands sei, wurde noch einmal offiziell
bestätigt, als Klaus Ernst zwischen zwei Terminen die Sprecher des Berliner Bündnisses zu sich auf den Berliner Flughafen bat und
ihnen in einer 20-minütigen Unterredung klar machte, dass die Berliner Melodie jetzt in Nürnberg komponiert würde. Der Berliner
Landeskoordinator drehte den Spieß dann um und nahm die gewachsene Struktur, die einige Zeit brauchte, bis sie sich in die neuen
Strukturen integrieren konnte, zum Anlass, um »Gegenpäpste« und »Fraktionierung« zu behaupten und gegen
sechs willkürlich herausgegriffene Personen Ausschlussanträge zu stellen. Diese Personen kommen aus ganz unterschiedlichen
Zusammenhängen, vertreten verschiedene Positionen und haben ersichtlich nichts miteinander zu tun.
Dieses Vorgehen und die Weigerung, als WASG auf Landesebene Politik zu
machen, haben alle gegen den Landeskoordinator aufgebracht und zusammengeschweißt, die nicht blindlings zu seinen Getreuen
zählen. Es ist die Rede von SED-Methoden, dabei wird auch darauf verwiesen, dass der Landeskoordinator Mitglied der DKP ist.
Auf einer Diskussionsveranstaltung, zu der Vertreter des Bundesvorstands
geladen wurden, um sich ein Bild von der Situation vor Ort zu machen, erwies sich zudem, dass er auch nicht in der Lage war, die
Landesmitgliederversammlung organisatorisch vernünftig vorzubereiten. Dies geschieht jetzt unter der Ägide des Bundesvorstands;
dessen anwesende Vertreter haben sich auch von den Ausschlussanträgen distanziert. Die dürften vom Tisch sein; alles deutet darauf
hin, dass der Bundesvorstand sie nicht behandeln wird. Kontrovers bleibt allerdings, ob und wieweit sich der Landesverband in die Berliner Politik
einmischen will.
In NRW hat es vor der bundesweiten Wahlalternative keine Landesstrukturen gegeben. NRW ist darüber hinaus mit 1100 Mitgliedern
der weitaus stärkste Landesverband. Auch hier wurde ein Landeskoordinator wie in allen Landesverbänden von oben
eingesetzt. Er setzte eine Landeskoordination ausschließlich aus Leuten seines Vertrauens zusammen. Ihm wird ein autoritärer
Führungsstil vorgeworfen, was seine Kritiker auf Nachfrage vor allem daran festmachen, dass er 60% der Redezeit auf Versammlungen
für sich beanspruche.
Im Vorfeld der Landesmitgliederversammlung am 17.10. versuchte er, seinen
Amtsbonus zu nutzen und präsentierte eine vollständige Kandidatenliste von 15 Personen. Einer von ihnen hat in der Mitgliedschaft
den Spitznamen »Kandidat des Politbüros«. Gleichzeitig wurde die Zeit für die Vorstellung der 55 Kandidierenden auf ein
Minimum beschränkt, sodass vom Landeskoordinator nicht geförderte Kandidaten kaum Möglichkeit hatten, sich bekannt zu
machen. Auf diese Weise sollte die Wahl von Linken verhindert werden. Das Wahlergebnis entsprach dann auch weitgehend diesem Wunsch.
Eine Wahl nach inhaltlichen Positionen gab es nicht.
Neben dem Versuch, Personalentscheidungen möglichst
»unpolitisch« zu halten, gab es in NRW eine Kampagne gegen die SAV. Mitglieder der Landeskoordination werfen ihr vor, in Aachen
und in Köln unberechtigt im Namen der WASG gesprochen zu haben, die WASG »übernehmen« zu wollen, SAV-Material
auszulegen und in belehrendem Stil aufzutreten. Auch hier wurden Ausschlüsse gefordert. Nicht-SAV-Mitglieder weisen diese
Vorwürfe mindestens für Köln zurück. Anders als in Berlin ist es in NRW jedoch gelungen, durch mäßigendes
Eingreifen Dritter zu verhindern, dass die Stimmung eskalierte und der Bundesvorstand dazwischen gehen musste.
Das Vorgehen gegen die SAV hat Befürchtungen geweckt, es solle
allgemein Stimmung gegen Mitglieder gemacht werden, die aus Parteien links von der SPD kommen, weil diese Parteien eine Konkurrenz
für die WASG seien. Die Befürchtung wird auch dadurch genährt, dass Vertraute des Bundesvorstands gegenüber der
nicht informierten Mitgliedschaft den Eindruck erweckt haben, die Kritiker wollten fundamental andere politische Ziele durchsetzen, sie
würden die politische Plattform der WASG missbrauchen, um andere politische Richtungen, die nicht mit ihren Zielen kompatibel sind,
durchzusetzen.
Dieser Angriff wurde zurückgewiesen; die Kritiker bestehen darauf, dass
es sich hier um Differenzen über Fragen der innerorganisatorischen Demokratie handelt. Das ist allerdings auch eine politische Frage.
Inzwischen verweisen Mitglieder des Bundesvorstands darauf, es gebe innerhalb der WASG »zwei verschiedene politische Kulturen«,
eine mehr geprägt durch die traditionelle Arbeiterbewegung, die andere mehr geprägt durch die neuen sozialen Bewegungen. Dieser
Konflikt könne nur politisch gelöst werden, nicht administrativ.
Was die Landespolitik betrifft, sind allerdings auch hier nicht alle strittigen Punkte
ausgeräumt. Die Linken machen sich dafür stark, dass die WASG als Teil der sozialen Bewegungen aufgebaut wird, nicht als
Wahlverein. Auch sie wollen ab sofort Landespolitik machen, sie wollen die Wahlbündnisse, die zu den Kommunalwahlen angetreten sind,
für ein gemeinsames Bündnis zu den Landtagswahlen ansprechen, und sie lehnen eine Koalition mit den Sozialräubern ab.
Die WASG wird nicht dabei stehen bleiben können, alte
sozialdemokratische Ideale hochzuhalten. Sie wird sich den neuen Fragen und den Anforderungen anderer Generationen als der, die aus der
SPD kommt, öffnen müssen, wenn sie Boden gewinnen will. Wenn diese Auseinandersetzung konstruktiv ausgehen soll, kommt sie
nicht darum herum, demokratische Spielregeln einzuführen. Einige davon wurden auf der Landesmitgliederversammlung in NRW
eingeklagt: Gleichberechtigung aller Mitglieder, Kontrollierbarkeit und Rechenschaftspflicht der Gremien, Abwählbarkeit der Mandatierten,
Trennung von Amt und Mandat.
Angela Klein
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