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Die Initiative »Agenturschluss« hatte sich viel vorgenommen: Am
ersten Werktag nach in Kraft treten der neuen Hartz-IVGesetze sollten die Arbeitsagenturen bundesweit
lahmgelegt werden. In Form von Besetzungen, Blockaden oder Versammlungen in den Ämtern wollten die
Aktivisten am 3.Januar in den Ablauf der Erwerbslosenbürokratie eingreifen. »Am ersten Werktag
des neuen Jahres werden wir den Start von Hartz IV stoppen«, proklamiert selbstbewusst der bundesweite
Aufruf zu Agenturschluss.
Die Idee war bestechend, die Mobilisierung beachtlich. In den letzten beiden Dezemberwochen stieg
die Zahl der Städte, die ihren Agenturschluss öffentlich ankündigten, auf 80. Das
Medieninteresse im unmittelbaren Vorfeld war entsprechend groß. Die bundesweite Pressekonferenz am
29.Dezember in Berlin platzte aus allen Nähten. Doch dann Flaute. Der Start von Hartz IV und
Lkw-Maut lief »problemlos«. Die bürgerliche Presse hat die Aktionen am 3.Januar nahezu
einhellig klein geredet. Nur wenige hundert Leute hätten sich beteiligt. Leicht verstört
über derartigen Gleichklang gehen die Interpretationen der Beteiligten weit auseinander. Waren es nur
oder immerhin 50008000 Leute, die nach Auswertung von knapp sechzig detaillierteren
Städteberichten an diesem Montagvormittag an der Aktion teilgenommen haben? Dazu ein etwas genauerer
Blick auf das sehr unterschiedliche Geschehen in den jeweiligen Städten.
In vielen Orten blieb die Frage offen, ob die Aktiven in der Lage gewesen wären, den Betrieb der
als »Arbeitspolizei« angeprangerten Behörde lahmzulegen oder zumindest gehörig
durcheinander zu wirbeln. Die örtliche Verwaltung selbst schloss den Betrieb vollständig,
»Interne Umzugsarbeiten«, so die offizielle Begründung in Kassel. Andernorts beauftragten
die Arbeitsämter private Sicherheitskräfte und/oder ein beträchtliches Polizeiaufgebot, die
Räumlichkeiten hermetisch abzuriegeln. Zum Teil über mehrere Stunden gelangte dort niemand ins
Arbeitsamt. Auch nicht diejenigen, die der Aufforderung nach Barauszahlung wegen der verpatzten ALG-II-
Überweisungen gefolgt waren. Am späteren Vormittag ließ ein Spalier von
Sicherheitskräften und ArbeitsamtmitarbeiterInnen ausschließlich »dringende
Terminangelegenheiten« ein. Arbeitslos konnte sich hier niemand melden. Der Agenturschluss war an
diesen Orten nur in Form einer Belagerung mit mehr oder weniger ausgeprägtem Kontakt zu den
»Unbeteiligten« möglich.
In anderen Städten wurde der
»Mitarbeiterschutz« weniger restriktiv ausgelegt. In Köln gelangten 150 Agenturschliesser
mit etwas Schwung in das halbherzig gesicherte Arbeitsamt. Der Besuch der Mitarbeiter in den Büros war
dort ebenso möglich wie eine Versammlung bei Frühstück und die Umgestaltung des Inventars
auf den Fluren à la »die fetten Jahre sind vorbei«.
Der Bogen schien erst überspannt, als
sich Aktiven im Büro des Amtsleiters breit machten, dessen Arbeitsbedingungen ausgiebig untersuchten
und in seinen Akten herumstöberten. Vielerorts hingegen erreichte die Zahl der Aktiven
erwartungsgemäß nicht die »kritische Masse«. Die am häufigsten genannten
Aktivitäten erstreckten sich dort über symbolische Kartonblockaden, Kundgebungen in und vor den
Arbeitsämtern, Umsonstfrühstücke, Infotische, Diskussionen am offenen Mikro und
anschließende Demonstrationen.
Es gab also weder auf Seiten von
Agenturschluss noch seitens der Arbeitsämter ein einheitliches, vorhersagbares Vorgehen. Einzige
Konstante war die Polizei. Sie war fast überall präsent auch vor den Arbeitsämtern
mehrerer Städte, wo kein Agenturschlussvorhaben angekündigt worden war. Trotz zahlreicher
Rangeleien und einiger Festnahmen beim Versuch, in das Arbeitsamt einzudringen, blieben die meisten
Aktionen an diesem Tag eher unspektakulär. Dennoch bewerten die meisten Gruppen den Auftakt von
Agenturschluss positiv.
Mindestens innerhalb der radikalen Linken sei
es gelungen, dezentral relativ viele Leute an einem Werktag zu etwas anderem als zu einer angemeldeten
Demonstration zu bewegen. In diesem Sinn ist es wenig sinnvoll, die Teilnehmerzahlen der
Montagsdemonstrationen zum Vergleich heranzuziehen. Kollektiver Ungehorsam ist hierzulande keine
Widerstandsform, auf die man in der Breite zurückgreifen kann. Viele Initiativen sehen genau diesen
Punkt selbstkritisch. Wie kann zukünftig die leider nur begrenzte Interaktion mit den vermeintlich
unbeteiligten »Kunden« und den Beschäftigten der neuen Arbeitsagenturen ausgeweitet werden?
