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Was bedeutet die Wiederwahl des US-amerikanischen Präsidenten George
Bush für die Perspektiven des Irak und der Nahostregion? Für die SoZ sprach Harald Etzbach mit
Gilbert Achcar in Berlin. Achcar ist Hochschullehrer für Politikwissenschaften in Paris, Autor u.a.
von Der Schock der Barbarei. Der 11.September und die »neue Weltordnung« (Neuer ISP-Verlag 2002),
und schreibt regelmäßig in New Left Review, Monthly Review und Le Monde diplomatique.
Eine der ersten Aktionen der Bush-Regierung nach ihrer Wiederwahl was der Angriff auf Fallujah.
Was steht hinter dieser Eskalation, und was bedeutet Bushs Wiederwahl für den Nahen Osten
insgesamt?
Der Angriff auf Fallujah war offensichtlich nur bis nach den Wahlen verschoben worden, um eine
Diskussion über die Besatzungspolitik im Irak zu vermeiden. Dies gilt um so mehr, als es sich in
Fallujah um ein besonders brutales und gewalttätiges Vorgehen handelt. Für die Menschen in Nahen
Osten bedeutet Bushs Wiederwahl eine weitere Eskalation der Gewalt, sei es im Irak oder sei es in
Palästina, wo Sharon grünes Licht von Seiten der USA erhält.
Welches weitere Vorgehen ist von der US-Regierung in der nächsten Zeit zu erwarten? Wird
der Iran das nächste Ziel? Das iranische Atomwaffenprogramm könnte ja hier einen perfekten
Vorwand liefern.
Die Situation im Iran stellt für die Bush-Regierung aus vielerlei Gründen ein weitaus
komplizierteres Problem dar als die Lage im Irak. Der Iran ist zunächst einmal ein viel
größeres Land mit einer viel größeren Bevölkerung. Zweitens hat die iranische
Regierung, was immer man von ihr denken mag, eine soziale Basis und entsprechend eine viel höhere
Legitimation als sie Saddam Hussein hatte. Dies bedeutet, dass eine Invasion des Iran mit enorm großen
Risiken für die USA verbunden wäre. Weiterhin würde man bei einem Angriff auf den Iran in
Betracht ziehen müssen, dass zur gleichen Zeit die Besatzung des Irak andauert und dass dort
große Teil der US-Streitkräfte gebunden sind. Dem US-Militär blieben also kaum noch
Spielräume. Ich glaube also nicht, dass ein Überfall des Iran zur Zeit auf der Tagesordnung
steht.
Durchaus im Bereich des Möglichen sind
hingegen gezielte militärische Schläge etwa auf die Nuklearanlagen des Iran. Aber auch hier
stehen die USA vor vielen Problemen. Zum einen sind diese Anlagen unterirdisch und können entsprechend
nicht so leicht zerstört werden wie etwa die irakischen Anlagen in Ostirak, die 1981 das Ziel eines
israelischen Angriffs waren. Zum anderen müssten die USA Vergeltungsmaßnahmen von Seiten des Iran
befürchten.
Ich bin sicher, dass über all dies in
Washington nachgedacht wird, aber die Situation ist bei weitem nicht so eindeutig, wie sie es im Falle des
Irak war. Dort war bereits unmittelbar nach dem 11.September klar, dass sich die US-Regierung der wichtigen
Ressourcen dieses Landes zu bemächtigen plante. Auch in dieser Hinsicht ist der Iran für die USA
nicht so interessant. Der Anteil des Iran an den weltweiten Ölreserven wird auf etwa 8%
geschätzt, während der irakische Anteil bei mindestens 20% liegt.
Worüber sich die US-Regierung aber
wirklich Sorgen macht, wovor sie wirklich Angst hat, ist das Vorhandensein von Massenvernichtungs-, also
Nuklearwaffen im Iran. Nicht, weil man in Washington einen Angriff auf die USA selbst befürchtet.
Hierzu hat der Iran gar nicht die notwendigen Trägerraketen mit ausreichender Reichweite. Und selbst
wenn er sie besäße, wäre ein solcher Angriff auf die USA angesichts des enormen
Ungleichgewichts der Kräfte unvorstellbar.
Was die US-Regierung befürchtet, ist,
dass der Iran mit dem Besitz von Nuklearwaffen die Möglichkeit zu Vergeltungsschlägen
erhält. Würde der Iran etwa die saudischen Ölfelder bombardieren, wären diese für
lange Zeit unzugänglich, was ein großer Schlag gegen die kapitalistische Weltwirtschaft und die
Interessen der USA wäre. Die USA haben mehr oder weniger die Augen davor verschlossen, dass ihr
pakistanischer Alliierter oder das früher mit der Sowjetunion verbündete Indien Nuklearwaffen
besitzen, und sie sind recht glücklich darüber, dass Israel über ein ganzes Arsenal solcher
Waffen verfügt. Aber die USA wollen auf keinen Fall, das ein ihnen potenziell feindlicher Staat
Nuklearwaffen besitzt.
