SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2005, Seite 7

»Und bist du nicht willig…«

Das neue Landesmessegesetz in Baden-Württemberg

Immer dreister arbeiten einflussreiche Kreise aus Politik und Wirtschaft Hand in Hand, um Großprojekte gegen den Widerstand von Bürgern und Umweltgruppen durchzusetzen. Ohne Rücksicht auf schutzwürdige Interessen von Mensch und Natur wird durchgesetzt, was der Wirtschaft dient. Die Begründungen sind stets dieselben: es gehe darum, den Wirtschaftsstandort zu stärken und in einer globalisierten Welt »wettbewerbsfähig« zu bleiben. Damit würden viele Arbeitsplätze geschafen oder erhalten. Gegner kommen dabei kaum zu Wort. Hintergründe werden verschwiegen anstatt beleuchtet. Der Druck, den Wirtschaft und Politik ausüben, wächst. Unaufhörlich.
Auch für die Justiz wird es enger. Nicht immer schafft sie es, wie bei Airbus, sich diesem Druck zu widersetzen. In Baden-Württemberg beugte sie sich dem Diktat der Politik und verhalf dem Großprojekt »Fildermesse« zur Durchsetzung.
Mit Hilfe eines speziellen Gesetzes, dem »Landesmessegesetz«, gelang der Landesregierung Baden-Württemberg, was nach bisher gültiger Rechtslage unmöglich gewesen wäre: den Bau einer Großmesse durchzusetzen und das Bauvorhaben als dem Gemeinwohl dienlich zu deklarieren. Besonders brisant dabei: Das Landesmessegesetz setzt neue Maßstäbe in der Rechtsprechung und schränkt bisher gültige Rechte, v.a. den Schutz der Bürger vor Enteignung und die rechtlichen Möglichkeiten der Klage, entscheidend ein.
Erstmalig ist es mit dem Gesetz möglich, für den Bau einer Messe zu enteignen (§7). Der Bedarf für das Großprojekt wird im Gesetz gleich mit bescheinigt (§2). Durch vorzeitige Besitzeinweisung und Sofortvollzug (§8) kann schon gebaut werden, während noch geklagt wird. So werden Tatsachen geschaffen, die auch bei erfolgreicher Klage später nicht mehr rückgängig zu machen sind.
Im Fall der Fildermesse wurde dem Widerstand der betroffenen Bürger und Landwirte, aber auch den Natur- und Umweltverbänden damit die Handlungsfähigkeit entzogen wurde.
Bisher hat die Landesregierung Baden- Württemberg alle Versuche, das Gesetz auf seine Verfassungmäßigkeit hin zu überprüfen, erfolgreich verhindert.

