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Ein Gespenst geht um in Wurzen. Ein wahrer Albtraum. Der Standort ist in
Gefahr. Wieder einmal. Nicht dass es in der grauen Kleinstadt im Muldentalkreis, rund 20 Kilometer
östlich von Leipzig, jemals die berühmten »blühenden Landschaften« gegeben
hätte. Im Gegenteil. Die Stadt ist deutlich vom Verfall geprägt. Leerstand von Häusern,
Abriss, hohe Arbeitslosigkeit, Wegzug von Jugendlichen, Überalterung… Kurz: die gleichen
Probleme wie überall in der Provinz im Osten. Nur eben schlimmer.
Um dieses Übel zu beheben, hat sich vor Ort eine »Standortinitiative«
gegründet, bestehend aus Unternehmen, Vereinen und Stadtverwaltung. Die dringlichste Aufgabe sieht das
Bündnis in der Verbesserung des Rufs der Stadt. Das hat diese auch bitter nötig. Denn bereits
seit Mitte der 90er Jahre hat Wurzen den Ruf einer braunen Hochburg. Zeitweise galt sie als Musterbeispiel
dafür, wie eine »national befreite Zone« aussehen könnte. Die NPD betrieb eine
rührige Jugendarbeit, rechte Straftaten waren an der Tagesordnung. Stadtverwaltung und CDU-Mehrheit im
Stadtrat reagierten hilflos und versuchten, dem Problem dadurch Herr zu werden, dass man es ignorierte.
Der Misserfolg dieser Strategie war absehbar.
Bei der Kommunalwahl im Juni verdoppelte die NPD ihren Stimmenanteil und sitzt jetzt mit drei statt einem
Abgeordneten im Stadtrat. Neben der neu gegründeten Gruppe »Combat Wurzen« (in Anlehnung an
die terroristische Combat 18) besteht noch der »Volkssturm Wurzen« mit seinem angeschlossenen
»Jungsturm«.
Und seit einigen Monaten gibt es einen der
einschlägigen Szeneläden in der Stadt. Der Versandhandel »Front Records« des Thomas
Persdorf aus dem »Blood & Honour«-Umfeld hat sich dort niedergelassen. Mehrfach war sein
Vertrieb Ziel von Razzien des sächsischen LKA, umfangreiche Beschlagnahmungen jeweils die Folge. Und
natürlich darf Front Records, einer der wichtigsten Vertriebe der Szene, nicht auf der Liste der
Unterstützer der berühmt-berüchtigten »Schulhof-CD« der Nazis fehlen. Der Laden
ist inzwischen Anziehungspunkt für die extreme Rechte der gesamten Region.
Grund genug also für eine Standortinitiative, sich Sorgen um den Ruf der Stadt zu machen. Mit
entsprechender Presseunterstützung und bei Anwesenheit des CDU-Oberbürgermeisters und des
Polizeidirektors veröffentlichte sie ein Plakat: »Extremisten schaffen keine
Arbeitsplätze«, heißt es darauf, »aber wir: die WURZENER Industrie«. Auf dem Bild
sind braune Stiefel zu sehen und selbstverständlich rote, da wir schließlich in Sachsen
sind , die vor einer zerstörten Scheibe stehen. Das Motiv erklärt sich in Wurzen von
selbst. Wenige Wochen zuvor hatte es einen Anschlag mit Rohrbomben gegen das Büro des 1999
gegründeten Netzwerk für demokratische Kultur (NDK) gegeben. Die Täter werden selbst von der
Polizei in Neonazikreisen gesehen.
Gegen den Anschlag hatte es eine spontane
Solidaritätsdemonstration sächsischer Antifagruppen gegeben. Und deshalb macht sich die
Standortinitiative Sorgen. Die eigene schöne Plakatidee könnte verpuffen, wenn andere sich nicht
ähnlich staatstragend zum Thema äußern. Als Bürger wissen die Unternehmer, dass die
Bürger vor allem Ruhe wollen. Alles, was die extreme Rechte thematisiert oder gar angreift, so die
These, stärkt diese letztlich. Also schreibt man einen besorgten Brief, mangels Ansprechpartner an die
autonome Antifa und die PDS-Landtagsfraktion. Mit dem Anschlag und der folgenden Demo sei eine
»Gewaltspirale« in Gang gesetzt worden, »Zurückhaltung« sei jetzt geboten.
Aus gutem Grund hatte sich die
Standortinitiative nicht an die PDS des Kreises gewandt. Hatte doch die Kreisvorsitzende, die
Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz, die Demonstration der Kampagne »Schöner leben ohne
Naziläden« am 27.November in Pirna angemeldet. Eben diese Kampagne fürchtet man in Wurzen,
denn der Laden von Front Records stellt ein geradezu ideales Ziel für sie dar.
Der Idee zur Kampagne liegt eine
schlüssige Annahme zugrunde: Die Erfolge der NPD in Sachsen sind nicht das eigentliche Problem,
sondern nur eine Folgewirkung. Das Problem wird in der nahezu ungestörten Ausbreitung eines rechten
Lifestyles gesehen, der mit eigenen Strukturen vor allem auf dem flachen Land nahezu hegemonial geworden
ist. Sie liefern nicht nur den Bedarf, sondern stellen zugleich unverzichtbare Kommunikationspunkte und
Treffs für die Szeneangehörigen dar. Neben den Läden und Versänden gehört dazu
inzwischen auch eine Reihe von Szenekneipen, die teilweise den Charakter von Sturmlokalen haben.
