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Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt hat seine Lehren aus dem
Wahlerfolg der NPD bei der Landtagswahl in Sachsen gezogen. Man müsse sich um die Wähler der NPD
kümmern, »man müsse schauen, was die Motive dieser Menschen sind und ob die demokratischen
Parteien wirklich eine Antwort auf ihre Fragen und Probleme haben«. Fraglos ist für ihn, dass die
Schuld für das Debakel nicht in Sachsen zu suchen ist. 80% hätten »aus bundespolitischen
Erwägungen für diese Partei gestimmt«. Sein Fazit: die CDU müsse sich nach rechts
öffnen, müsse Themen wie »Heimat« und »Einwanderung« stärker besetzen.
»Das Thema Zuwanderung wird in Deutschland viel zu intellektuell diskutiert.«
Wohl in einer Art vorauseilendem Gehorsam haben
zwei Abgeordnete aus dem Regierungslager bei der Wahl des Ministerpräsidenten diese Öffnung nach
rechts in die Tat umgesetzt. In beiden Wahlgängen stimmten sie für Uwe Leichsenring, den Kandidaten
der NPD für das Amt des Ministerpräsidenten. Bei der Vergabe der Ausschussvorsitze wäre es der
NPD fast gelungen, diesen Posten im wichtigen Verfassungs- und Rechtsausschuss zu ergattern. Den Bock zum
Gärtner machen, nennt man das wohl. Milbradt hat jetzt endgültig die berühmte Büchse der
Pandora geöffnet. Von einer Strategie gegen die extreme Rechte keine Spur.
Zwölf Abgeordnete der NPD sitzen seit dem
19.September im sächsischen Landtag. Mehr als 191000 Menschen hatten bei der NPD ihr Kreuz gemacht. In nur
wenigen Wahlkreisen blieb die älteste Partei der extremen Rechten in Deutschland unter 5%. In ihrer
traditionellen Hochburg, der Sächsischen Schweiz, kam sie in einem der beiden Wahlkreise über 15%.
Dass die SPD nur knapp besser abschnitt als die NPD, hat sie den Großstädten zu verdanken. Dort und
im direkten Umland von Leipzig, Chemnitz und Dresden liegen die Schwachpunkte der NPD. Auf dem flachen Land
waren Ergebnisse um und über 10% die Regel. In rund der Hälfte aller Wahlkreise schnitt die NPD
besser ab als die SPD.
Zwar ist es richtig, dass ein Schwerpunkt der Zustimmung bei jungen männlichen Wählern lag, doch
wäre es verfehlt, von einem Jugendproblem auszugehen. Auch in der Altersgruppe zwischen 30 und 40 gab es
für die NPD überdurchschnittliche Wahlergebnisse. Auch mangelnde Bildung kann nicht ausschlaggebend
gewesen sein. Mehrheitlich machten Menschen mit einem mittleren Abschluss ihr Kreuzchen bei der NPD. Insgesamt
ergibt sich das Bild einer jungen Facharbeiterpartei.
Prognosen, die eine relativ leichte
Rückholbarkeit des Wählerpotenzials voraussagen, weil das Wahlverhalten junger Menschen nicht stabil
sei, sollten mit Skepsis behandelt werden. Denn Tendenzen zu einer Stammwählerschaft sind nicht zu
übersehen. Die Resultate der NPD sind fast überall dort besonders erschreckend, wo sie bereits
kommunalpolitisch verankert war oder ihre personellen und organisatorischen Hochburgen hat.
Das schlägt sich auch beim »dreckigen
Dutzend«, der Riege der Landtagsabgeordneten, nieder. Der selbstständige Krankenpfleger Klaus Baier
ist seit 1999 Stadtrat in der Kreisstadt Annaberg-Buchholz; Mirko Schmidt wurde im Juni als Stadtrat in
Meißen wiedergewählt; Johannes Müller (Sebnitz) und Uwe Leichsenring (Königstein) sitzen
sowohl in den jeweiligen Stadträten wie auch im Kreistag Sächsische Schweiz. Der Fraktionsvorsitzende
Holger Apfel, ein Westimport aus Niedersachsen, ist nicht nur stellvertretender Parteivorsitzender der NPD,
sondern sitzt auch seit Juni für das örtliche Nationale Bündnis Dresden im Stadtrat der
Landeshauptstadt.
