SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2005, Seite 10

Arbeit und Leben

Biblische Einwände gegen Hartz & Co

»Ökonomie«: Ihrem Namen nach teilt sie den zu einem Produktionsverband (oikos: häusliche gemeinschaftliche Produktionseinheit) Gehörenden das Vorhandene nach dem Maßstab der Gerechtigkeit (nomos: Gesetz) zu. Dem widerspricht der seit dem 17.Jahrhundert betriebene Aufbau einer Marktökonomie, die oft als nicht gestaltbare natürlich-biologische Evolution gesehen wird und den sich selbst regulierenden Markt vergöttert. Den Menschen wird so die Gestaltung von ökonomischen Prozessen ab- und die Umsetzung einer vergötzten Ökonomie von humaner Gestaltungsverantwortung freigesprochen.

Ökonomie und Freiheit

Für eine humane Gestaltung lassen sich biblische Kriterien benennen. Die Geschichte des Volkes Israel und seine Sozialgesetzgebung verfolgen deutlich ethische Grundsätze, die, ernst genommen, einiges in Bewegung setzen könnten. Ökonomie wird hier und heute im Gegensatz zum eben formulierten Ideal als größtmögliche »Freiheit« des Marktes und seiner dominierenden Teilnehmer, der transnationalen Konzerne und der Aktionäre, gesehen — Freiheit zur Anhäufung von Reichtum.
Biblisch verstanden ist Freiheit immer flankiert von Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit. Diese verantwortete Freiheit erscheint als reine Selbstverständlichkeit, wenn sie sich auf Menschen in Gemeinschaft bezieht. Erst durch das abstrakte Lösen aus allen Zusammenhängen wird Freiheit zu einem Monstrum, das individualistische »Selbstverwirklichung« zum blinden Dogma erhebt und solche abstrusen Einstellungen hervorbringt wie die, dass eine Wirtschaft, in der das Recht des Stärkeren gilt, allen die es verdienen, schon Wohlstand bescheren wird.
Wie steht es mit der »Freiheit« in den Hartz-Gesetzen? Mit den Zumutbarkeitsregelungen (jede Arbeit, zu der man »geistig und körperlich in der Lage ist«), der Beweislastumkehrung für die Unzumutbarkeit und dem Zwang für Unverheiratete (als lebten sie in Unabhängigkeit von sozialen Bindungen, anderen Lebensformen, zu pflegenden Freunden oder Angehörigen) nach drei Monaten Jobs im ganzen Bundesgebiet anzunehmen, treten sie die Grundsätze einer persönlichen, der Gemeinschaft verantworteten Freiheit mit Füßen.
Eine der Konsequenzen, die eine verantwortete Freiheit nach sich zieht, ist die Einsicht, dass Bedürfnisse verhandelbar sein müssen. Abgesehen von den elementarsten materiellen und immateriellen Bedürfnissen sind sie von Sozialisation und Medien produziert und müssen zur Diskussion stehen, wenn zu den existenziellen Bedürfnissen gehört, dass alle Menschen würdig existieren können.

Arbeit und Ruhe

»Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte« (1.Mose 2,2).
Und da die Menschen in Gottes Bild geschaffen sind, sollen sie es ebenso halten. Erst mit dem heiligen Ruhetag ist die Woche vollständig. Dies ist eine Wertentscheidung, die die arbeitenden Menschen schützt. Arbeit und Ruhe sollen gleich verteilt werden, und zwar unter allen Geschöpfen: »Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tag ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Rind, dein Esel, all dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt, auf dass dein Knecht und deine Magd ruhen gleichwie du.« (5.Mose 5,13—14.)
Damit wird die Würde der Arbeit begründet: Es gibt einen kollektiven Rhythmus von Arbeit und Ruhe, der alle einbezieht und das Leben nicht auf Arbeit reduziert. Mit der Enthaltung von produktiver menschlicher Aktivität am Sabbat wird anerkannt, dass die Natur, der Mensch und die Zeit nicht alles sind: Es gibt eine andere Wirklichkeit, auf die wir ausgerichtet sind.
Das allein würde schon eine andere Arbeitswelt konstruieren als die uns bekannte — in der oft genug Maschinenlaufzeiten den Rhythmus von Arbeit und Ruhe der Menschen bestimmen. Die neuen Regelungen zu den 1-Euro-Jobs forcieren die Entwicklung hin zu einer Klasse der »working poor«, wie es sie in den USA schon längst gibt — wo eine Mutter oftmals mit zwei oder drei Jobs noch nicht ihre Kinder und sich ernähren kann.

