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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2005, Seite 4

Leitkultur

Die wirkliche Parallelgesellschaft

von ROLF EULER

Seltsam: Unsere türkischen Mitbürger (natürlich nicht nur die) werden von Neonazis bedroht, aber die rechte Presse verlangt von ihnen mehr »Integration«. Gleichzeitig wird allenthalben vor »Parallelgesellschaften« gewarnt, die sich in den ausländisch bewohnten Vierteln gebildet hätten. Vor dem CDU-Parteitag in Düsseldorf eröffnete der NRW-Parteichef Rüttgers die erneute Debatte um die »Leitkultur« mit der Forderung nach einem »Ende der falschen Toleranz«. Die multikulturelle Gesellschaft sei eine »Lüge«, von der man sich verabschieden müsse.
Entweder ist die »multikulturelle Gesellschaft« eine Beschreibung der jetzigen Zustände — schön wär‘s — oder eine Forderung an die Zukunft. Daraus eine »Lüge« zu machen, zeugt von lediglich politisch motivierter Polemik. Diese Polemik richtet sich in einer Zeit, da Moscheen brennen und Muslime angemacht werden, gegen hier lebende »Ausländer«. Integration wird zur Unterordnung unter »deutsche« Werte, statt zur gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Die Warnung vor »Parallelgesellschaften« bei ausländischen Bürgern soll vor allem verdecken, dass sich längst eine ganz andere Parallelgesellschaft gebildet hat, die viel bedrohlicher für den gesellschaftlichen Zusammenhang ist: die der Reichen und Superreichen. Ihnen gelingt es in zunehmendem Maße, Vermögen und Einkommen zu konzentrieren: Privat gesicherte Wohnviertel, elitäre Zirkel, verdeckter Einfluss auf Wirtschaft und Politik, abgeschottete Vermögensverhältnisse. In ihrem Interesse ist es, dass Spitzensteuersätze sinken, die Vermögensteuer abgeschafft bleibt und die öffentlichen Hände für ihre Aufgaben keine Einnahmen mehr erhalten. Ihre Sicherheitsbedürfnisse, ihre Bildung und Berufsperspektiven lassen sich erkaufen, an der Staatsverschuldung verdienen sie. Sie können mit der steigenden Armut »gut leben« und es sich leisten, dass öffentliche Aufgaben zurückgefahren werden.
Die Parallelgesellschaft existiert — aber anders als die nationalistische und rechte Polemik weismachen möchte. Ausländische Menschen sollen erneut als Prügelknaben für die sich verschärfenden gesellschaftlichen Widersprüche herhalten: »Der Schoß ist fruchtbar noch…«X2

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