SoZSozialistische Zeitung |
35 Jahre bundesdeutscher Hochschulgeschichte haben ihr vorläufiges Ende
gefunden. Das politische Gefälligkeitsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.Januar, dass eine
bundeseinheitliche Regelung gegen allgemeine Studiengebühren weder zur »Herstellung
gleichwertiger Lebensverhältnisse« noch zur »Wahrung der Wirtschaftseinheit«
erforderlich sei, hat nun auch formal zentrale Grundlagen der sozialdemokratischen Bildungspolitik
zerstört. Die einzelnen Bundesländer können fortan nach eigenem Gustus über Art und
Umfang von Studiengebühren entscheiden.
Die erst 1970 durchgesetzte allgemeine Abschaffung von Studiengebühren ist damit dem Prinzip nach
aufgehoben und der seitdem geltende individuelle Rechtsanspruch auf freie Studienplatzwahl endgültig
unterhöhlt und von ökonomischen Kriterien abhängig gemacht. Während Gewerkschaften und
Studierendenorganisationen von einem fatalen Urteil und einer bildungspolitischen Katastrophe sprechen,
bereitet sich die Öffentlichkeit auf die bevorstehenden Veränderungen vor. Mehrere
unionsgeführte Länder haben bereits die Erhebung von Studiengebühren über die
Langzeitstudierenden hinaus angekündigt. Einig sind sich dabei alle Beobachter, dass die
angekündigten 500 Euro pro Semester nur gleichsam ein Einstiegstarif sind.
Eine feine Ironie ist hier am Weg. In typisch
sozialdemokratischer Manier versuchte die 1998 an die Regierungsmacht gekommene rot-grüne
Bildungspolitik einerseits den neoliberalen Vorgaben in der Bildungspolitik nachzukommen und sich
andererseits gegen diese vor allem mit dem Mittel der Rechtspolitik schützen. Gedacht als
institutionelle Grenzmarkierung gegen die allzu weite Öffnungspolitik, erweist sich nun das 2002 von
der »linken« Bundesbildungsministerin Edelgard Buhlmann in die 6.Hochschulrahmengesetznovelle
integrierte begrenzte Studiengebührenverbot als endgültiger Türöffner gerade für
diese Studiengebühren.
In dem bemerkenswerten Kurzschluss, aus der verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit eines
bundeseinheitlich durchgesetzten Studiengebührenverbots positiv zu schließen, dass nun jede
Länderprovinz Studiengebühren einführen dürfe, wie sie wolle, verdeutlicht sich einmal
mehr, dass die ideologische Hegemonie des Neoliberalismus gerade auch unter »Rot-Grün«
massiv zugenommen hat. Und einmal mehr verdeutlicht sich damit auch die alte Lehre, dass Rechtsfragen
Machtfragen sind. »Ganz banal gesagt«, schrieb 1999 das Aktionsbündnis gegen
Studiengebühren, »Studiengebühren werden dann durchgesetzt, wenn ihre Befürworter stark
genug sind, dies zu tun, und ihre Gegner zu schwach, dies zu verhindern.«
An diesem Punkt scheinen wir nun angekommen zu
sein. Lange genug hat es ja gedauert, denn die Versuche zur Rücknahme der alten sozialdemokratischen
Bildungspolitik sind bekanntlich nicht neu. Sie begannen bereits mit ihrer Durchsetzung in den 70ern, als
die Reformeuphorie an den Universitäten mittels einer systematischen Verknappungspolitik finanzieller
Mittel in Schach gehalten wurde. Immer mehr Studierende mussten sich, relativ betrachtet, immer weniger
Plätze und Ausstattungsmittel teilen.
Seit Beginn der 90er Jahre ist der Anteil der
Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt sogar kontinuierlich gesunken. Und bereits sehr viel länger
wird versucht, die Forderung nach Studiengebühren als zentrales Durchsetzungsmittel zum Umbau der
Hochschulen zu Dienstleistern einer neoliberalen Wettbewerbsökonomie zu benutzen. Gleichsam logisch
ordnen sich solche Gebühren ein in die verschärfte Deregulierung der Bildungsökonomie und
die zunehmende Einführung betriebswirtschaftlicher »Effizienzsteuerungen«.
Die fast zwangsläufig erscheinende
Begleiterscheinung einer gleichzeitigen Aushöhlung universitärer, vor allem studentischer
Selbstverwaltungs- und Mitbestimmungsstrukturen war dabei schon immer einer der willkommenen Nebeneffekte.
Immerhin haben die Studenten mindestens dort, wo sie sich politisch artikulieren den Ruf,
penetrant links und widerständig zu sein. So war die institutionelle Modernisierung des
Bildungssystems durch ökonomische Selbstregulierung der Subjekte immer auch und nicht zuletzt der
Versuch, eine grundlegend affirmative und opportunistische Standortwissenschaft durchzusetzen, die
individuelle und gesamtgesellschaftliche Emanzipationsbedürfnisse allenfalls als philosophische Ethik
noch toleriert.
