SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2004, Seite 19

Eine exemplarische Pleite

Peter Berens untersucht den Babcock-Bankrott

Peter Berens: Der Babcock-Bankrott. Korrumpieren, abkassieren, liquidieren, Köln: Neuer ISP Verlag, 124 Seiten, 9,80 Euro

Im Jahre 2002 erschütterte der seinerzeit ziemlich spektakuläre Bankrott des Oberhausener Babcock-Konzerns insbesondere das von der SPD beherrschte Land Nordrhein- Westfalen und die Westdeutsche Landesbank. Nun ist im Kölner Neuen ISP Verlag ein Buch über diese Vorgänge erschienen. Autor des Buches ist unser langjähriger Mitstreiter bei vielen Aktionen Peter — »Pit« — Berens. Er war selbst von 1981 bis 1997 als Schlosser bei Babcock beschäftigt und lange Jahre Betriebsrat und schreibt deshalb aus und mit einer erfrischend parteilichen Perspektive, ohne dabei allzu sehr in subjektivistische Spekulationen zu verfallen.
Über die wesentliche Ursache der Babcock- Pleite heißt es kurz und knapp: »Die jahrzehntelang aufgebauten Überkapazitäten auf dem Weltkraftwerksmarkt hatte die schwierige Lage Babcocks verursacht. Unter den Bedingungen kapitalistischer Konkurrenzwirtschaft war es für den Konzern kaum möglich zu bestehen, wie auch die spätere Krise des erheblich größeren und kapitalkräftigeren Alstom-Konzerns zeigen sollte. Hätte sich Babcock gegenüber der Konkurrenz durchgesetzt, dann wäre ein anderer Kraftwerkbauer aus dem Markt gedrängt worden und dort hätten die Lohnabhängigen ihre Arbeitsplätze verloren. Das Problem der Überkapazitäten konnte mit unternehmerischen Entscheidungen nicht gelöst werden.
Mit anderen Worten: die Ursache für die Babcock-Krise lagen im Kapitalismus begründet und nicht in den Fehlern des Managements. Falsche Unternehmensentscheidungen konnten das Ausscheiden des Konzerns aus dem Wettlauf der Konkurrenten höchstens beschleunigen. Dies sollte bei der Beurteilung der Politik und Verantwortung des Managements beachtet werden.«
Auf die interessante Frage, wie gewerkschaftliche oder gar sozialistische Politik und die konkrete Interessensvertretung der Arbeiterschaft im Betrieb auf einen solchen tödlichen Sachzwang reagieren könnte und müsste, geht das Buch leider nicht ein.
Stattdessen widmet es sich fast ausschließlich den eben als »Nebenursachen« des Bankrotts charakterisierten Dingen, den Managementfehlern, der Korruption der sozialdemokratischen Mafia aus IG-Metall-«Sozialpartnern«, Landesbankchef und Wirtschaftsministerium. Doch auch dieser Teil der Geschichte lohnt das Lesen und bietet einen spannenden Ausschnitt aus dem realen rheinischen Kapitalismus.
Die Namen der Akteure sind nicht nur in SPD- und IG-Metall-Kreisen wohlbekannt. Sie reichen von den SPD-Paten Wolfgang Clement, Heinz Schleußer, Harald Schartau und bis zum in linken IG-Metall-Kreisen wohlgelittenen Horst Schmitthenner. Dazwischen tummelt sich eine Schar von Provinz- und Stadtgrößen der SPD, von denen eine gruseliger und von Ämterhäufung gebeutelter ist als die andere. Und über allen waltet und schaltet eine der sozialdemokratischen Überfiguren in Nordrhein-Westfalen, der vor wenigen Wochen verstorbene Friedel Neuber, »dem einzigen Bankchef ohne Abitur und Studium in Deutschland«.
Er begleitete als Vorstandsvorsitzender den Aufstieg der Westdeutschen Landesbank zu einem der mächtigsten Bankhäuser und zu einem tragenden Instrument der Industriepolitik der Regierung in Düsseldorf. Mehrere Straf- und Untersuchungsverfahren zwangen ihn ein Jahr nach der Babcock-Pleite zum Rücktritt und sein Tod bewahrte ihn womöglich vor einer Verurteilung wegen Konkursverschleppung und anderer Delikte.
Peter Berens wertet den Filz aus SPD- und Babcock-Unternehmenpolitik, die kleinen Bereicherungsorgien von Aufsichts- und freigestellten Betriebsräten und die großen Schiebereien der Topmanager, als Paradebeispiel sozialdemokratischer Verratspolitik. Überzeugte und linke Sozialdemokraten werden ihm entgegen halten, dass es dabei vor allem um Verrat und Abweichung von sozialdemokratischen Prinzipien geht.
Wir halten uns aus der Debatte, ob das Glas halbvoll oder halbleer ist, heraus — Tatsache bleibt aber, dass die alte Phrase vom (Sozialdemokraten, auch wenn es keiner mehr glaubt) Kanzler Gerhard Schröder, dass es keine christdemokratische oder sozialdemokratische, sondern nur moderne Wirtschaftspolitik gibt, für alle die richtig ist, die ihren bedingungslosen Frieden mit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung geschlossen haben. Insofern waren die Sozis von Rhein und Ruhr brave Vollstrecker kapitalistischer, marktwirtschaftlicher Zwänge. Dass sie sich dabei noch ordentlich selbst bereichern konnten, macht das Elend für den einzelnen Akteur erträglicher.
Verlierer waren auf jeden Fall die Babcock- Beschäftigten und ihre Familien. Sie haben vereinzelt auch zu tapferen Widerstandsaktionen gefunden. Solche Aktionen werden von Peter Berens leider etwas schematisch als authentischer proletarischer Kampf dem Sozialdemokratismus entgegengestellt. Dass es in Wahrheit verwickelter, dialektischer zugegangen ist, blendet er aus: Auch dieser Widerstand hat sozialdemokratisches Bewusstsein selten überschritten. Krisenverantwortliche, Krisenmanagement und Krisenopfer unter ein einem ideologischen Zirkuszelt — das hätte schon ein paar tiefer gehende Gedanken verdient.
Aber dennoch ist hier eine gut zu lesende, faktenreiche und jedem an kapitalistischer Wirtschaftspolitik, SPD-Unfähigkeit und IG-Metall- Hilflosigkeit Interessierten zum Lesen empfohlene Studie vorgelegt worden.

Thies Gleiss

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