Neben Apfel stammen noch drei weitere NPD-
Parlamentarier aus dem Westen. Der Historiker Jürgen Gansel, auch bei der Jungen Landsmannschaft
Ostpreußen aktiv, war Burschenschafter in Marburg. Alexander Delle kommt aus Baden-Württemberg und
war langjähriger Funktionär der Jungen Nationaldemokraten (JN). Klaus-Jürgen Menzel kommt aus
Niedersachsen, war früher in der ÖDP und bei den REPs aktiv und betätigt sich nebenbei bei der
revanchistischen Interessengemeinschaft für die Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands. Unmittelbar nach der
Wahl machte er Schlagzeilen, da kolportiert wurde, er habe Parteigelder veruntreut eine unliebsame
Publicity auch für den NPD-Landesvorsitzenden Winfried Petzold, der Anfang der 90er Jahre in gleicher
Funktion bei den REPs war. Nicht nur seine Privatinsolvenz wurde umgehend bekannt, auch ein Ladendiebstahl im
Baumarkt.
Petzold gehört zu der alten Riege der NPD-Funktionäre, die selbst den eigenen Leuten ein wenig
peinlich sind und die man besser nicht öffentlich reden lässt. Im Landtag sitzt der Landesvorsitzende
in der letzten Reihe. Den Kurs der Fraktion bestimmen andere. Neben Leichsenring und dem Arzt Johannes
Müller sind dies vor allem die Wessis. Sie haben durchweg langjährige, meist überregionale
Organisationserfahrung, sind eingebunden in die strategischen Planungen der Partei und besitzen so etwas wie
intellektuelles Potenzial. Sie wissen nur zu genau, dass wie es der ehemalige REP-Vorsitzende Franz
Schönhuber ausdrückte die respektablen Leute erst mit dem Erfolg kommen. Damit der Wahlerfolg
vom September keine Eintagsfliege bleibt, damit man sich nicht ähnlich durch Ausrutscher auf dem
parlamentarischen Parkett blamiert wie einstmals die DVU in Sachsen-Anhalt, hat man sich mit parlamentarischen
Mitarbeitern versehen, die die offenkundigen Mängel ausgleichen sollen.
Eine martialische Gestalt wie Klaus Wartenfelser,
ausgestattet mit einem imposanten Schnauzbart und einer Schläfentätowierung in Frakturschrift, ist
dabei die Ausnahme. Er war Leiter des Ordnungsdienstes der NPD im Saarland und kam mit dem
Fraktionsgeschäftsführer Peter Marx, dem eigentlichen starken Mann im Hintergrund. Auch Kerstin
Lorenz ist nicht typisch für die Angestellten der NPD-Fraktion. Die gelernte Köchin wurde mit einem
Job für unbestreitbare Verdienste um die sächsische NPD belohnt. Als damalige Landesvorsitzende der
REPs sorgte sie im Herbst dafür, dass die Wahlunterlagen für die ungeliebte Konkurrenz der NPD nicht
eingereicht wurden. Offen warb sie dann für die NPD, um einen Tag vor der Wahl öffentlichkeitswirksam
dieser Partei beizutreten.
Der Saarländer Marx ist es, der in der
Fraktion unübersehbar die Strippen zieht. Der Rechtsanwalt hatte wenige Wochen vor der Landtagswahl in
Sachsen im Saarland, nicht gerade eine Hochburg der NPD, 4% für seine Partei erreicht. Marx hat Erfahrung
in seinem neuen Job. In gleicher Funktion war er bereits für die NPD im Frankfurter Römer wie auch im
Kreistag Darmstadt-Dieburg tätig gewesen. Gemeinsam mit dem jetzigen Parteivorsitzenden Udo Voigt und mit
Holger Apfel soll er einer der Initiatoren des Sturzes des damaligen NPD-Chefs Günter Deckert gewesen
sein.