Diesem klassengesellschaftlichen Ziel ist man mit dem jüngsten Bundesverfassungsurteil einen
erheblichen Schritt näher gekommen. »Durch Studiengebühren wird es für Studenten
teurer, am Bedarf des Marktes vorbei zu studieren«, so ein neoliberaler Nachwuchsökonom.
Studieren wird auf diesem Wege zu einer Frage der Kreditwürdigkeit. Und die ist schon immer ein
hervorragendes Anpassungs- und Integrationsmittel gewesen.
Fortan soll sich Lernverhalten also an vom
anonymen Markt vorgegebenen Leistungsstandards und vermeintlichen Verwertungschancen ausrichten und
dies ausgerechnet in einer Zeit, in der der Hochschulabschluss immer weniger Garantie auf einen
angemessenen Beruf bietet.
Während sich der strukturelle Zwang zur
Anpassung bei den Studierenden auf diesem Wege also zunehmend verinnerlicht, können sich andere ganz
materiell freuen. Die Kreditinstitutionen und Finanz»dienstleister«, vor allem also die
Privatbanken, wittern zu Recht ein großes Geschäft und schon streiten sie sich mit den Vertretern
staatlicher Organe, wer denn die zwangsläufigen Risiken solcher Studentenkredite tragen soll.
Klar ist aber auch, dass sowohl die
Verwaltungsbürokratie wie auch die strukturell gewaltförmigen Kontrollmethoden zur Eintreibung
der Schulden immens ausgedehnt werden. Dass davon auch die Kinder der herrschenden Elite betroffen sein
werden, ist dieser weniger ein Problem, als es zuerst erscheint. Diese Herrschaftselite kann
schließlich auf eine ebenso umfang- wie erfolgreiche Tradition der Umgehung finanzieller Zumutungen
zurückblicken. Auch Schulden und ihre Rückzahlung sind in einer Klassengesellschaft zumeist kein
Mittel der Gleichmacherei.
Aufs Ganze gesehen ist mit dem Urteil und
seinen abzusehenden Folgen ein großer Schritt zu einem nachhaltig veränderten, zu einem
fragmentisierten und mehrfach hierarchisch strukturierten Hochschulsystem getan, das für die Masse der
Studierenden ein auf reine Berufsausbildung abgerichtetes Schmalspurstudium mittels zeitlich und inhaltlich
gekürzten »Bachelor«- und »Master«-Studiengängen vorsieht, und das einer
kleinen Elite, die es sich leisten kann, auch mehr zu bieten weiß.
Immerhin: Im unmittelbaren Anschluss an das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts demonstrierten Ende Januar/Anfang Februar etwa 25000 Studierende in
mehreren Universitätsstädten gegen das Urteil und die bevorstehende Durchsetzung von
Studiengebühren.
Doch erstens sind die meisten der Betroffenen kurz darauf in die Semesterferien, sprich zumeist: in die
Lohnarbeit gewechselt und werden sich erst im Mai wieder zusammensetzen, um weitere Schritte zu beraten.
Zum zweiten bleibt fraglich, ob, wie das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren verkündete,
mit den dezentralen Demonstrationen und vor allem ihren Parolen »eine solide Grundlage für
weitere massive Proteste im Sommersemester« gelegt ist.
Die Tatsache allein, dass Studiengebühren
soziale Gerechtigkeit nicht gerade befördern, wird als zentrales Argument der Gegenwehr dort zunehmend
stumpf, wo der Anspruch sozialer Gerechtigkeit der Hegemonie neoliberalen Konkurrenzdenkens bereits weithin
unterlegen ist.
Auch die engagierten Gewerkschaftsvertreter
wissen sich offensichtlich keinen besseren Rat, als erneut nach einem »Bündnis für
Bildung« oder einem »Bildungskonvent« zu rufen. Zeigen nicht spätestens die Erfahrungen
mit dem »Bündnis für Arbeit«, dass bestimmte Kreise auf ein solches Bündnis schon
lange keinen Wert mehr legen? Zeigt nicht gerade das BVG-Urteil, dass mit einer trotzigen Forderung:
»Jetzt erst recht: Verbot von Studiengebühren« weder Eindruck noch Mobilisierungskraft zu
gewinnen ist?
Erinnernswert bleibt vielmehr, wie der freie
Hochschulzugang und die Gebührenfreiheit historisch errungen wurden: Nicht mit
»sozialdemokratischer« Bettelei, sondern als Zugeständnis auf den kräftigen Ruf nach
»Studentenmacht«.
Christoph Jünke
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