SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2005, Seite 15

Spaniens Izquierda Unida

Nur noch ein Zerfallsprodukt?

Izquierda Unida (Vereinigte Linke) hat vom 10. bis 12.Dezember 2004 in Madrid ihre VIII.Versammlung durchgeführt. IU ist nach Wählerstimmen die drittstärkste Kraft im spanischen Staat und hat drei Abgeordnete im Zentralparlament.

Die außerordentliche Versammlung hat versucht, eine Antwort auf die schwere Krise zu geben, die IU in den letzten Jahren durchmacht. Diese hat sich durch die schlechten Wahlergebnisse bei den Parlamentswahlen am 14.März 2004 und bei den nachfolgenden Europawahlen noch verschärft. Obwohl das Dokument der Mehrheit zu 60,6% angenommen wurde, ist ein Ende der Führungskrise nicht erkennbar. Sie manifestiert sich vor allem in der offenen Auseinandersetzung zwischen dem Generalkoordinator von IU, Gaspar Llamazares, und der Führung der KP, die die stärkste politische Kraft in IU ist.
Die Krise von IU hat zahlreiche Gründe, die meisten liegen in der Agonie und dem Zerfall der KP in verschiedene Fraktionen.
Aber man muss unterscheiden zwischen der Krise der politischen Orientierung und der Verzerrung der internen Willensbildung wegen dem Aufbau von IU als Koalition von Fraktionen ohne nennenswerten eigenen organisatorischen Apparat.
IU entstand auf Vorschlag der KP Mitte der 80er Jahre nach der Massenkampagne gegen Spaniens Beitritt zur NATO als Koalition von politischen Organisationen und Parteien. Während die kleineren politischen Organisationen nach und nach verschwunden sind, ist die KP in verschiedene Fraktionen zerfallen: einige von ihnen konzentrieren sich in verschiedenen Regionalleitungen, eine andere im zentralen Parteiapparat. Hinzu kommen etwa ein Dutzend Strömungen und Fraktionen, die ihren Ursprung in der extremen Linken haben und in der KP arbeiten.
Die Folge ist, dass die fraktionelle Arbeit, die das öffentliche Auftreten und die Mitgliederwerbung für die jeweils eigene Strömung bevorzugt, in den letzten Jahren den Aufbau von IU als gemeinsame autonome Organisation blockiert hat. Die Basisversammlungen von IU sind alles andere als interventionsfähige Gruppen, eher ein Art Parlament, in dem zu jedem Tagesordnungspunkt erst die sieben oder acht anwesenden Strömungen gehört werden, bevor die Mitglieder zu Wort kommen.
Eine demokratische Kontrolle der Führungen der verschiedenen Strömungen durch ihre jeweilige Basis gibt es nicht, meist geschieht die Willensbildung in IU so, dass sich nur die Apparate der verschiedenen Strömungen untereinander verständigen. Das Fehlen einer gesamtstaatlichen Leitung hat eine starke Autonomisierung der Parlamentariergruppe begünstigt, sie bildet die wirkliche Führung von IU und sieht sich im Gegensatz zur Führung der KP und zu ihren regionalen Organisationen.
In den vergangenen drei Jahren hat es im spanischen Staat den größten Zyklus sozialer Mobilisierungen gegen die konservative Regierung seit dem Ende der Franco-Ära gegeben. Hunderttausende von Menschen haben an Aktionstagen und Demonstrationen gegen die spanische EU-Präsidentschaft, gegen den Nationalen Wasserplan, die Rentenreform, die Reform des Arbeitsmarkts und den Irakkrieg teilgenommen.
Dieser Schmelztiegel hat dazu geführt, dass nach den islamistischen Anschlägen vom 11.März, die die Regierung der Volkspartei (PP) versuchte, der ETA in die Schuhe zu schieben, die Wählerstimmung endgültig zugunsten der Linken gekippt ist, nachdem sich eine solche Verschiebung schon vorher in den Kommunalwahlen und in der Bildung der baskischen und der katalanischen Regionalregierungen angekündigt hatte.
Durch ihre baskische Organisation Ezker Batua (EB-B) und durch ihre Allianz mit ICV in Katalonien ist IU an beiden Regionalregierungen beteiligt. Beide hatten sich unter der Regierung Aznar zu Bastionen ihrer Gegenspieler entwickelt und eine neue Kräftekonstellation geschaffen. In den Wahlen vom 14.März betrieb IU ihr Ziel weiter, die PP auch aus der Zentralregierung zu drängen.
Hauptnutznießerin der neuen politischen Situation wurde jedoch die PSOE, zusammen mit einigen sozialdemokratischen nationalistischen Organisationen wie Ezquerra Republicana in Katalonien (ERC). IU schaffte es nicht, ihr Engagement in den sozialen Bewegungen in Wählerstimmen umzusetzen, obwohl sie manchmal darin eine entscheidende Rolle gespielt hatte.