Man kann sich natürlich fragen, mit
welchem Recht man dem Iran das Recht auf Nuklearwaffen verweigern will, wenn Israel ein großes Arsenal
hat. Das heißt nicht, dass man dafür sein soll, dass alle Staaten der Region Nuklearwaffen
besitzen sollen. Viel sinnvoller ist der Vorschlag einiger arabischer Staaten, aus der Region eine
atomwaffenfreie Zone zu machen.
Würde ein militärisches Vorgehen der USA gegen den Iran in welcher Form auch
immer nicht auch zu deutlichen Reaktionen seitens der europäischen Staaten führen, die
dadurch ihre eigenen Interessen in der Region verletzt sehen?
Eines der wahrscheinlichsten Szenarien, wenn es denn zu solchen militärischen Aktionen gegen
den Iran käme, ist, dass diese nicht von den USA selbst, sondern von Israel ausgeführt
würden. Aber auch wenn die USA selbst eingreifen würden, geschähe dies im Rahmen einer
allmählichen Eskalation. In welchem Maß Europa hierauf energisch reagieren würde, bleibt
abzuwarten. Ich denke, dass die europäischen Regierungen die Befürchtungen der USA in Bezug auf
die iranische Atombewaffnung teilen. Der Unterschied ist, dass die Europäer der Auffassung sind, dass
Drohungen und militärische Mittel nicht geeignet sind, den Iran von der Fortsetzung seines
Atomwaffenprogramms abzuhalten. Die Europäer, und diesmal ist auch Großbritannien dabei, fahren
einen versöhnlicheren Kurs.
Aber ich sehe im Augenblick auch eine Art von
Arbeitsteilung. Die Angebote, die dem Iran von europäischer Seite gemacht werden, sind
überzeugender, wenn sie im Hintergrund durch militärische Drohungen der USA verstärkt
werden. Ich denke, dass die US-Regierung nur dann zu militärischen Maßnahmen greifen wird, wenn
sie zu der Schlussfolgerung gelangt, das die europäischen Bemühungen gescheitert sind.
Man muss auch sagen, dass die Tatsache, dass
der Iran heute einen wichtigen Faktor in der Region darstellt, eine Folge der US-amerikanischen Politik
ist. Der iranische Einfluss sowohl in Afghanistan wie auch im Irak ist nach dem Sturz der jeweiligen Regime
dort enorm gewachsen. Afghanistan ist von zweitrangiger Bedeutung, aber wenn man auf die kommenden Wahlen
im Irak sieht, ist klar, dass diejenigen Kräfte, die in einer direkten Verbindung zum Iran stehen,
eine gute Chance haben, eine starke parlamentarische Vertretung und einflussreiche Positionen zu gewinnen.
Hier haben sich in letzter Zeit ja auch sehr merkwürdige Koalitionen ergeben. Jemand wie
Chalabi, der lange Zeit als besonderer Freund der Neokonservativen im Weißen Haus galt, macht jetzt
gemeinsame Sache mit Moqtada al-Sadr, der die US-Besatzung militärisch bekämpft hat und anderen
schiitischen Organisationen.
Chalabi ist ein völliger Opportunist. Nach seinem Bruch mit den Besatzungsbehörden hat er
versucht, die schiitische Karte zu spielen und sich als jemanden darzustellen, der einfach nur dafür
eingetreten ist, dass die USA Saddam Hussein stürzen, aber niemals beabsichtigt habe, das Land dann
selbst zu regieren.
Das ist alles nicht überraschend, vor
allem nicht im Nahen Osten, wo die politische Landschaft sich in dauernder Veränderung befindet,
Allianzen immer neu zusammengesetzt werden und politische Abgrenzungen nicht so starr sind wie in Europa.
Und das gilt umso mehr, da diese Allianz von Ayatollah Sistani unterstützt wird, dessen Autorität
von allen diesen Kräften akzeptiert wird, weil er einen großen Einfluss im Land hat, speziell
unter den Schiiten.
Die schiitischen Kräfte werden also bei den kommenden Wahlen eine Mehrheit gewinnen?
Ja, natürlich. Die Tatsache, dass die Schiiten die Mehrheit gewinnen werden, ist nur fair,
denn die Schiiten stellen die Mehrheit der Bevölkerung des Landes. Die wichtigere Frage ist, ob die
Wahlen auch in den Augen des sunnitischen Teils der Bevölkerung rechtmäßig sein werden. Von
den Schiiten jedenfalls wird eine große Mehrheit zu den Wahlen gehen, denn sie haben das Gefühl,
dass sie die Besatzungsbehörden zur Durchführung von Wahlen gezwungen und hier einen Sieg
errungen haben.
