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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2005, Seite 7

Neues Tarifrecht im öffentlichen Dienst

Voller Erfolg für Arbeitgeber

Als eine »runde Sache« beurteilt der Vorsitzende der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, Frank Bsirske, das neu ausgehandelte Tarifwerk für die mehr als 2 Millionen abhängig Beschäftigten des Bundes und der Kommunen. Die Kommentatoren der bürgerlichen Presse sind begeistert, bezeichnen hier und da den Tarifvertrag als Jahrhundertwerk und verweisen auf sein Vorbildfunktion für andere Branchen. Die Arbeitgeber des Bundes und der Kommunen haben allen Grund zum Jubel. Die Ver.di-Führung in Berlin überschlägt sich ebenfalls vor Freude und titelt in ihrer Tarifinformation Nr.2 vom 9.2.: »Tarifreform geschafft — Nullrunde verhindert!«
Die Bundestarifkommission von Ver.di hat dem Vertrag mit 80 Ja-Stimmen, 32 Nein-Stimmen und 5 Enthaltungen zugestimmt. Die Gegenstimmen kamen hauptsächlich aus Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg. Wenn die Ver.di-Führung nun verkündet, dass die wesentlichen Ziele erreicht sind, die abhängig Beschäftigten des öffentlichen Dienstes weiterhin an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilnehmen und die Besitzstände der derzeit Beschäftigten gesichert sind, dann muss man sich die Frage stellen, ob nicht auch in den Führungsetagen von Ver.di ein gewisser Realitätsverlust um sich gegriffen hat.
Was ist denn für die abhängig Beschäftigten real herausgekommen?
1. Kein Cent Lohn- und Gehaltserhöhung für die Monate Februar bis September — vor dem Hintergrund steigender Preise und der fortwährenden Belastungen infolge des Abbaus der Leistungen der Sozialversicherungssysteme.
2. Einmalzahlungen über einen Zeitraum von drei Jahren in einer Gesamthöhe von 900 Euro, die nicht tabellenwirksam werden und somit nicht dauerhaft Bestandteil des Gehalts sind.
3. Zusammenlegung des Weihnachts- und Urlaubsgelds ab 2007, was de facto nichts anderes bedeutet als die Streichung des Urlaubsgelds; nur für die unteren Einkommen erhöht sich die Sonderzahlung um 7%. Da aber das ehemalige Urlaubsgeld in Höhe von 300 Euro wegfällt, kommt auch in dieser Gruppe mit Sicherheit keine Freude auf.
4. Die Einführung einer leistungsorientierten Bezahlung wird dazu führen, dass ältere und gesundheitlich beeinträchtigte Beschäftigte benachteiligt werden — unabhängig davon, wer die Leistung beurteilt und welche Kriterien überhaupt zugrunde gelegt werden.

5. Der teilweise Wegfall von Überstundenzuschlägen sowie die Erhöhung der Arbeitszeit — für die Bundesbeschäftigten bereits festgeschrieben — beinhalten ebenfalls deutliche Einkommensverluste.

Der Druck auf die Ver.di-Landesbezirke, die 40-Stunden-Woche regional zu vereinbaren, wird immer stärker werden. Vor dem Hintergrund, dass die von den öffentlichen Arbeitgebern immer wieder geforderte Arbeitszeitverlängerung immerhin vom Bundesvorstand als Ko-Punkt betrachtet worden war, spricht das Einknicken der Ver.di-Verhandlungsführer Bände.
Wenn denn überhaupt von Fehlern in der Verhandlungsführung gesprochen werden kann, so liegen diese in dem naiven Glauben, in einer Zeit der neoliberalen Offensive des Kapitals — in enger Zusammenarbeit mit der de facto großen Koalition aus SPD/Grünen/CDU/FDP — ein neues Tarifwerk zum Abschluss bringen zu können, das vorrangig positive Elemente für die Beschäftigten beinhaltet.
Aber — war das wirklich alles nur eine Fehleinschätzung der Gewerkschaftsführung? Das zu glauben, käme fast einer Beleidigung der verantwortlichen Personen und ihrer Intelligenz an der Spitze der größten Einzelgewerkschaft der westlichen Welt gleich. Eine Analyse der derzeitigen Politik der Ver.di-Führung muss berücksichtigen, dass spätestens seit Anfang dieses Jahres nicht nur tarifpolitisch, sondern vor allem auch sozialpolitisch in eklatanter Art und Weise zurückgerudert wird, wo im Jahr 2004 der Ver.di-Bundesvorstand fast ausschließlich auf Druck der Basis und nicht zuletzt der sozialen Bewegungen agiert hat und am Widerstand gegen die Agenda 2010 beteiligt war — aber auch das nur bis zu einem gewissen Grad.
Den Führungen der DGB-Gewerkschaften geht es in erster Linie darum, alles zu unterlassen, was der derzeitigen Regierungskoalition aus SPD und Grünen schaden könnte. Schließlich stehen Landtagswahlen an, wobei die in Nordrhein- Westfalen am 22.Mai die bedeutendste ist. Auch die Ver.di-Führung ist zutiefst davon überzeugt, dass ein Wahlsieg der Unionsparteien eine Potenzierung des Sozialkahlschlags und das Ende der Tarifautonomie bedeuten würde.
Hinzu kommt, dass die Personen an der Spitze der Gewerkschaften kaum noch über einen realen Bezug zur Arbeits- und Lebenssituation ihrer Mitglieder verfügen. Das Gerede über ein modernes und zukunftsgerichtetes Tarifrecht ist nichts als Nachgeplapper der Worthülsen der Unternehmer, die unter dem Deckmantel der »Modernisierung« Flexibilisierung, Arbeitsverdichtung und Lohndumping durchsetzen. Und dies — das wird immer deutlicher — mit tatkräftiger Unterstützung der Gewerkschaftsvorstände.
Mit dieser Ausverkaufspolitik werden die Gewerkschaften gegen die Wand gefahren. Sie machen sich überflüssig. Das spüren auch die abhängig Beschäftigten und ziehen vielfach die die falschen Konsequenzen. Wenn die linken und fortschrittlichen Kräfte innerhalb der Gewerkschaft nicht bald eine Stärke erreichen, die sie in die Lage versetzen, das Ruder herumzureißen, sieht die Zukunft der Arbeiterbewegung düster aus.

Wolfgang Zimmermann

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