Marx hat angekündigt nur so lange bleiben zu
wollen, »bis der Laden läuft«. Deshalb ist auch sein Nachfolger bereits mit an Bord. Ulrich
Eigenfeld, NPD-Landesvorsitzender in Niedersachsen und Generalsekretär der Partei, ist zwar
innerparteilich umstritten, gilt jedoch als treuer Gefolgsmann von Voigt. Dem wiederum muss daran gelegen sein,
dass einerseits in Sachsen nicht ein neues Machtzentrum gegen die Parteizentrale in Berlin entsteht,
andererseits der Informationsfluss zu ihm gesichert ist.
Den »Zermürbungskrieg des
parlamentarischen Alltags zu verhindern«, so das wichtige rechte Monatsblatt Nation + Europa, dazu solle
»der Stab der Referenten und wissenschaftlichen Mitarbeiter beitragen«, der »das Zeug zu einem
echten ›think tank‹, einer rechten Denkfabrik hat«. Das Blatt ist des Lobes voll: »Bei
seiner Zusammensetzung wurde erstmals auf bewährtes Personal aus der ganzen ›Szene‹
zurückgegriffen, auf Kompetenz weit über die eigenen Parteigrenzen hinaus.«
Der Autor Karl Richter weiß, wovon er
spricht, denn er gehört selbst zu diesem »bewährten Personal«. Sein Bild ging kürzlich
durch die Medien als Komparse im Film Der Untergang. Wichtiger als seine schauspielerischen Gehversuche
sind allerdings die Schritte auf seiner politischen Karriereleiter: Aktiver der Münchner Burschenschaft
Danubia, Redakteur der rechten Jungen Freiheit, Pressesprecher der REPs in Bayern und Chefredakteur des
Parteiorgans, Landesvorsitzender der Deutschen Liga für Volk und Heimat, Redakteur bei Nation + Europa und
zwischenzeitlich auch bei der Zeitschrift Opposition. Richter, der über Richard Wagner promoviert hat,
sitzt außerdem im Vorstand der parteiübergreifenden rechten Kulturvereinigung »Gesellschaft
für freie Publizistik«. Jemand mit zahlreichen Verbindungen also, auf dessen Beziehungen die
sächsische NPD dankbar zurückgreifen wird.
Mit Andreas Molau ist ein weiterer ehemaliger
Redakteur der Jungen Freiheit für die Mitarbeit in der Fraktion gewonnen worden. Dort ist er 1994 im
Streit ausgeschieden. Er beklagte damals eine Öffnung des Blattes zur Mitte bzw. sogar versuchte
Brückenschläge nach links. Der Niedersachse Molau kommt aus einer bündischen Korporation, der
»Deutschen Hochschulgilde«. In den vergangenen Jahren war es still um ihn geworden. Artikel unter
seinem eigenen Namen waren nicht mehr zu finden. Allerdings sprechen einige Indizien dafür, dass er unter
dem Pseudonym »Hauke Nanninga« weiterhin aktiv war auch für das NPD-Organ Deutsche
Stimme. Das Schweigen hatte seinen guten Grund. Molau wollte in seinem neuen Job nicht auffallen. Bis zu seinem
jetzigen Outing arbeitete er als Lehre für Deutsch und Geschichte an der Freien Waldorfschule in
Braunschweig.
Die personellen und organisatorischen Voraussetzungen dafür, dass man das selbst gesteckte Ziel in der
Landtagsarbeit Fundamentalopposition und Sachpolitik erfüllen kann, scheinen also gegeben.
Bereits jetzt ist Sachsen bundesweit der stärkste Landesverband der NPD. Die finanziellen Grundlagen haben
dafür großzügige Mäzene wie der Leipziger Immobilienkaufmann Wolfgang Schüler gelegt,
der in den vergangenen Jahren der NPD einige hunderttausend Euro gespendet hat.
