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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2005, Seite 16

Darfur

Auf Samtpfoten in den Sudan?

Mitte November widmete sich der UN-Sicherheitsrat auf einer Sondersitzung dem Bürgerkrieg im westsudanesischen Darfur, einem Gebiet von der Größe Frankreichs und seit einiger Zeit von politisch interessierter Seite als das »größte Menschenrechtsproblem« der Gegenwart auserkoren.

Angesichts der Zusammensetzung des Sicherheitsrats war weniger damit zu rechnen, dass hier bedeutende konkrete Maßnahmen beschlossen werden. So geschah es denn auch. Relevanter ist die Tatsache, dass US-Präsident Bush mit der Ernennung von Condoleeza Rice zur neuen Außenministerin und dem Anfang Dezember wider manche Erwartungen verkündeten Festhalten am Verteidigungsminister Donald Rumsfeld deutliche Zeichen gesetzt hat, dass auch in Zukunft die von ihm und seinen Hintermännern definierten US-Interessen gegenüber allen anderen unzweifelhaften Vorrang haben.
Was nun den Sudan betrifft, so hat es sich George W. Bush nicht nehmen lassen, noch unmittelbar vor den Präsidentschaftswahlen zu behaupten: »Der Sudan stellt weiterhin eine ungewöhnliche und außerordentliche Bedrohung für die nationale Sicherheit und Außenpolitik der USA dar.«
Im Zusammenhang mit dem seit Anfang 2003 andauernden Bürgerkrieg im Darfur sprechen die USA gerne von Völkermord, weil die Auseinandersetzung einen rassischen Charakter des Kampfes zwischen einer schwarzafrikanischen lokalen Bevölkerung und der von lokalen arabischen Stammesmilizen unterstützten arabischen Zentralregierung in Khartum habe. Im Zuge dieses Bürgerkriegs sind inzwischen rund 1,7 Millionen Menschen zu Flüchtlingen innerhalb des Sudans oder in den benachbarten Tschad geworden. Der Weltgesundheitsorganisation (UN-WHO) zufolge sind von diesen allein seit März diesen Jahres 70000 an Hunger und anderen mittelbaren Folgen der Kämpfe gestorben.

Der wirkliche Konflikt

Der wirkliche Konflikt ist jedoch zum einen der zwischen arabisierten Viehzüchtern und weniger arabisierten sesshaften Ackerbauern und zum anderen einer zwischen dem Herrschaftsanspruch der Zentralregierung und den regionalistischen Forderungen der in der Vergangenheit in der Tat vor allem auch wirtschaftlich arg vernachlässigten Bevölkerung dieser Region im »wilden Westen« des Sudans. So leben im Darfur auch große »arabische« Stämme, die der Zentralregierung in ihrem Kampf gegen die nichtmuslimische südsudanesische Befreiungsbewegung Milizen zur Verfügung gestellt hatten, dies aber in der jetzigen Auseinandersetzung mit den zwar nicht arabisch sprechenden, aber mit ihnen durch Religion und familiäre Bande mannigfach verbundenen Fur, Zaghawa oder Massalit usw., nicht tun.
Nach dem relativen Erfolg der südsudanesischen SPLM, die am Verhandlungstisch und mit Unterstützung ausländischer Erdölinteressen die Regierung in Khartum, nach zwei Jahrzehnten Bürgerkrieg und über 2 Millionen Toten (v.a. durch Hunger und Krankheit infolge der Auseinandersetzungen), zu allerlei Zugeständnissen gezwungen hat, sahen vor zwei Jahren auch die regionalistischen Bewegungen im Darfur die Zeit gekommen, bewaffnet ihren Anteil an der politischen Macht und den wirtschaftlichen Ressourcen des Landes einzufordern.
Das islamistische Militärregime in Khartum reagierte wie üblich, schickte die Armee und »arabische« Stämme. Deren Janjaweed genannten Reitermilizen sind für einen Großteil der flagranten Massaker und Menschenrechtsverletzungen an der bäuerlichen Bevölkerung der Region verantwortlich. Die unter Aufsicht der Afrikanischen Union vom 21.Oktober bis zum 10.November in Nigerias Hauptstadt Abuja geführten Verhandlungen, haben zwar zur Unterzeichnung einiger Abkommen über Sicherheit und den Zugang humanitärer Organisationen zu den zivilen Bürgerkriegsopfern geführt, aber deren Umsetzung an Ort und Stelle ist zweifelhaft.
Dabei ist nicht immer klar, ob das nur der bewussten Politik der Irreführung durch die Regierung in Khartum geschuldet ist. Der jüngste Bericht des UN-Sonderbeauftragten für Darfur, Jan Pronk, sagt nämlich, dass die Regierung ihre eigenen Kräfte nicht voll kontrolliere und es innerhalb der Rebellenbewegung in Darfur Spaltungen gebe.
Die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch forderte Anfang Dezember zwar den UN-Sicherheitsrat auf, sofortige Maßnahmen zu ergreifen, um die fortgesetzten »ethnischen Säuberungen« insbesondere in Süd-Darfur zu stoppen, wies aber auch darauf hin, dass die beiden Rebellengruppen, die Sudanesische Befreiungsarmee (SLA) und die Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit (JEM) das Waffenstillstandsabkommen vom April des Jahres regelmäßig brächen.
Die jüngsten Kämpfe um die Stadt Tawila am Fuße des bis auf 3024 Meter ansteigenden Bergmassivs des Jebel Marra, eines der Hauptrückzugsgebiete der Rebellen, gingen denn auch offensichtlich von diesen aus. Die SLA hatte die Stadt in einer Aktion erobert, die Jan Pronk »eine klare Verletzung der Waffenstillstands- und Sicherheitsabkommen mit der sudanesischen Regierung« nannte.