Das Wirtschaftsrecht der Tora

Die Tora (die 5 Bücher Mose) versteht sich als Anweisung zur Gerechtigkeit und Solidarität mit den sozial Schwachen. Im 8.Jahrhundert v.u.Z. veränderte sich die Gesellschaft des alten Israel von einer relativ egalitären hin zu einer in Klassen gespaltenen. Die Ursache dafür waren das Kredit- und Abgabenwesen. Der Besitz konzentrierte sich in immer weniger Händen, die Masse der Bevölkerung verelendete durch Überschuldung oder verlor ihre Existenzgrundlage.
In diese Situation hinein spricht das Wirtschaftsrecht der Tora. Dessen grundlegende Elemente sind: Vorbeugung gegen Verelendung und Bereicherung, der Schutz der Schwachen und die Regulation des Verschuldungssystems. Eine entscheidende Neuerung, die ans Sabbatgebot anschließt, ist die soziale Brache im 7.Jahr: »Sechs Jahre sollst du dein Land besäen und seine Früchte einsammeln. Aber im siebenten Jahr sollst du es ruhen und liegen lassen, dass die Armen unter deinem Volk davon essen; und was übrigbleibt, mag das Wild auf dem Felde fressen« (2.Mose 23,10—11).
Dabei gibt es an vielen Stellen Hinweise, dass die Fremdlinge im Land besonders zu schützen sind und zu den »Dürftigen des Volkes« zählen. Neben den Witwen und Kindern sind es vor allem sie, für die der Ernterest und die Ernte der Brachfläche bestimmt sind.
Dazu kommt das Verbot der Zinsnahme, die Sklavengesetze, das Recht auf pünktliche Zahlung des Lohns für Tagelöhner, der legitime Mundraub und das »Almosen«, das, anders als der deutsche Sprachgebrauch es nahelegt, einfach »Gerechtigkeit tun« heißt, also nicht willkürlich und demütigend gewährt wird, sondern ein Grundrecht auf materielle Sicherung darstellt.
Selbstverständlich muss heute, z.B. in Bezug auf Migranten, ganz anderes gefordert werden: Beispielsweise muss es endlich zur akzeptierten Normalität werden, dass Menschen mit verschiedenster Geschichte und Herkunft aus den verschiedensten Gründen hier leben und alle die gleichen sozialen Rechte haben. Am 1.Januar tritt neben Hartz IV ziemlich unbeachtet ein neues Gesetz in Kraft, das das genaue Gegenteil zum Ziel hat. Der Kampf dagegen verdient mehr Aufmerksamkeit in den Protesten gegen Sozialraub.

Die Perspektive der Bedürftigen

Sich die Perspektive der Bedürftigen zu eigen machen, anerkennen, dass ein Arbeitsverständnis, das nur Erwerbsarbeit und Profit umschließt, den Großteil gesellschaftlich notwendiger Arbeit ausschließt. Wie wäre es mit der Sicherstellung der existenziellen Bedürfnisbefriedigung für alle Menschen, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, körperlichen und geistigen Fähigkeiten, Leistungsbereitschaft, Alter — einfach nur, weil sie als Menschen Existenzberechtigung haben und sich alle auf unterschiedliche Weise in die Gemeinschaft einbringen- statt einen natürlichen Hang zum Schmarotzertum zu unterstellen!?
Eine der einfachen Grundeinsichten der Tora lautet, die Notwendigkeit der Beschränkung von Reichtum anerkennen. Warum erntet diese Forderung in dieser absurden Gesellschaft nur ein müdes Lächeln, bestenfalls den Vorwurf der Realitätsferne, schlimmstenfalls der kommunistischen Hetze?
Auf dem langen Weg zur Entkopplung von Leistung, Lohn und Arbeit — wie wär‘s als kleiner Schritt damit anzufangen, dass in jedem 7.Jahr diejenigen, die es können, von ihrem Ersparten leben und ihren Verdienst denen zur Verfügung stellen, die gerade nicht erwerbstätig sein können — weil sie Kinder erziehen oder Freunde pflegen, eine persönliche Krise durchleben, krank oder gebrechlich geworden sind…
Zum Bezug auf eine historische Tradition gehört eine Grundeinstellung: Gesellschaften sind veränderlich und Menschen sind die Subjekte dieser Veränderung. Zurzeit sind jedoch Zynismus und Fatalismus fest in den Köpfen verankert: Es gibt keine Alternative zum ausbeuterischen Wirtschaftssystem und weltfremd ist, wer anderes glaubt. Was wäre möglich, wenn viele Menschen an etwas anderes glaubten und dafür kämpften? Auch die Sozialgesetzgebung der Tora hat keine egalitäre Gesellschaft hervorgebracht. Aber das Ringen darum wird deutlich — das wäre heute schon ein Riesenschritt.

Katja Strobel

Katja Strobel arbeitet am Institut für Theologie und Politik in Münster.



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