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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2004, Seite 14

Brasilien

Die PT nach den Kommunalwahlen

Rein zahlenmäßig ist die Arbeiterpartei (PT) nach der ersten Runde als Sieger aus den brasilianischen Kommunalwahlen hervor gegangen.

Die PT wurde mit 16,3 Millionen Stimmen (das sind 17% der Stimmen, die dem Anteil der PT im Parlament und im Senat nach den Wahlen von 2002 entsprechen) wieder die am meisten gewählte Partei Brasiliens. Mit 402 Bürgermeistern wurde eine deutliche Steigerung gegenüber bisher maximal 187 erreicht.
Die besten Ergebnisse gab es in den großen Städten: von den 76 Städten mit mehr als 150000 Wählern, in denen die PT eigene Kandidaten ins Rennen schickte, wurden elf schon im ersten Wahlgang gewonnen (darunter sechs Landeshauptstädte). In der Stichwahl am 31.10. besteht die Chance, noch in weiteren 24 Städten erfolgreich zu sein, davon sind neun Landeshauptstädte.
Bei näherem Hinsehen erweist sich die Lage allerdings als sehr kompliziert. Vor allem im Gefolge der Bundespolitik droht sich der politische Schwerpunkt der Partei immer weiter in Richtung Sozialliberalismus zu verschieben.
Die Kommunalwahlen 2004 sind von verschiedener Seite als Testfall für die brasilianische Bundesregierung Lula gesehen worden. Bei einem Erfolg würden sich die Regierung und die Mehrheit der PT in ihrem Kurs bestätigt sehen. Eine Wahlniederlage, besonders in den Landeshauptstädten, wäre als Signal zur Verstärkung der rechten Parteien in der politischen Arena des Landes und ihrer möglichen Rückkehr an die Regierung in 2006 zu deuten.
Für die PT-Linke sind die Resultate des Wahlkampfs so oder so problematisch: Ein Misserfolg wäre eine schwere Niederlage auch für sie selbst; ein Wahlsieg würde andererseits den Kurs der Regierung Lula, ihre neoliberale Wirtschaftspolitik und die Bündnispolitik der PT-Mehrheit mit bürgerlichen Parteien legitimieren.
Im Wahlkampf waren sich alle Strömungen zunächst wieder einig: In der Hauptsache ging es darum, die Gegner der PT zu besiegen und danach die politische Auseinandersetzung innerhalb der PT fort zu führen. Wer sind aber genau die Gegner der PT und worauf konzentriert sich die innerparteiliche Auseinandersetzung nach den Kommunalwahlen?

Gefährliche Bündnispolitik

Im Wahlkampf stand die PT aber nicht allein. Waren ihre früheren Kommunalwahlkämpfe durch Bündnisse charakterisiert, in der ausschließlich linken Parteien zu finden waren (Frente Popular), so ging die PT diesmal alle möglichen Koalitionen ein, besonders in den größeren Städten (59%) und Landeshauptstädten (56%). In den kleineren Städten lag diese Quote bei 40,7%.
Für den Wahlsieg scheinen die Bündnisse dennoch nicht der entscheidende Faktor gewesen sein, denn es gibt genügend Beispiele, bei denen die PT auch im Bündnis mit bürgerlichen Parteien schwere Niederlagen erlitt. Von den 41 Niederlagen in den Großstädten war die PT in 23 davon mit rechten Parteien zusammen. Die einfachen Wähler hat sich sicherlich gefragt, gegen wen eigentlich der Wahlkampf der PT gerichtet ist, wenn sie in der einen Stadt mit Parteien verbunden ist, die in der Nachbarstadt als ihre Gegner bezeichnet werden…
Die Rolle der brasilianischen Parteien im Wahlkampf ist traditionell geringer als die Bedeutung der Persönlichkeiten, die als Kandidaten auftreten. Ausnahme war die PT, die immer auf die Bedeutung der Partei, ihr Programm und ihre Geschichte verwies. Für sie war der Wahlkampf ursprünglich auch gar nicht die Hauptsache. Sie wollte eine demokratische Revolution in Brasilien vorbereiten. Dabei sollten Wahlen nur ein begrenztes Mittel darstellen.
Nicht wenige der heute führenden Persönlichkeiten der PT machten in den 80er Jahren Wahlkampf in dem Bewusstsein, dass damit kein Sieg möglich war und es sich ausschließlich um ein Lernprozess handele, in dem die Partei als linke politische Alternative aufgebaut werden sollte.
Die Strategie, mit einem klaren, kohärenten Programm und einer sehr motivierten freiwilligen und engagierten Militanz aufzutreten, hat eindeutig ihre Wirksamkeit bewiesen. Binnen zwei Jahrzehnten entwickelte sich die PT zur wichtigsten politischen Linkspartei Brasiliens und Lateinamerikas — mit einer wachsenden institutionellen Vertretung sowohl auf kommunaler wie auf bundesstaatlicher Ebene und einer besonderen Präsenz in den wichtigsten sozialen Bewegungen.