Erneute Zuspitzung

Es scheint sogar, dass mancherorts die Spannungen in dem Maße wieder zunehmen, denn der 31.Dezember rückt näher. Bis dahin nämlich, darauf hatten sich die Verhandlungspartner zuvor verpflichtet, solle das endgültige Friedensabkommen zwischen der SPLM und der Regierung in Khartum unterzeichnet werden. Die entsprechenden Verhandlungen begannen vor zwei Jahren unter Ägide der USA in Nairobi.
Führende SPLM-Vertreter jedoch äußerten sich auch nach der Unterzeichnung eines »Memorandum of Understanding« am 19.11. skeptisch darüber, ob Khartum seine Verpflichtungen wirklich erfüllen werde. Seit Anfang November haben die verschiedenen Parteien, dieses Mal in der an Äthiopien angrenzenden Provinz Upper Nile, neue Kräfte in Position gebracht, wohl, um noch vor dem Stichtag vollendete Tatsachen in ihrem jeweiligen Sinn zu schaffen. Es kam bereits zu Kämpfen im Gualguk-Gebiet 130 km nordöstlich von Nasir nahe dem Erdölgebiet von Adar und in der Gegend von Mandeang am Sobat-Fluss.
Die Lage im Süden ist von überragender Bedeutung. Der leitende Sudan-Beamte des US-Außenministeriums, Charlie Snyder, sagte am 29.November, dass »die politische Lösung für das ganze Land wirklich im Nord-Süd- Prozess enthalten ist. Die Wahrheit ist, dass die Probleme des Norden und Südens exakt solche zwischen dem Zentrum und der Peripherie sind. Und das Problem im Darfur ist, dass es eine ebenso marginalisierte periphere Region ist wie der Osten und der Süden.«
Das ist immerhin eine Aussage, die sich in ihrem Realitätssinn von der zu Beginn zitierten Propaganda seines Chefs und einer Vielzahl von Menschenrechtsimperialisten auch außerhalb der USA abhebt. Snyder betonte bei gleicher Gelegenheit weiter: »In Nairobi habe ich zwei Stunden mit einigen der Führer der Darfur-Bewegung gesprochen und die Rebellen darauf hingewiesen, dass sie im Begriff seien, zum Problem zu werden, weil ihre jüngsten Angriffe auf von der Regierung zur Stabilisierung entsandte Polizisten, der Regierung den Vorwand für neue militärische Schläge liefert.«
Konkrete Maßnahmen wurden auf der UN- Sitzung in Nairobi erwartungsgemäß u.a. von den Sicherheitsratsmitgliedern China, Russland und Frankreich torpediert. Diese liefern, wie Amnesty International feststellte, auch Waffen an Khartum. Gerade China versucht damit offenbar, seine bedeutenden Erdölinteressen im Sudan insbesondere gegen den Zugriff durch die USA zu verteidigen.
Der Bürgerkrieg im Darfur dient diesen unverkennbar als Brecheisen in den Sudan, dem einzigen noch fehlenden Stück des strategischen Gürtels der Sahel-Zone von Westafrika bis nach Eritrea, einer Region, die insbesondere nach den Erdölfunden der letzten Jahre unverkennbar die Begierde der USA auf sich gezogen hat. Die Aussagen von Snyder deuten jedoch darauf hin, dass die USA, auf unabsehbare Zeit im Irak festsitzend, bereit sind, ihr Ziel in diesem Fall weitaus weniger konfrontativ zu verfolgen, als manche Fensterreden ihres Präsidenten erwarten lassen.
Im November hat sich auch die bundesdeutsche Regierung offiziell entschieden, die Gunst der Stunde zu nutzen, um ihrerseits unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe ihre Armee, zunächst nur auf eine Einheit von 200 Mann begrenzt, in der begehrten Region in Stellung zu bringen — langfristig natürlich durchaus auch in Konkurrenz zu den USA.

Anton Holberg

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