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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2005, Seite 21

Barbara Görres-Agnoli: Johannes Agnoli. Eine biografische Skizze, Hamburg: Konkret Literatur, 2004, 174 Seiten, 15 Euro

Johannes Agnoli: Die Transformation der Demokratie und verwandte Schriften (Hg. B.Görres-Agnoli), Hamburg: Konkret Literatur, 2004, 235 Seiten, 16,50 Euro

»Der große Ironiker«, schrieb Henri Lefebvre zu Beginn der 60er Jahre und charakterisierte damit seine eigene Zeit, »tritt in unruhigen, gestörten Kreisläuften auf«. Er ist ein Produkt des historischen Übergangs und ein durchaus widersprüchliches Wesen. Er hat keine Lösungen anzubieten in Zeiten, die Kampf und Entscheidung erfordern, hält sich distanziert und strebt nicht danach, den Konflikt zu lösen, sondern »danach, dieses Bewusstsein und den Konflikt selbst zuzuspitzen«: »Zwischen dem Ultrarevisionismus derer, die das Verlöschen des marxistischen Projekts im modernen Denken behaupten, und dem Ultradogmatismus jener, die an den Resultaten der stalinschen Periode festhalten und so tun, als handele es sich dabei um eine bedauerliche Verzerrung, einen belanglosen ›Zwischenfall‹, können wir«, so der französische Marxist, »einen dritten Weg bestimmen: den der dialektischen Kritik, den der Ironie.«
Einer von jenen, die damals in Westdeutschland ihr nachhaltiges Wirken begannen, war der im letzten Jahr in Italien gestorbene Johannes Agnoli. Und auch er ist seinen Zeitgenossen als ein bedeutender Ironiker in Erinnerung geblieben, dessen Ironie Ausdruck eines suchenden Denkens und tief sitzenden Protests war, eines »Protest[s] der geprellten oder unterdrückten Subjektivität gegen alles, was das Individuum entfremdet« (Lefebvre).
In den soeben erschienenen Erinnerungen an ihren Mann schildert Barbara Görres-Agnoli wesentliche Stationen dieses widerständigen Individuums und zeigt auf, aus welchen lebensgeschichtlichen Wurzeln sich diese, im besten Sinne renitente Subjektivität gespeist hat. Erstmals werden hier Agnolis Kindheit und Jugendjahre in den norditalienischen Ostdolomiten geschildert. Und ausführlich schildert die Autorin Giovannis (so sein eingetragener Geburtsname) jugendliche Begeisterung für den Faschismus nicht nur Mussolinis, sondern auch Hitlers.
Aus einer wesentlich philosophisch gespeisten, linkshegelianischen Begeisterung für das klassische Deutschland und seine vermeintlichen faschistischen Erneuerer, wurde Agnoli damals Mitglied einer faschistischen Jugendorganisation, faschistischer Propagandist in einer von ihm geleiteten Schülerzeitung und schließlich Wehrmachtsoldat.
Das alles wird von Görres-Agnoli zu Recht ohne falsche Scheu geschildert, denn es zeichnet Johannes Agnoli aus, dass er sich durch das Leben praktisch wie theoretisch hat kurieren lassen von diesem Albtraum. Agnoli hat verstanden, dass die faschistische Befreiung der Subjektivität nicht nur keine solche war, sondern mehr noch ein in vielem erfolgreicher Versuch, diese Subjektivität einer neuen, noch brutaleren Objektivität unterzuordnen. Und er hat sich zu jenem Ironiker und Philosophen gewandelt, als den ihn seine Witwe beschreibt.
Auch hier ist die Parallele zu Lefebvres Theorie verblüffend, denn der Philosoph sollte, so Lefebvre, »mehr reden als schreiben, seine theoretische Anstrengung mit einer doppelten Praxis verbinden: Lehre und Ironie, Fragen und Antwortversuche, Irritation und Orientierung. Das Schreiben in der Philosophie ist nichts anderes als bloßer Notbehelf.«
Auch dies trifft auf Johannes Agnoli in besonderem Maße zu. Das Schreiben scheint ihm zeitlebens Nebensache gewesen zu sein, sein Oeuvre besticht nicht gerade durch Extensivität. Er war ein Lehrender sui generis, ein Redner, der durch die analytische Schärfe und Radikalität seiner Gedanken bestach. Dass dies, nebenbei gesagt, nicht heißen muss, dass er ein guter Erzieher war, auch dies beschreibt Görres-Agnoli in der Schilderung des Ehemanns und Familienvaters.
Abgerundet wird dieses Persönlichkeitsbild durch die Schilderung des postuniversitären Ruhestands. Anstatt vermeintlich Versäumtes schreibend nachzuholen, zog sich Johannes Agnoli ganz nach Italien zurück und genoss den Lebensabend mit viel Lektüre. Nur noch selten schrieb er (kleine) Beiträge oder gab Interviews. Stattdessen besann er sich auf seine Jugend und schrieb erneut Gedichte.
Der scheinbare Widerspruch zwischen dem Lehrer und Ironiker und jenem schreibenden Theoretiker Agnoli, der sich kaum auf die Ironie stützt, erweist sich bei näherem Blick und erneutem Rückgriff auf den besagten Lefebvre als gering. Die Intellektuellen, so Lefebvre, seien nicht länger die Erzieher der Gesamtgesellschaft, sondern müssen »wieder lernen, die Stärke der Negation und des Negativen zu begreifen: der radikalen Kritik. Darauf ist die Ironie zu gründen.«
Agnoli, der kühle und scharfsinnige Analyst des integrierenden Strukturcharakters bürgerlicher Demokratie — niedergelegt in der nun ebenfalls von Barbara Görres-Agnoli wieder aufgelegten Schrift Die Transformation der Demokratie wurde nicht zufällig zum Theoretiker der »Kraft der Negation«, der »Antipolitik«. Den ironischen Unterton jedoch, dass der Ironiker »das Falsche [sagt] (das er als Falsches weiß), um zum Wahren zu gelangen« (Lefebvre), haben einige seiner selbsternannten Schüler nicht begriffen und sich konsequent dem im spätbürgerlichen Wurzelgrund tief eingegrabenen Zynismus ergeben. Ein Zyniker aber war Agnoli nie, auch das macht Görres-Agnoli in ihrem Buch mehr als deutlich.

Christoph Jünke

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