Der politische Hintergrund

Die Krise von IU hat viel mit der strategischen Orientierungskrise der gesamten alternativen Linke in Europa gemeinsam. Sie hat aber auch Besonderheiten, die mit dem neuen politischen Zyklus zusammenhängen, der in Spanien durch die Niederlage der PP eröffnet wurde.
Die PSOE hat in Madrid eine Minderheitenregierung gebildet, die auf die parlamentarische Unterstützung von IU und ERC angewiesen ist. Sie ist etwas überraschend an die Regierung gekommen, trotz einer zuvor wenig effizienten Oppositionsarbeit und obwohl sie sich keine eigene soziale Basis hat aufbauen können.
Im Gegensatz dazu kann die Volkspartei, gestützt auf ihre achtjährige Regierungsarbeit und auf die Unterstützung der Unternehmer und der Kirche auf eine starke soziale Basis zählen, die von einem reaktionären spanischen Nationalismus im Gegensatz zum katalanischen, baskischen oder galizischen Nationalismus zusammen gehalten wird.
In den ersten neun Monaten ihrer Amtszeit war das wichtigste Ziel der PSOE, die Bindung linker, gegen die PP eingestellter Wähler an ihre Partei zu stabilisieren, indem sie den sozialen Bewegungen starke politische Zugeständnisse machte und deren Führungspersonen kooptierte, zugleich neoliberale Maßnahmen mit größeren negativen Konsequenzen vermied.
Das hat den politischen Spielraum für IU stark eingeengt, zumal sie derzeit nicht mit außerparlamentarischen sozialen Mobilisierungen rechnen kann, sieht man von Teilkämpfen gegen die Schließung staatlicher Werften und gegen die Verlagerung von Fabriken nach Osteuropa ab. Andererseits ist ihre parlamentarische Unterstützung für das Überleben der PSOE-Regierung zentral, zumal die konservative Rechte einen starken gesellschaftlichen und parlamentarischen Gegenangriff führt.
Was soll man in dieser Lage tun? Die strategische Debatte, wie eine unabhängige, alternative politische Kraft aufgebaut werden kann, ohne dass man in Sektierertum und Propagandismus verfällt, und wie eine solche Kraft helfen kann, die sozialen Bewegungen wieder zu stärken, stand im Mittelpunkt der außerordentlichen Versammlung von IU.

Zwei Linien, drei Kandidaturen

Das politische Projekt der Mehrheit besteht darin, den Bewusstseinsprozess der Wählerschaft, die in der vorangegangenen Phase stark mobilisiert war, zu begleiten mit dem Ziel, die parlamentarische Mehrheit und die Minderheitsregierung der PSOE nach links zu drücken und dabei ausgehend von sozialen Mobilisierungen das Kräfteverhältnis für die Linke insgesamt zu erhalten und zu verbessern.
Die Aufgabe von IU wäre es nach diesem Ansatz, die sozialen Bewegungen zu ermutigen, sie zu strukturieren, ihre Wirksamkeit und ihr Selbstvertrauen gegenüber der Rechten, aber auch gegenüber allen rechten Maßnahmen der PSOE- Regierung zu stärken. Das ist eine Strategie der Akkumulation von Kräften ausgehend von Bewegungen, um mehr sozialen und institutionellen Druck auszuüben und das Kräfteverhältnis schließlich zum Vorteil zu ändern.
Es geht darum, eine schwache PSOE-Regierung auf gesellschaftlicher und institutioneller Ebene mit politischen Alternativen zu konfrontieren, damit sie diese umsetzt. Die plurale linke Mehrheit in der Gesellschaft, in den Institutionen und im Parlament soll dadurch gestärkt werden. Es ist kein Zufall, dass die Mehrheit der IU endlich die Ablehnung des neoliberalen EU-Verfassungsvertrags als einen ihrer programmatischen Eckpunkte angenommen hat.
Das politische Projekt der Minderheit, die 27% der Stimmen auf sich vereinigen konnte, geht nicht von der objektiven Situation, von einer Analyse der Kräfteverhältnisse oder dem tatsächlichen Klassenbewusstsein aus. Es geht von zwei subjektiven Befürchtungen aus: dass IU sich der PSOE unterordnet, und dass eine gedachte antikapitalistische Bewegung hier und heute in der alternativen Linken keinen politischen Ausdruck findet.
Diese beiden Befürchtungen sind das Ergebnis einer ideologischen Analyse, die Sozialliberalismus und Antikapitalismus programmatisch gegeneinander stellt, die aber nicht anknüpft an die reale Entwicklung des Klassenbewusstseins und keine praktische Verbindung zwischen dem Zustand der Bewegung und ihren antikapitalistischen Zielen herstellt. Obwohl sie die sozialen Bewegungen idealisiert, begibt sie sich nicht mitten in sie hinein, um reale taktische und politische Probleme aufzuwerfen und den Bewegungen oder der politischen Linken zu helfen, Antworten zu geben, die materielle Auswirkungen auf das Kräfteverhältnis haben.
Bis jetzt hat die Minderheit in den Debatten der letzten Monate noch nicht erklärt, wie sie mit den logischen Folgen ihres Propagandismus umgehen will: Soll die strategische Allianz mit der ICV aufgekündigt werden, soll die EB-B aus der baskischen Regierung austreten, soll die katalanische Dreiparteienregierung aufgelöst oder ohne vorherige Verhandlungen gegen den Haushalt 2004 gestimmt werden? All diese Maßnahmen würden die PSOE- Regierung sieben Monate nach ihrer Wahl der Rechten ausliefern. Diese sog. Alternativen zur angeblichen Unterwerfung unter die PSOE würde nicht nur die Krise der IU vertiefen, sondern sie auch in direkte Konfrontation zur sozialen Linken bringen.
Die Unterschiede in der Orientierung wurden auf der Versammlung durch harte Fraktionskämpfe untersetzt. Sie kamen schließlich in drei konkurrierenden Kandidaturen zum Ausdruck, alle drei von KP-Mitgliedern: der derzeitige Generalkooordinator, Gaspar Llamazares; der Kandidat der KP-Jugend, Enrique de Santiago, unterstützt von Teilen der KP in Andalusien; und Sebastián Martin Recio, unterstützt vom anderen Teil der andalusischen KP und von der extremen Linken. Die drei Kandidaten erhielten jeweils 49,5%, 38,1% und 12,4% der Stimmen.