Die finanzielle Basis wird sich noch deutlich
verbessern. Denn künftig fließen nicht nur stattliche Summen an die Fraktion, die Staatsgelder werden
auch dazu beitragen, eine annähernd flächendeckende Arbeit mit hauptamtlichen Kräften
möglich zu machen. In dieser zweiten Reihe werden vorwiegend langjährig bewährte
Funktionäre wie Marcus Müller, Kreisvorsitzender im Muldentalkreis, oder der aus Rheinland-Pfalz
stammende Sascha Wagner, stellvertretender Wahlkampfleiter der NPD, eingesetzt. Auch das ist eine wichtige
Voraussetzung dafür, dass der Erfolg des 19.September keine Eintagsfliege bleibt.
Das nächste Ziel sei jetzt, verkündete
Holger Apfel im Siegesrausch nach der Wahl, der Einzug in den Reichstag 2006. Noch glaubt kaum jemand
auch nicht im Lager der extremen Rechten an den Realitätsgehalt dieses Wunsches. So resümiert
Franz Schönhuber: »Die Wahlen von Sachsen und Brandenburg waren nach meiner Auffassung weniger ein
Triumph der Rechten als vielmehr ein Desaster der Etablierten und damit des sie tragenden Systems.« Der
Denkzettel sei kein Garantieschein auf Dauer. Zwar habe DVU-Chef Gerhard Frey »politischen
Realitätssinn« bei seinem Nichtangriffspakt mit der NPD in Sachsen und Brandenburg bewiesen, doch
zweifelt Schönhuber wegen der »Erfahrungen der Vergangenheit« am Bestand des jetzt
verkündeten Bündnisses zwischen beiden Parteien für die Bundestagswahl 2006 und die Europawahl
2009.
In der Tat war das Verhältnis zwischen beiden
Parteien immer äußerst fragil. Am letzten Bündnis 1988/89 wäre die NPD fast zerbrochen.
Damals war die NPD von der DVU über den Tisch gezogen worden. Heute glaubt sie, den Spieß umdrehen zu
können. Diese Gefahr sehen auch einige DVU-Mandatsträger. So spricht sich die DVU-Fraktion in
Brandenburg gegen das Abkommen aus.
Wer wen übertölpeln wird, ist noch nicht ausgemacht. Doch die Schwäche ihrer Gegner ist die
Stärke der NPD. Während bei der Landtagsfraktion der PDS der Umgang mit der NPD und die
Zurückdrängung der extremen Rechten zentrales Thema gleich der ersten Fraktionssitzungen war,
spiegelt der Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD, der Notgemeinschaft der Verlierer, auch nicht ansatzweise
Problembewusstsein wieder. Getreu der alten Totalitarismusdoktrin setzt man hier weiterhin links gleich rechts,
bedauert die Erfolge der »Extremisten von links und rechts«. Hermann Winkler, vom
Generalsekretär der CDU zum Chef der Staatskanzlei aufgestiegen, warnte im Wahlkampf vor »rot-
grün-braunem Chaos«. Konzepte sind in diesem politischen Lager Mangelware.
Obwohl seit der Landtagswahl die Gewalt von rechts
und das Bedrohungspotenzial drastisch zunimmt, halten sich die zahlreich vorhandenen
»zivilgesellschaftlichen Initiativen« merklich zurück. Eine neue Qualität der Gewalt wurde
mit dem Bombenanschlag auf das Netzwerk für demokratische Kultur in Wurzen erreicht. Die Antwort der
Betroffenen: eine Unterschriftensammlung gegen Gewalt. Im November fand in Wurzen eine Tagung des Netzwerks
»Tolerantes Sachsen« statt, eine Dachorganisation mit rund 60 Mitgliedsvereinen. Anwesend war
lediglich rund die Hälfte von ihnen. Konkrete Forderungen an die Landespolitik unterblieben. Die
Haushaltsberatungen stehen vor der Tür und niemand will es sich mit den möglichen Geldgebern
verderben.
Jean Cremet
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