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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2004, Seite 19

Ernesto Cardenal

— der alte Mann und die Revolution

Was ist das für eine Faszination, die heute noch die Säle füllt, wenn Ernesto Cardenal auftritt? Wieso kommen in der Provinz Hunderte von Menschen, um die Geschichte seines Lebens zu hören, seine Schlussfolgerungen aus der Geschichte Nikaraguas und des Kampfes gegen die Diktatur Somozas und die Herrschaft der US-Konzerne zu verfolgen? So geschehen Anfang Oktober in mehreren Städten Deutschlands, 25 Jahre nach jener Revolution in Nikaragua, die Ernesto Cardenal, der demnächst 80 Jahre wird, zum Kulturminister machte. Volle Säle in Münster, Weimar, Recklinghausen und Bonn. Jubelnder Beifall vor allem bei jungen Besuchern, denen er aus seinen Erinnerungen vorliest.
Anlässlich des Erscheinens des dritten Bands seiner Autobiografie führte ihn eine Lesereise erneut nach Deutschland, wo seine Dichtungen und anderen Bücher seit langer Zeit im Peter-Hammer- Verlag erscheinen. Organisiert und musikalisch passend begleitet wurden seine Auftritte von der »Grupo Sal«, einer südamerikanisch-deutschen Band, die in ihrer zeitgenössischen Musik traditionelle und politische Folklore, jazzige Elemente vereint. Sie schaffen mit poetischen und kraftvollen Liedern eine gelungene Verbindung zu den Texten, die von Ernesto Cardenal im Wechsel mit seinem Verleger Hermann Schulz gelesen werden.
Cardenal setzt sich leise auf das Podium, lässt die Musik und die Begrüßung wirken und beginnt auf Spanisch zu lesen — die Leute gehen mit, freuen sich über die gelungene deutsche Übersetzung und brechen in langen Beifall aus, wenn Cardenal endet.
Seine Erinnerungen umfassen vor allem die Zeit der Revolution in Nikaragua, die Jahre des Aufbaus bis hin zu den Wahlen 1990, bei denen die Sandinisten unter dem starken Druck der Contras auf die Bevölkerung abgewählt wurden. Er sagt, das sei seine schwerste Nacht gewesen, aber es sei richtig gewesen, das Ergebnis der Wahl zu akzeptieren.
Die seltene Verbindung von christlichen und radikalen politischen Vorstellungen, von Dichtung und revolutionärer Praxis — als Priester, Freiheitskämpfer und Minister — ist für die Zuhörer von Ernesto Cardenal der entscheidende Grund, sich von ihm und der Musik mitnehmen zu lassen: »Das wahre Christentum ist es, die Revolution zu machen.«

Rolf Euler

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