Die Nationalitätenfrage

Bei der Wahl des neuen Generalkoordinators auf der ersten Sitzung des Föderalen Politischen Rats — auf der nur die Hälfte derer anwesend ist, die direkt von der Versammlung gewählt wurden — hätten die Unterstützer der beiden kritischen Kandidaturen theoretisch ihre Stimmen bündeln können. Sie hätten dann eine Mehrheit von 56 Stimmen gegen die 54 auf sich vereinigt, die Llamazares hinter sich hatte.
Um diesen Situation zuvorzukommen, hatte die Mehrheit einen Antrag auf Änderung des Statuts vorgelegt, um zu ermöglichen, dass die Koordinatoren der regionalen Organisationen schon in der ersten Sitzung des Föderalen Rats abstimmungsberechtigt wären, nicht erst in der zweiten Sitzung, die den gewählten Generalkoordinator nur noch ratifiziert, der damit als vom gesamten Rat gewählt gilt. Die Abstimmung über die Statutenänderung fand aber nicht statt, weil keiner der beiden Kandidaten der Minderheit sich zur Wahl stellte, wissend, dass mindestens vier Mitglieder der dritten Liste von Sebastián Martin Recio sich enthalten hätten. Damit war das von der KP angezettelte Projekt des Sturms auf die Führung von IU an seinen inneren Widersprüchen und an den Konflikten in der andalusischen Föderation von IU gescheitert.
Enrique de Santiago erklärte dennoch, er werde seine Kandidatur auf der folgenden Plenarsitzung des Föderalen Politischen Rats am 22.Januar präsentieren. Damit versucht er die Legitimität der neuen Mehrheit maximal zu untergraben. Der Fraktionalismus und die Krise der KP blockieren den Prozess des gemeinsamen Aufbaus von IU.
Die Aussichten sind also nicht gut. IU kann wegen der internen Fraktionskämpfe gegenüber der PSOE nicht selbstbewusst auftreten und sie nicht herausfordern. Nur ein Wiedererstarken der sozialen Bewegungen kann ihr helfen, diese Agonie zu überwinden.
Diese wird noch verstärkt durch das Aufflammen der Debatte um die Reform der Autonomiestatute der Nationalitäten im spanischen Staat, insbesondere im Baskenland und in Katalonien. Der Vorschlag der baskischen Regierung für ein Referendum über die Schaffung eines baskischen Staats, der mit dem spanischen Staat frei assoziiert wäre und der von der Mehrheit des baskischen Parlaments unterstützt wird, hat die Linke sofort in einen zentralistischen und einen nationalistischen Flügel gespalten. Ein solches Referendum ist von der Verfassung nicht vorgesehen.
Vor allem IU ist gespalten. Auf der einen Seite haben sich die baskische und die katalanische Föderation von IU (EB-B und EUiA) mit anderen Teilen der Mehrheit und einem Teil der dritten Strömung verbünden — von der CUT organisierte Tagelöhner aus Andalusien und Espacio Alternativo —, um das Recht auf Selbstbestimmung zu verteidigen. Doch die Mitglieder der KP — in allen drei Strömungen — beharren auf ihrer zentralistischen Sichtweise, die den Völkern ohne Staat wesentliche Selbstbestimmungsrechte vorenthält.

Gustavo Buster

Gustavo Buster ist Mitglied der IV.Internationale und Mitglied in IU. Er war Delegierter auf der außerordentlichen Versammlung. (Übersetzung: Angela Klein.)



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