SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2004, Seite 22

Kolumne

Der deutsche Franz

Die US-amerikanische Sängerin Madonna hat auf ihre Art, ein Jahrhundertdilemma charakterisiert. Auf die Frage nach ihrem Verhältnis zu George Bush sagt sie »Mir gefällt die Idee der Revolution. Aber ich glaube, dass Popstars eigentlich nicht als Revolutionäre taugen, weil das ja bedeutet, dass man auch in Kauf nimmt, nicht mehr beliebt zu sein. Und das ist es, was ein Popstar ist: populär.« So etwas könnte auch gut im Poesiealbum des SPD-Vorsitzenden stehen. Der singt nicht so schön wie Madonna — tut sie dies überhaupt? —, ist mit 29% Umfrageunterstützung für seine Partei wohl auch eher ein Minoritätenprogramm als ein Popstar, aber auch er leidet so schön am realen Dasein und Image seiner Partei.
Wer hätte das noch gedacht? Nach Ebert, Noske, Schumacher, Brandt, Schmidt und Schröder, nach Burgfrieden, Kriegskrediten, Godesberger Programm, Notstandsgesetzen, Kriegsbeteiligungen und Agenda 2010 — nach 150 Jahren Verrat am Internationalismus der Arbeiterbewegung — erzeugt der alte Vorwurf, die Sozialdemokraten seien vaterlandslose Gesellen, immer noch Emotionen.
In der Debatte um den Beitritt der Türkei in die Europäische Union hatte sich der CSU-Abgeordnetensprecher Michael Glos als Motivforscher versucht, warum Gerhard Schröder wohl für den Beitritt der Türkei sei: »Diejenigen, die derzeit Deutschland führen, haben mit Deutschland überhaupt nichts am Hut. Man macht Deutschland für einmalige Verbrechen in der Vergangenheit als Land verantwortlich. Daher rührt auch so eine Art Deutschenhass in manchen Kreisen, weshalb man in Teilen der Linken hofft, dass es Deutschland nicht mehr gibt.«
Derlei Entglosung hat den Franz Müntefering mächtig auf die Palme gebracht. Er schrieb an die »Sehr geehrte Frau Dr.Merkel«: »Diese Unverschämtheit, die auf die deutsche Sozialdemokratie gezielt ist, weise ich zurück. Sie ist voller Verlogenheit in der Sache und sie ist niederträchtig im Stil. Ich halte es für erforderlich, dass sie Herrn Glos zu einer Entschuldigung veranlassen oder die Angelegenheit selbst klarstellen … Die Diffamierungen des Herrn Glos sind empörend und vergiften das politische Klima in unserer Demokratie.«
Nun geht‘s für die SPD bei ihrer vorgeblich populären Pflichterfüllung kaum noch tiefer in den Enddarm der Bourgeoisie und doch kann die Gegenseite, die ja schon lange kein Gegen mehr ist, immer noch einen alten Reflex rauskitzeln: Wir sind die teutschesten Teutschen. Herr Glos hat es uns mal wieder aufgezeigt: nur ein toter Sozialdemokrat ist ein guter, ein deutscher Sozialdemokrat. Und selbst ein Kotau bis zum Erdmittelpunkt befreit einen Herrn Müntefering nicht vom antideutschen Makel.
Es sind wahrscheinlich auch Sozialdemokraten, die im Ordnungsamt der Stadt Dresden eine denkwürdige Entscheidung getroffen haben. Das hat zwei Anmeldern der Montagsdemonstrationen die Auflage erteilt, die Teilnahme von Neonazis an der Demonstration zu dulden und sie »im Prinzip« sogar auch reden zu lassen. Auf einer öffentlichen Veranstaltung, so die Begründung, müssten alle teilnehmen dürfen, solange sie friedlich sind. Die friedlichen Stiefeldeutschen werden in ihrer Arbeit von friedlichen Schreibtischdeutschen geschützt. Kleine willige Vollstrecker, den eine formale Rechtsauslegung dem politischen und gesunden Menschenverstand überordnen.
Aber den deutschen Herren wird auch dies noch nicht reichen. Sie möchten statt Madonna, die noch blödere Sängerin aus Amiland, Britney Spears, zum Leitbild machen: die antwortete auf die gleiche Frage, »Ganz ehrlich: Ich finde, wir sollten unseren Präsidenten unterstützen, egal welche Entscheidung er trifft. Wir müssen ihm einfach nur vertrauen.«

Thies Gleiss

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