Wenn, so die Überlegung weiter, eine der drei Säulen in der Strategie der Neonazis im
»Kampf um die Straße« besteht und dieser Kampf für sie in Sachsen vielerorts bereits
gewonnen scheint, dann muss man sich die Straße zurückholen. Das übliche Reiz-Reaktions-
Schema von Nazi-Demonstration und Gegendemonstration wird dadurch durchbrochen. Man bestimmt selbst, wo und
wann gegen welche Einrichtung demonstriert wird. Getragen wird diese Initiative von einem Bündnis
unabhängiger sächsischer Antifagruppen, unterstützt auch von der PDS des Freistaats.
Zwei Demonstrationen hat die Kampagne bisher
durchgeführt. Und nicht nur der Brief der Standortinitiative zeigt, dass man Wirkung erzielt. Der
erste Aufmarsch in Chemnitz zog knapp 400 Menschen an. Im Heckert-Gebiet, einer Plattenbausiedlung, war der
Laden »Backstreetnoise« das Ziel, der neben Musik und sonstigem Bedarf auch Kleidung anbietet.
Bis zu diesem Zeitpunkt war es den Betreibern erfolgreich gelungen, sich in der Öffentlichkeit als
»unpolitisch« zu präsentieren.
Diese Mimikry war schon einen Tag nach der
Demo nicht mehr möglich. Rund um den Laden hatten sich 200 Neonazis, teilweise aus dem Spektrum der
verbotenen Skinheads Sächsische Schweiz (SSS), gruppiert und versuchten, die Demonstranten mit
Zaunlatten und ähnlichen Werkzeugen anzugreifen. Nur mit Mühe gelang es einer sichtlich
überforderten Polizei, die Angreifer zurückzudrängen.
Und auch die »gemäßigte«
Selbstdarstellung der im Chemnitzer Stadtrat mit fünf Sitzen vertretenen REPs funktionierte danach
nicht mehr. Martin Kohlmann, ihr Fraktionsvorsitzender, war nämlich deutlich mitten in dem Nazipulk zu
erkennen gewesen. Der wichtigste Erfolg stellte sich wenig später ein: der Besitzer des Ladenlokals
kündigte an, den Mietvertrag mit »Backstreetnoise« nicht zu verlängern.
Die zweite Etappe folgte am 27.November in
Pirna, der Kreisstadt der Sächsischen Schweiz, der wichtigsten Hochburg der extremen Rechten in
Sachsen. Hier sollte der Szeneladen »Eagle« das Ziel sein, der ähnlich ausgerichtet ist wie
»Backstreetnoise« in Pirna. Wohl 1200 Personen waren es, die den Weg in eine Stadt fanden, die
wie zum Bürgerkrieg aufgerüstet war. Neun Hundertschaften Polizei aus vier Bundesländern
waren herangekarrt worden, Hubschrauber und Wasserwerfer.
Und noch etwas war neu in der national
befreiten Zone Sächsische Schweiz. Die Nazis hatten zu einer Gegendemo aufgerufen, deren Route mit
Einwilligung der Behörden den Marsch der Kampagne gekreuzt hätte. Anmelder war der NPD-
Landtagsabgeordnete Klaus Menzel. Bereits im Vorfeld hatte es aus Kreisen im Umfeld der früheren SSS
kaum verhüllte Drohungen gegeben. Prompt kam es nach dem Ende der Antifademo zu Angriffen von Nazis
auf zurückkehrende einheimische Teilnehmer. Es hagelte Platzverweise und acht Festnahmen. Bis dahin
hatten sich die Nazis ungestört in der Stadt bewegen und auf dem Weihnachtsmarkt tummeln können.
Normalzustand in Pirna: die Nazis werden hofiert, ihre Gegner schikaniert.
Soweit war alles im Rahmen der deutschen
Normalität. Doch wenige Tage später folgte eine Razzia in 29 Objekten. Das LKA ermittelte wegen
Fortführung einer kriminellen Vereinigung, der Skinheads Sächsische Schweiz. Deren Aktivisten
waren nämlich in Pirna unübersehbar an den Naziaktionen beteiligt gewesen. Die bisherigen
Bewährungsstrafen drohen nun, in Haftstrafen umgewandelt zu werden. Die Kampagne zeigt also Wirkung.
Auch im Landtag übrigens. Die NPD machte
sich unverhohlen zum Fürsprecher der SSS und forderte vergeblich einen
Untersuchungsausschuss wegen Pirna. Die Kampagne schmerzt die Betroffenen. Aber auch die braven
Bürgersleut, selbst wenn, wie in Wurzen, noch gar nicht feststeht, ob ihr Ort Ziel der Kampagne wird.
Denn schlimmer als alle Nazis ist in Sachsen stets die Gefährdung des Standorts.
Jean Cremet
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