SoZSozialistische Zeitung |
Freie Wahlen in Palästina? Die Frage stellt sich nicht erst seit Arafats
Tod. Schon vor annähernd fünf Jahren wagten Kräfte der palästinensischen
Zivilgesellschaft, die damals gegen die Besatzung und gegen das willfährige Regime der
Autonomiebehörde, einen mutigen Vorstoß.
Die »Erklärung der 20« es handelte sich um bekannte Persönlichkeiten aus
dem politischen und akademischen Leben Palästinas kritisierte die »bad governance«
der Autonomiebehörde, die nicht nur zunehmende Verarmung und eine unqualifizierte Verwaltung der
inneren Angelegenheiten mit sich brachte, sondern auch eine unwirksame und halbherzige
Verhandlungsführung gegenüber der Besatzungsmacht.
Die zwanzig Autoren des Manifests sprachen
aus, was in der palästinensischen Gesellschaft seit Mitte oder Ende der 90er Jahre
»geflüsterter Konsens« war und noch ist. Doch die Mehrheit der palästinensischen
Gesellschaft, die weder radikalen islamistischen Positionen zugetan ist, noch sich Illusionen über
ihre zutiefst korrupte Führung macht, und schlicht ein normales Leben, zum Beispiel auch mit freien
Wahlen, führen können möchte, interessiert weder unsere mediale Öffentlichkeit noch
unseren Herrn Fischer.
Der fordert mit sorgenvoll zerknitterter Miene
eins ums andere Mal die Demokratisierung der palästinensischen Gesellschaft ein und mahnte Anfang
Dezember sogar Israel, das Seine dazu beizutragen und auch die palästinensischen Bürger
Ostjerusalems an Wahlen teilnehmen zu lassen. Eine solche »Parteinahme für die
Palästinenser« kostet nichts, da Israel sowieso schon dieses Recht zugestanden hat. Denn die
Wahlbeteiligung der Ostjerusalemer Palästinenser ändert nichts daran, dass alle miteinander
USA, EU und Israel diese Wahlen fest in der Hand haben.
Freie Wahlen und überhaupt Demokratie in
Palästina wären leicht zu haben, sind aber ganz offensichtlich nicht gewollt, wie es schon damals
die zwanzig Demokraten feststellen mussten, deren Aufbegehren gewaltsam niedergeschlagen wurde, ohne dass
sich internationaler Protest regte.
Eine gut organisierte Zivilgesellschaft,
kompetente, engagierte und erfahrene Persönlichkeiten, ein breites Spektrum von traditionsreichen
politischen Gruppierungen und Parteien das alles ist in Palästina vorhanden. Doch diese
für einen demokratischen Prozess wohl gerüstete Gesellschaft, die seit Jahren quasi »in den
Startlöchern« sitzt, wird mit der eisernen Faust der Besatzung am Start in die Demokratie
gehindert.
Das Besatzungsregime, die »Matrix der
Kontrolle« über das Land und die palästinensische Gesellschaft, wie es der israelische
Aktivist Jeff Halper formuliert, wird auch für die Wahlen in keiner Weise in Frage gestellt oder gar
gelockert. Das fordert auch kein US-amerikanischer oder EU-Außenminister; denn sie verstehen sich
selber als Garanten dieser Matrix der Kontrolle.
Konsequent schweigen sie über die
elementarsten Voraussetzungen freier Wahlen, die Israel nicht gewährt: Es geht um die
Freizügigkeit der Wähler und Kandidaten und um die Freilassung von nicht rechtmäßig
verurteilten palästinensischen Bürgern, politisch Aktiven und Führern (insgesamt mehreren
tausend Gefangenen, darunter einer der Kandidaten, Marwan Barghouti, oder so wichtige Persönlichkeiten
wie der Vorsitzenden der PFLP, Ahmed Saadat, der ohne Anklage seit Jahren im Gefängnis sitzt).
Es geht um die freie Einreise- und
Teilnahmemöglichkeit für die zahlreichen Palästinenser, die vorübergehend im Ausland
leben (vermutlich Zehn- bis Hunderttausende). Und schließlich sind Wahlen nicht frei, solange die
Menschenjagd durch das Besatzungsregime, der besonders politisch Aktive (jeder Couleur) ausgesetzt sind,
fortgesetzt wird.
Warum schweigt sich das Nahost-Quartett zur
eklatanten Unfreiheit dieser Wahlen aus, während es doch sonst nicht müde wird, demokratische
Verhältnisse zu fordern?
Wenn sich alle wahlberechtigten
Palästinenser frei bewegen und ohne Einschüchterungen wählen könnten, wer aus ihrer
Mitte in Zukunft ihre Belange vertreten soll, würde allerdings etwas Ungeheuerliches geschehen.
Mustafa Barghouti nicht zu verwechseln
mit dem von Israel inhaftierten Fatah-Führer Marwan Barghouti, der ebenfalls und mit guten
Erfolgsaussichten zu den Präsidentschaftswahlen kandidiert von Al Mubadara könnte dank
seines Konzepts eines demokratisch legitimierten, gewaltfreien Widerstands gegen die Besatzung und seines
konsequenten Eintretens für die Rechte der Palästinenser und für ihre alltäglichen
Belange die Wahlen gewinnen. Er könnte sich dabei auf eine breite Zustimmung seitens der Linken,
Unabhängiger und von Teilen der Fatah und der Hamas stützen.
Er wäre ein palästinensischer
Präsident, der die Gesellschaft und ihre seit Jahrzehnten unerfüllten Hoffnungen und politischen
Ambitionen womöglich tatsächlich repräsentieren und selbstbewusst vertreten würde. Die
Selbstmordattentate würden aufhören, weil sich die Bevölkerung von der eigenen Führung
respektiert wüsste und in gewaltfreier Form ihre Forderungen artikulieren und sich an der Durchsetzung
beteiligen könnte. Dieser Präsident hätte in den sozialen Bewegungen weltweit und in der
israelischen antikolonialistischen Bewegung Partner im Kampf für die Anerkennung gleicher Rechte aller
Menschen im Nahen Osten…
Doch solch paradiesische Zustände, das
wird jeder einsehen, sind nicht von dieser Welt.
Sophia Deeg
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04