Recht wird gebeugt

Über zehn Jahre dauert der Widerstand gegen das Großprojekt Fildermesse. Am 14.September 2004 feierte Baden-Württembergs Ministerpräsident Teufel mit ausgewählten Gästen den Baubeginn dieses Mammutprojekts. In glanzvollen Prospekten als wirtschaftsfördernd und zukunftsweisend verherrlicht, ist die Neue Messe auf den Fildern bei Stuttgart von Anfang an selbst unter Messefachleuten höchst umstritten. Es verschlingt gewaltige Summen an Steuergeldern — fast 1 Milliarde Euro. Gebaut wird in einem bereits bis an die Grenzen der Erträglichkeit belasteten Gebiet; dabei werden fast 100 ha bester landwirtschaftlicher Böden vernichtet. Zu den großen Verlieren zählen wie immer auch Natur und Umwelt: Millionen von Kleintieren und Vögeln werden dem Projekt geopfert, die Fildern verlieren eine ihrer letzten Freiflächen.
1998 erkennt die Landesregierung, dass sie auf der Grundlage der gültigen Rechtslage nicht an das begehrte Bauland kommen wird. Ein Scheitern des wirtschaftlichen Vorhabens — wie im Fall Boxberg — soll aber unter allen Umständen verhindert werden (damals untersagten die Gerichte dem Daimler-Konzern, für den Bau einer Teststrecke zu enteignen). Die Landesregierung beauftragt deshalb das Büro des früheren Boxberg-Anwalts Dolde, ein passendes Enteignungsgesetz zu stricken. RA Dolde hat aus den Boxberg-Erfahrungen gelernt: als Vorlage für das Enteignungsgesetz dient ihm die damalige Urteilsbegründung. Es entsteht das »Landesmessegesetz«.
Die Klagen der Stadt Leinfelden-Echterdingen, der Organisationen BUND und NABU sowie der betroffenen Bauern gegen das Landesmessegesetz und das Bauvorhaben scheitern in allen landeseigenen Instanzen. Urteile werden gefällt, die nicht mehr nachzuvollziehen sind und ein seltsames Licht auf die Unabhängigkeit der Baden-Württembergischen Justiz werfen: Die Vorsitzende Richterin wird erst kurz vor dem Fall »Fildermesse« an das Verwaltungsgericht Stuttgart berufen. Ihr Mann ist Teilhaber im Notariatsbüro, das mit dem Ankauf der Grundstücke befasst ist. Dennoch gilt sie als nicht befangen (für eine Ablehnung aus Befangenheit reicht normalerweise schon »die Besorgnis der Befangenheit«). Regierungspräsident Andriof spricht sich seit Jahren für den Messestandort Filder aus. Dennoch erkennen weder das Verwaltungsgericht Stuttgart noch der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hier eine Befangenheit.
Das Stuttgarter Verwaltungsgericht weist im Februar 2004 alle Klagen in allen Punkten ab. Das Urteil ergeht bereits nach einer Woche. Angesichts der Komplexität der Materie sind selbst die gegnerischen Anwälte von der schnellen Entscheidung und von deren Eindeutigkeit überrascht. Eine Revision wird den Klägern verweigert.
Im April 2004 lässt sich einer der klagenden Bauern auf ein verlockendes Angebot der Landesregierung ein und entschließt sich zum Verkauf. Er macht ein gutes Geschäft. Aus 65 Hektar werden 165 Hektar. Über die weiteren Verkaufsmodalitäten hüllt sich die Landesregierung in Schweigen. Die Nachricht vom Verkauf wird jedoch erst viel später platziert — Ende Juli, als die Enteignungsverfahren nahezu abgeschlossen sind und kurz vor der Entscheidung des VGH Mannheim, der im Wesentlichen das Stuttgarter Urteil übernimmt. Drei Schläge die, geschickt platziert, Wirkung zeigen sollen.
Kurz darauf, am 4.August, macht die Landesregierung den inzwischen am Rande ihrer Kraft stehenden, aber weiterhin klagewilligen Bauern ein überraschendes Angebot: Statt 20 Euro pro Quadratmeter enteignete Fläche bietet sie nun 53 Euro an. Bedingung: Alle Bauern sowie die Stadt Leinfelden-Echterdingen müssen ohne Ausnahme den Deal mitmachen. Und sämtliche Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Landesmessegesetz müssen zurückgezogen werden.
Klar ist bis dahin: Sollten die Bauern weiterklagen, wird bis zu einer gerichtlichen Entscheidung ihr Land unwiederbringlich zerstört sein. Und selbst wenn sie vor dem Bundesverfassungsgericht Recht bekommen sollten, ist höchst unsicher, ob sie wenigstens finanziell entschädigt werden. Denn für Entschädigungen gilt die beim Bau gültige Rechtslage.
Am 25.August 2004 entschließen sich die Bauern schweren Herzens zum Verkauf ihrer Grundstücke. Die Stadt Leinfelden-Echterdingen fällt am 26. August eine Entscheidung, die paradoxer nicht sein kann: Der Gemeinderat der Stadt stimmt mehrheitlich dem Verkauf der stadteigenen Grundstücke zu, obwohl er ihn ausdrücklich für falsch hält. Er brgründet die Entscheidung mit der Zwangssituation, in der sich die Stadt befinde. Landesregierung und Projektgesellschaft Neue Messe feiern ihren Sieg. Erfolgreich haben sie nicht nur ihr Projekt durchgesetzt. Sie haben auch verhindert, dass das umstrittene Enteignungsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht auf seine Verfassungsmäßigkeit hin überprüft wird.