»Blairisierung«

Nach den Niederlagen Lulas bei den Bundeswahlen 1989 gegen Collor de Melo, 1994 und 1998 gegen Cardoso ist die PT-Mehrheit jedoch allmählich zu einer anderen Strategie übergegangen. Gestützt auf breite Koalitionen sollte die institutionelle Macht der Partei gestärkt werden. Immer mehr wurden die Türen für Mitglieder geöffnet, die keinen Bezug zur Parteitradition hatten; Parlamentarier anderer Parteien wurden aufgenommen, die in der PT bessere Wahlchancen für sich sahen; es wurden Direktwahlen zum Vorstand durchgeführt, die die Bedeutung der parteiinternen Debatten herabsetzten; Investitionen in Marketing und Professionalisierung des Parteiapparats wurden massiv erhöht; und nicht zuletzt wurde die Intensität der politischer Bildung und der programmatischen Auseinandersetzung drastisch verringert. Zug um Zug wurde der Weg in Richtung Institutionalisierung und »Blairisierung« eingeschlagen. Dabei kam die PT in der Bevölkerung immer mehr als »normale« Partei an — also ohne ihr traditionelles Profil.
So beschränkt sich die PT in ihren Aktivitäten mittlerweile größtenteils auf den Wahlkalender, nach dem alle zwei Jahre die Mitglieder mobilisiert werden. Die Teilnahme der Mitgliedschaft an sozialen Bewegungen, die parallel zu den Erfolgen der PT einen großen Aufschwung in den 80er Jahren erlebten, wurde geringer, so dass schon beim PT-Kongress 2001 nur noch etwa ein Viertel der Teilnehmenden diesen zuzuordnen waren.
Die Mehrheit der Delegierten ist in irgendeiner Form im institutionellen Apparat integriert und ihr Einfluss auf die parteipolitischen Entscheidungen hat inzwischen ein sehr großes Gewicht. Auf diesem Hintergrund war es bis zur Veränderung des Programms, bis zu Beschlüssen über Bündnisse mit bürgerlichen Parteien und bis zur Annahme des neuen Wahlkampfkonzepts, nach dem sehr viel Marketing, Spenden von Unternehmen und Verhandlungen mit den Gegnern notwendig seien, nur noch ein kleiner Schritt.
Der Wahlsieg Lulas im Oktober 2002 wurde als Krönung des erfolgreichen Strategiewechsels gewertet, auch wenn er eigentlich viel mehr dem Scheitern der neoliberalen Politik Cardosos geschuldet ist. Nach diesem Argumentationsmuster wird auch versucht, die PT-Wahlerfolge mit den breiten Koalitionen bis hinein ins bürgerliche Lager zu begründen; auch wenn die Tatsachen dem widersprechen und zeigen, dass Regierungskoalitionen mit bürgerlichen Parteien in Regierungen in der Regel scheitern. Parteipolitisch war der Schaden immer wieder groß, weil in der Mitgliedschaft eine langfristige Demobilisierung einsetzte.

Demobilisierung

Nach dem Amtsantritt Lulas ist der von der PT-Mehrheit getragene versöhnlerische Kurs dennoch vertieft worden. Der von ihm propagierte Sozialpakt geht von der These aus, dass es möglich sei, klassenmäßige soziale und politische Interessengegensätze unter einen Hut zu bringen und durch Verhandlungen zu Alternativen zu kommen, die alle befriedigen können.
Die Geschichte lehrt uns aber, dass alle Versuche, durch politische Verhandlungen mit den Eliten weitreichende Veränderungen zugunsten der Mehrheit der brasilianischen Bevölkerung zu erreichen, nicht nur wenig brachten und schließlich gescheitert sind, sondern auch zur Resignation und Demobilisierung der Massen führten. Die PT-Mehrheit muss sich fragen lassen, was durch die neue Strategie tatsächlich erreicht wurde.
Die Frage stellen heißt sie zu beantworten: Lula und die PT haben sehr viel von ihrem Programm aufgegeben, um ein »Ambiente« für politische Stabilität und Regierbarkeit zu schaffen, jedoch nur sehr geringe Erfolge bei strukturellen Veränderungen auf zu weisen. In der Überzeugung, dass die wichtigsten sozialen Bewegungen hinter ihr stehen, konnte die Regierung Lula sogar Positionen zugunsten der Eliten und gegen die Interessen der Arbeitenden durchsetzen, die eine konservative Partei sich aufgrund des Widerstands von PT und Sozialbewegungen kaum hätte leisten können.
Behält die PT-Mehrheit ihren Kurs bei, droht eine weitreichende Demobilisierung der sozialen Bewegungen. Mit der Überschätzung der Kraft und Zuverlässigkeit bürgerlicher und mittlerer Klassen auf der Suche nach »Regierbarkeit«, wird die Rolle der sozialen Mobilisierung für strukturelle Veränderungen völlig unterschätzt. Die PT ihrerseits tendiert immer mehr dazu, zum bloßen Transmissionsriemen der Regierung zu werden, deren Vorstand sich verselbstständigt, weil er nicht mehr mit einer Kultur der Selbstorganisation, direkter Beteiligung und Mobilisierung der Massen konfrontiert ist.
Für den linken Flügel innerhalb der PT ist dies besonders schwierig, denn er weiß, dass die Wahrscheinlichkeit, die Niederlage der PT als Gesamtprojekt zu verhindern, sehr gering ist. Manche aus ihren Reihen haben den Kampf in der PT schon aufgegeben und versuchen, eine neue Linkspartei aufzubauen (PSOL), die den von der PT verlassenen Raum besetzen soll. Die Zersplitterung und Schwächung der Linken in Brasilien ist schon im Gange.
Nach den Kommunalwahlen dürfte sich der schon laufende Prozess einer Vereinigung der linken Strömungen innerhalb der PT fortsetzen. Die Zeit drängt. Um den Kurs der Regierung Lula und der PT beeinflussen zu können, muss schnell gehandelt werden, weil nach der brasilianischen Verfassung der Eintritt neuer stimmberechtigter Mitglieder in Parteien und die wichtigsten politischen Richtlinien für eine Wiederwahl Lulas spätestens bis zum 3.Oktober 2005 geregelt sein müssen. Die PT-Mehrheit hat indessen den für 2005 geplanten Parteitag vom ersten auf das zweite Halbjahr verschoben.
Die größte Aufgabe der Linken dürfte darin bestehen, den Widerstand gegen die »ideologische Regression« der Partei auf allen Ebenen zu koordinieren und die zunehmende Zerstreuung der Mitglieder zu verhindern, denn schließlich handelt es sich um Zehntausende von Aktivisten, die in den letzten Jahrzehnten einen entscheidenden Beitrag zur Politisierung des Landes geleistet haben.

Antônio Inácio Andrioli

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