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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2004, Seite 4

Zum 90.Geburtstag Jakob Monetas

Wie ein Kristall

von Georg Fülberth

Zu den positiven Errungenschaften nach 1945 gehört die Kolumne. Diese Textsorte kam, wie so vieles, aus den USA in ein Land, in dem es bisher nur den Leitartikel gab: die Trompete, nach deren Signal sich das gesamte Blatt zu richten hatte.
Die Kolumne dagegen ist der gewollte Fremdkörper in der Zeitung. Sie wird grundsätzlich nicht redigiert, der Verfasser ist autonom, sein Artikel verhält sich kontingent zum sonstigen Blatt. Natürlich hat das Grenzen: man nimmt nicht jede(n), und Autor(inn)en überlegen sich, wo sie schreiben. Ist das geklärt, melden sie sich regelmäßig mit dem zu Wort, was sie ohne vorherige Absprache für wichtig halten.
Inzwischen ist diese Gattung teilweise wieder heruntergekommen, unter anderem dadurch, dass Parteiführer bis herab in die Generalanzeiger-Presse mit ihrem eigenen Bild und Texten ihrer Ghostwriter Verlautbarungen veröffentlichen. Es wäre angemessen, wenn sie Anzeigenpreise zahlen müssten, und man fragt sich, ob sie stattdessen etwa auch noch Honorar bekommen. Die Differenz zwischen Generallinie einer Zeitung und regelmäßigen Gastbeiträgen ist in den meisten anderen Fällen nur gering. Die bekanntesten linken Kolumnisten der Bundesrepublik, Ulrike Meinhof und Hermann L. Gremliza, waren (oder sind) aufs eigene Blatt angewiesen.
Auch zwischen Jakob Moneta und der Sozialistischen Zeitung — SoZ besteht ein unverkennbares Nahverhältnis. Und doch sind seine Kolumnen, die dort erschienen sind, durch jene Kontext-Unabhängigkeit charakterisiert, die den ganzen Mann charakterisiert.
Jakob Moneta, ein revolutionärer Sozialist der IV.Internationale und grundsätzlicher Kritiker der Bürokratien (auch und gerade der sozialistischen), hat doch auch in Apparaten gearbeitet, unter anderem als Chefredakteur von Metall, der Mitgliederzeitung der IG Metall. Er war einige Zeit sogar in einer staatlichen Behörde tätig: im Auswärtigen Amt und als Sozialreferent in der Pariser Botschaft der BRD unter dem ehemaligen Marxisten und nachmaligen guten Katholiken Wilhelm Hausenstein.
Kann so etwas gut gehen? Wohl nur bei Jakob Moneta. Wo er auch war und ist: in der Gewerkschaft, in der SPD, in der PDS — immer stellt er eine besondere politische Einheit dar, auf die die Umgebung nicht abfärbt. Sein politischer Charakter hat etwas von einem Kristall, der nicht aufgelöst werden kann. Das macht die Prägung durch ein langes Leben in der Arbeiterbewegung und der feste Ort des Emigranten und Vielgereisten in seiner eigenen kleinen sozialistischen Organisation, die für ihn Priorität vor allen Großverbänden hat.
Der Kristall ist nicht opak, sondern klar strukturiert und berechenbar. Er bietet eine die Welt gliedernde Sicht an. Da das Interpretationsmuster rational ist, lässt es sich auf sehr verschiedenartige Gegenstände anwenden. Diese findet man in seinen Kolumnen. Die Koordinaten sind: die Interessen der lohnarbeitenden Menschen und der Internationalismus. Der Rahmen ist so weit gespannt, dass Ergebnisse neuer Lernprozesse ohne jede Künstelung darin Platz finden, etwa Aussagen zum Geschlechterverhältnis und zur Ökologie. Was das Interesse der Arbeiterklasse sei, wird unverschnörkelt gesagt: es ist letzten Endes der Sozialismus, der nicht reformierend herbeigewartet werden kann, sondern revolutionär erkämpft werden muss.
Die hier versammelten Texte umfassen einen interessanten Zeitraum: beginnend 1987 und über die Jahre des Umbruchs in Osteuropa hinweg bis in die Gegenwart. Bei aller Wachheit dieses Autors fällt eine merkwürdige Unberührtheit von den Tagessensationen auf. Das ist nicht Kälte — das warme Herz hinter dem kühlen Verstand ist immer spürbar —, sondern Ausdruck von Erfahrung und Intelligenz. Jakob Moneta hat vieles schon lange vorher kommen sehen, und als es dann eintrat, fand er keinen Anlass zur Rechthaberei.
Wer im November 1989 Glück hatte, traf damals im Gespräch auf Gewerkschafter, die sich von der Oper, die da gerade auf der großen Weltbühne gegeben wurde, wenig beeindruckt zeigten. Mit einer gewissen Sturheit sprachen sie von der nächsten Tarifrunde, von schwierigen Klassenauseinandersetzungen in der Bundesrepublik, und es war von ihnen auch zu hören, dass es ohne Sozialismus letztlich nicht gehen werde. Jakob Moneta war der Inbegriff dieser Haltung, meinetwegen auch ein organischer Intellektueller dieser so schmalen wie wertvollen Schicht. Seine Kolumne vom 9.November 1989 trägt den Titel »Sächsisch lernen«. Er handelt von der 35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich, der Freistellung des Wochenendes von der Regelarbeitszeit, notwendigen Lohnerhöhungen, und der Autor wendet sich gegen überlange Laufzeiten der Tarifverträge. Jakob Moneta wiegelte auf: »Stärker als die Stasi können unsere ›Ordnungskräfte‹ doch wohl auch nicht sein!«
Es gibt mehrere Gründe, diese Texte nicht nur mit intellektuellem Vergnügen und zeitgeschichtlicher Neugier zu lesen, sondern auch mit Dankbarkeit.

(Der obige Text ist das Vorwort zu der anlässlich Jakob Monetas Geburtstag am 11.November 2004 erschienen Broschüre Solidarität im Zeitalter des Skeptizismus, die eine Auswahl der Beiträge Jakob Monetas (vor allem seiner regelmäßigen Kolumnen) für die SoZ enthält.)



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