Jenseits von einer weiter notwendigen
Kampagnenpolitik wird letztendlich nur eine massenhafte Verweigerung und Blockade bei der alltäglichen
Umsetzung von Hartz IV den gegenwärtigen sozialen Angriff wirklich gefährden können. Ohne
eine umfassende Aktivierung und Selbstorganisierung der unmittelbar betroffenen Erwerbslosen ist ein
solcher Alltagswiderstand schwer vorstellbar. Ein erster Schritt wäre sicherlich die Verbreiterung
eines Bewusstseins darüber, dass auch bereits verabschiedete und eingeführte Gesetze, sollten wir
sie für nicht legitim halten, durch massenhaften sozialen Ungehorsam wieder gekippt werden
können.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di
distanzierte sich noch einmal nachdrücklich von den Protesten und untersagte sogar in einem internen
Schreiben den eigenen Funktionären die Teilnahme. Dies stieß jedoch auf zum Teil heftigen Unmut
innerhalb der Gewerkschaft und entzündete eine kritische Debatte um die Fragen »Was ist
Interessenvertretung?« und »Wessen Interessen will Ver.di vertreten?«. Trotzdem beteiligten
sich konsequenterweise auch Ver.di-Kollegen der regionalen Erwerbsloseninitiativen am Agenturschluss.
Fast alle Städte, die (u.a. auf Labournet und Indymedia) über ihren 3.Januar berichtet haben,
betonen, dass sie ihre Aktivitäten im Rahmen der Aktion Agenturschluss nicht als einmaliges Ereignis,
sondern als Auftakt zu einer Reihe weiterer Interventionen begreifen. Dazu haben am Wochenende vom
15./16.Januar rund 50 Personen aus zwanzig Städten auf einem bundesweiten Treffen die Aussichten
verschiedener, weiterführender Strategien erörtert.
Grundlage für weitere Aktivitäten
könnten die in einigen Orten zum Agenturschlussauftakt eröffneten Beschwerde- und
Dokumentationsstellen sein. Wären sie eine Erfindung der Bundesagentur für Arbeit, hätten
deren Begriffsretuschierer sie vermutlich »Hartz-IV-Monitoring-Stellen« getauft. Deren Gegner
sprechen lieber von militanter Untersuchung, mit der sie Hartz IV auf die Finger schauen und kritisch
begleiten wollen.
Tatsächlich sind die neu eingerichteten
Kontaktmöglichkeiten via Telefon, E-Mail und einem anonymen bundesweiten Internetforum etwas anderes
als bloße Meckerecken, eher eine Art von kollektiver Selbstverteidigung. Die Initiatoren wollen von
Erwerbslosen genau wissen, was auf den Ämtern läuft, wie die sog. Eingliederungsvereinbarung
konkret aussieht, wie die Leute bei den 1-Euro-Jobs behandelt werden, wie die Androhung zum Zwangsumzug
aussieht usw. In einer Pressemitteilung kündigt das Wuppertaler Sozialforum an, alle Fallmanager und
1-Euro-Job-Einsatzstellen einem kritischen Kundencheck zu unterziehen. Denn wie heißt es so
schön: »Der Kunde ist König.« Um bei nachgewiesener Gängelei zielgenau
intervenieren zu können, lautet die explizite Aufforderung, die Namen der verantwortlichen Fallmanager
im Arbeitsamt bzw. der Verantwortlichen in den kirchlichen und kommunalen Beschäftigungsgesellschaften
für »Gemeinwohlarbeit« zu nennen. Proletarische Umzüge nach italienischem Vorbild
werden als eine von vielen (Re-)Aktionsformen in Aussicht gestellt. Weitere Möglichkeiten wurden auf
dem bundesweiten Treffen bewusst nur angedeutet. Hier entscheiden Wut und Fantasie der regionalen Gruppen
über die Formen des Widerstands.
Gerade die kürzlich vorgebrachte IHK-
Offensive, 1-Euro-Jobs auch in privaten Unternehmen anzubieten, bekräftigt die Notwendigkeit für
eine scharfe Mobilmachung gegen diese Form des Zwangs zur Arbeit generell, so der Erwerbslosenratschlag des
Sozialforums. Gefragt sind überdies auch solidarische Beschäftigte der Arbeitsagenturen und
Beschäftigungsstellen, die sich intern ebenfalls gegen die unwürdige Verarmungspolitik unter
Hartz IV zur Wehr setzen wollen. Auch hier wird auf die Möglichkeit anonymer Berichte vom heimischen
PC bzw. aus Internetcafés hingewiesen.
Zwei Tage nach Eröffnung der
Beschwerdestelle trudelten prompt die ersten Details zur vermeintlichen »Zusätzlichkeit«
einiger bereits geschaffener 1-Euro-Jobs im Bereich der Altenpflege ein. In mehreren Fällen wurde
regulären Mitarbeitern gekündigt und deren Stelle eindeutig als Tätigkeit mit
Mehraufwandsentschädigung neu besetzt. Um möglichst viele derartige konkrete Informationen zu
sammeln, wird eine groß angelegte Umfrage angestrebt. In einigen Städten gab es bereits die
ersten »Recherche-Spaziergänge« zu 1-Euro-Jobs-Einsatzstellen. Es liegt nunmehr ein
konkreter Vorschlag auf dem Tisch, mit dem bis dahin recherchierten Detailwissen am 25.April eine
bundesweite Aktion gegen zentrale Beschäftigungsträger von 1-Euro-Jobs durchzuführen.
Lutz Wehring
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