SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2005, Seite

Ein Monat ALG II

Gravierende Mängel im neuen Leistungsrecht

Die Proteste gegen Hartz IV gehen weiter: Montagsdemonstrationen finden weiter statt, Erwerbsloseninitiativen rufen auf, die Umsetzung der Hartz-Gesetze zu beobachten und richten Webseiten dafür ein, 1-Euro-Jobber organisieren sich in Berlin und Hamburg. Für den 14.Februar wurde ein »Tag der Rechenschaft« ausgerufen, an dem in Leipzig Erwerbslose der SPD ihre eigene Bilanz von Hartz IV vorgelegt haben.

Mit der sog. Arbeitsmarktreform Hartz I—IV versprach die SPD-geführte Bundesregierung, es würden Arbeitsplätze geschaffen und Sozialhilfebezieher auch finanziell besser gestellt. Nichts von alledem ist eingetreten. Mittlerweile ist die Zahl von 5 Millionen Erwerbslosen auch offiziell erreicht. Weitere zwei bis 3 Millionen Erwerbslose werden in der Statistik gar nicht erst erfasst. Ihre finanzielle Lage hat sich durch die Einführung von Hartz IV in den ersten Wochen des Jahres 2005 dramatisch verschlechtert, die der meisten bisherigen Sozialhilfebeziehern ebenfalls. Das beklagen unisono sämtliche Betroffene.
Bei der Festlegung der Berechnungsgrundlage des Regelsatzes (ALG II) wurde zudem bewusst gemogelt. Zum Leben unabdingbar notwendige Ausgaben wurden nicht berücksichtigt. Nach Überprüfungen der Sozial- und Lebenshaltungskosten durch Experten hätten Erwerbslose über 200 Euro mehr unabdingbar notwendige Ausgaben, als ihnen zugebilligt werde. Mehrere Dutzend Einzelpositionen seien im Regelsatz gar nicht enthalten. Nicht umsonst kommen alle Erwerbslosengruppen, gleich welcher Richtung sie angehören, immer wieder zum Schluss, dass ein alleinstehender Erwerbsloser heute allermindestens 800 Euro zum Leben braucht.
In einer gemeinsamen Stellungnahme erklären die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS), die Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen (BAG-SHI) und das Tacheles e.V. entgegen den Bekundungen der Bundesagentur für Arbeit seien die Fälle, bei denen ALG II nicht rechtzeitig gewährt wurde, keine Ausnahmeerscheinung.
Immer wieder meldeten sich bei den Beratungsstellen und Telefonhotlines Betroffene aus dem gesamten Bundesgebiet, die noch Ende Januar weder einen Bescheid noch eine Leistung erhalten haben. In Berlin sollen ca. 23000 Bescheide verloren gegangen sein. Die Software A2LL läuft noch immer nicht reibungslos, vielerorts sind die Leistungsträger überlastet und die Mitarbeiter wurden, wenn überhaupt, im Schnellverfahren geschult.

Fehlerhafte Bescheide, keine Arbeit

Etwa 90% der Bescheide, die den unabhängigen Beratungsstellen vorgelegt wurden, sind nach dem Bekunden dieser Verbände fehlerhaft. Die häufigsten Berechnungsfehler werden bei der Einkommensbereinigung und den Freibeträgen gemacht, die vom Einkommen abzusetzen sind. Sehr oft werden auch Mehrbedarfszuschläge für Alleinerziehende, Schwangere oder Behinderte, die die Leistung erhöhen, nicht berücksichtigt. Häufige Fehler werden auch bei der Leistungsberechnung für die Bedarfsgemeinschaft gemacht, das Sozialgeld wird vergessen oder Kindergeld doppelt als Einkommen gerechnet. Rechtswidrig werden Unterhaltsverpflichtungen innerhalb von Haushalts- oder Wohngemeinschaften konstruiert.
Flächendeckend werden Unterkunftskosten gekürzt oder die Betroffenen aufgefordert, ihre Kosten durch Umzug zu senken, auch wenn die Miete durchaus dem normalen Niveau entspricht. In vielen Fällen wird nicht einmal die gesetzlich vorgesehene sechsmonatige Karenzzeit beachtet, in der die tatsächlichen Unterkunftskosten in voller Höhe übernommen werden müssen. Das Problem wird sich noch verschärfen, wenn nach sechs Monaten die Karenzzeit abläuft und Erwerbslose zum Wohnungswechsel gezwungen sind. Auch die Übernahme der Kosten von Heizbrennstoffen bereitet vielerorts Probleme.
Die Bescheide sind oft unverständlich und für die Betroffenen nicht nachvollziehbar und überprüfbar. Das verstößt gegen geltendes Recht, denn nach dem SGB X muss ein Verwaltungsakt nachvollziehbar begründet sein.
Das neue Gesetz bietet keine verbindlichen Angebote zur Qualifizierung von Arbeitslosen. Zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt sind lediglich Ermessensleistungen ohne Rechtsanspruch vorgesehen — und die werden nur vergeben, wenn die Kassenlage es zulässt.
Während einige Erwerbslosengruppen eine deutliche Heraufsetzung des Regelsatzes fordern, haben sich die Gruppen, die am Runden Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen zusammengeschlossen sind, auf die Forderung »Recht auf Existenzsicherung mit und ohne Arbeit« geeinigt. Diese Forderung bleibt aktuell, auch dann, wenn die Regierung meint, die Hartzgesetze über die Bühne gebracht zu haben. Sie betrifft bei dem dramatischen Verfall der Löhne auch nicht allein Erwerbslose, sondern in zunehmendem Maße die Beschäftigten.

Angela Klein

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