Paul Bremer, der ehemalige Chef der
Besatzungsbehörde, hatte alles getan, um allgemeine Wahlen zu verhindern. Nach seiner Vorstellung
sollten die Besatzungsbehörden Personen für eine Versammlung nominieren, die dann einen
Verfassungsentwurf ausgearbeitet hätte. Sistani hat sich dem entgegengestellt und erklärt: Ihr
habt kein Recht, Leute auszusuchen, die über die Verfassung beraten, wir wollen direkte Wahlen. Und
als Bremer dies ablehnte, rief Sistani zu Demonstrationen auf, was im Januar 2004 zu riesigen Kundgebungen
führte, auf denen die Abhaltung direkter Wahlen gefordert wurde.
Es ergab sich eine völlig auf den Kopf
gestellte Situation. Wir hatten eine US-Besatzungsmacht, die das Land unter dem Vorwand der
Demokratisierung der muslimischen Welt besetzt hatte. Aber in der Realität sah man eine US-
Besatzungsbehörde, die versuchte, Wahlen, die ja ein grundlegender Bestandteil der Demokratie sind, zu
verhindern. Auf der anderen Seite gab es eine Kampagne zur Durchführung demokratischer Wahlen unter
der Führung eines muslimischen Ayatollah. Das wirkte völlig zerstörend auf das Bild, das die
USA gerne präsentieren wollten. Der Besatzungsbehörde blieb nichts anderes übrig, als
nachzugeben, denn sonst wäre es zu einer scharfen Konfrontation zwischen der schiitischen
Bevölkerungsmehrheit des Landes und den Besatzern gekommen.
Wir sollten uns darüber im Klaren sein,
dass die Wahlen von den meisten Irakern als Manifestation gegen die Besatzung gesehen werden. Sogar in
einem Bericht der Washington Post wurden Schiiten zitiert, die erklären, dass sie die Besatzung mit
den Wahlen bekämpfen wollen. Tatsächlich gab es Versuche von Gruppen, die den Besatzern nahe
stehen, die Wahlen zu verschieben. Offensichtlich hat ja zum Beispiel jemand wie Allawi nichts zu gewinnen.
Er ist komplett diskreditiert und wird in einem direkt gewählten Parlament keine Mehrheit mehr haben.
Die USA stehen also vor einem schwierigen
Problem. Wenn sie jetzt versuchen, die Wahlen zu verschieben, üben sie Verrat an ihrer eigenen
Ideologie. Wenn sie andererseits die Durchführung demokratischer Wahlen zulassen, riskieren sie, dass
im Irak eine Regierung gewählt wird, in der etwa Sistanis Liste die Führung hat, und in deren
Programm sich die Forderung nach Aufnahme von Verhandlungen über einen Abzug der amerikanischen
Truppen befindet.
Zur gleichen Zeit kann man jemanden wie
Rumsfeld hören, der erklärt hat, dass die US-Truppen noch mindestens weitere vier Jahre im Irak
bleiben sollen. Warum gerade vier Jahre? Das ist einfach die zweite Amtszeit der Bush-Rumsfeld-Regierung.
Das heißt also: Solange wir an der Regierung sind, wird es keinen Truppenabzug geben.
Was ist in dieser Situation von der US-Regierung zu erwarten?
Ich befürchte, wenn sie mit einer
legitimen irakischen Regierung konfrontiert sein werden, die sie auffordert, das Land zu verlassen, werden
die USA Mittel und Wege finden, das Chaos im Land zu vertiefen, etwa, indem sie gemäß dem Prinzip
divide et impera Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten schüren oder auf andere Art und Weise
Gewalt fördern. Sie würden dann eine Situation schaffen, in der sie sagen können, unter den
gegebenen Umständen können wir das Land einfach nicht verlassen und müssen uns unserer
Verantwortung stellen.
Im Augenblick ist die Situation im Fluss. Mir scheint, dass die Regierung in Washington die
Entwicklung der Lage auf der Grundlage einer täglichen Neueinschätzung verfolgt. Ich glaube
nicht, dass eine klare Position darüber haben, was sie in der nächsten Zeit tun werden. Das
einzige was ihnen klar ist, ist, dass sie im Irak bleiben wollen, denn sie wollen das Land kontrollieren.
Es hat sie bereits mehr als 200 Milliarden Dollar gekostet, das ist eine große Investition, und diese
Investition soll sich nun auszahlen. Das Gute aber ist, dass sich die Iraker dessen bewusst sind.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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