Vorbild für andere Großprojekte

Der Fall Fildermesse ist kein Einzelfall. Er wird Schule machen. Einem »Landesmessegesetz« in ähnlicher Form werden wir wohl schon bald wieder begegnen, wenn es darum geht, Menschen für wirtschaftliche Großvorhaben zu enteignen und ihren Widerstand zu brechen. Auch in Hamburg wurden »andere rechtliche Möglichkeiten geprüft«, um die Landebahnerweiterung von Airbus (Rüstungs- und Raumfahrtkonzern EADS) auf Biegen und Brechen zu realisieren. Vorgesehen war ein neuer Planfeststellungsbeschluss mit »gerichtsfester Begründung«, um »die Enteignungen doch noch durchzusetzen«. Den Entwurf eines Enteignungsgesetzes gibt es auch in Hamburg. Der Bundesregierung ist der Ausbau des Airbuswerks so wichtig, dass »sich dem alles andere unterzuordnen hat«.
Das ehrgeizige Projekt Großflughafen Berlin- Schönefeld wird insgesamt 850 Hektar Fläche benötigen — ein ganzer Ort soll umgesiedelt werden. Die Stadt Berlin schreibt in ihrer abschließenden Gesamtbetrachtung: »Der Ausbau … führt zu vielfältigen und umfänglichen Eingriffen in Natur und Landschaft, insbesondere in Form einer großen Flächeninanspruchnahme.« Jedoch seien »die für das Vorhaben sprechenden Belange so hoch zu gewichten, dass dagegen das Integritätsinteresse von Natur und Landschaft zurücktreten« müsse.
Land ist wertvoll und kostbar. Für die einen bedeutet Land lebendige Erde, landwirtschaftliche Existenzgrundlage oder Lebensraum für Mensch und Natur. Für die andern ist der Boden heiß begehrt als Bauland, das zunehmend knapper wird. In einer Zeit, in der der »Standort Deutschland auf dem Spiel steht«, in der »Europa bis zum Jahr 2010 zum weltweit dynamischsten Wirtschaftsraum« (Strategie von Lissabon) umgebaut werden soll, steht der Ausbau von Flughäfen, Autobahnen und Industriestandorten ganz oben auf der Prioritätenliste.
Wirtschaftsminister Clement forderte bereits im Oktober eine Änderung des deutschen Planungsrechts. Ins selbe Horn stoßen Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust und Wirtschaftssenator Gunnar Uldall. Dieser kündigte die Einrichtung einer Expertengruppe an, die Vorschläge zur Reform des deutschen Planfeststellungsrechts erarbeiten soll. Wirtschaftsminister Clement erklärte Mitte November, Belange der Industrie müssten Vorrang vor Umwelt- oder Verbraucherschutz haben.
Die Strippenzieher in Politik und Wirtschaft basteln sich eine neue passende Rechtslage. Zu viel noch hindert sie daran, möglichst uneingeschränkt über das zu verfügen, was sie brauchen. Doch es geht nicht nur um Projekte. Hier werden Werte gesetzt und Prioritäten zementiert. Verfügt wird über Menschen und Land, über Heimat und Gefühle ebenso wie über Schöpfung, Umwelt und Zukunft. Das Wettbewerbsargument drängt all das zurück zugunsten von »Höhergewichtigem« — Großprojekte, Kathedralen des Größenwahns und in Beton gegossene Allmachtsträume. Es ist das Gesetz des Neoliberalismus und das Evangelium des Turbokapitalismus. Dagegen müssen wir klare Worte finden und unsere Werte setzen, deutlich und unüberhörbar.

Eva-Maria Gideon

Eva-Maria Gideon ist Mitglied bei Attac-Schorndorf. Weitere Informationen: hier und da.



Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang