SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2005, Seite 8

Rolle rückwärts

Das Verbot von Studiengebühren ist verboten

35 Jahre bundesdeutscher Hochschulgeschichte haben ihr vorläufiges Ende gefunden. Das politische Gefälligkeitsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.Januar, dass eine bundeseinheitliche Regelung gegen allgemeine Studiengebühren weder zur »Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse« noch zur »Wahrung der Wirtschaftseinheit« erforderlich sei, hat nun auch formal zentrale Grundlagen der sozialdemokratischen Bildungspolitik zerstört. Die einzelnen Bundesländer können fortan nach eigenem Gustus über Art und Umfang von Studiengebühren entscheiden.

Wegezoll

Die erst 1970 durchgesetzte allgemeine Abschaffung von Studiengebühren ist damit dem Prinzip nach aufgehoben und der seitdem geltende individuelle Rechtsanspruch auf freie Studienplatzwahl endgültig unterhöhlt und von ökonomischen Kriterien abhängig gemacht. Während Gewerkschaften und Studierendenorganisationen von einem fatalen Urteil und einer bildungspolitischen Katastrophe sprechen, bereitet sich die Öffentlichkeit auf die bevorstehenden Veränderungen vor. Mehrere unionsgeführte Länder haben bereits die Erhebung von Studiengebühren über die Langzeitstudierenden hinaus angekündigt. Einig sind sich dabei alle Beobachter, dass die angekündigten 500 Euro pro Semester nur gleichsam ein Einstiegstarif sind.
Eine feine Ironie ist hier am Weg. In typisch sozialdemokratischer Manier versuchte die 1998 an die Regierungsmacht gekommene rot-grüne Bildungspolitik einerseits den neoliberalen Vorgaben in der Bildungspolitik nachzukommen und sich andererseits gegen diese vor allem mit dem Mittel der Rechtspolitik schützen. Gedacht als institutionelle Grenzmarkierung gegen die allzu weite Öffnungspolitik, erweist sich nun das 2002 von der »linken« Bundesbildungsministerin Edelgard Buhlmann in die 6.Hochschulrahmengesetznovelle integrierte begrenzte Studiengebührenverbot als endgültiger Türöffner gerade für diese Studiengebühren.

Rechtsfragen sind Machtfragen

In dem bemerkenswerten Kurzschluss, aus der verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit eines bundeseinheitlich durchgesetzten Studiengebührenverbots positiv zu schließen, dass nun jede Länderprovinz Studiengebühren einführen dürfe, wie sie wolle, verdeutlicht sich einmal mehr, dass die ideologische Hegemonie des Neoliberalismus gerade auch unter »Rot-Grün« massiv zugenommen hat. Und einmal mehr verdeutlicht sich damit auch die alte Lehre, dass Rechtsfragen Machtfragen sind. »Ganz banal gesagt«, schrieb 1999 das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren, »Studiengebühren werden dann durchgesetzt, wenn ihre Befürworter stark genug sind, dies zu tun, und ihre Gegner zu schwach, dies zu verhindern.«
An diesem Punkt scheinen wir nun angekommen zu sein. Lange genug hat es ja gedauert, denn die Versuche zur Rücknahme der alten sozialdemokratischen Bildungspolitik sind bekanntlich nicht neu. Sie begannen bereits mit ihrer Durchsetzung in den 70ern, als die Reformeuphorie an den Universitäten mittels einer systematischen Verknappungspolitik finanzieller Mittel in Schach gehalten wurde. Immer mehr Studierende mussten sich, relativ betrachtet, immer weniger Plätze und Ausstattungsmittel teilen.
Seit Beginn der 90er Jahre ist der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt sogar kontinuierlich gesunken. Und bereits sehr viel länger wird versucht, die Forderung nach Studiengebühren als zentrales Durchsetzungsmittel zum Umbau der Hochschulen zu Dienstleistern einer neoliberalen Wettbewerbsökonomie zu benutzen. Gleichsam logisch ordnen sich solche Gebühren ein in die verschärfte Deregulierung der Bildungsökonomie und die zunehmende Einführung betriebswirtschaftlicher »Effizienzsteuerungen«.
Die fast zwangsläufig erscheinende Begleiterscheinung einer gleichzeitigen Aushöhlung universitärer, vor allem studentischer Selbstverwaltungs- und Mitbestimmungsstrukturen war dabei schon immer einer der willkommenen Nebeneffekte. Immerhin haben die Studenten — mindestens dort, wo sie sich politisch artikulieren — den Ruf, penetrant links und widerständig zu sein. So war die institutionelle Modernisierung des Bildungssystems durch ökonomische Selbstregulierung der Subjekte immer auch und nicht zuletzt der Versuch, eine grundlegend affirmative und opportunistische Standortwissenschaft durchzusetzen, die individuelle und gesamtgesellschaftliche Emanzipationsbedürfnisse allenfalls als philosophische Ethik noch toleriert.

Marktimperative

Diesem klassengesellschaftlichen Ziel ist man mit dem jüngsten Bundesverfassungsurteil einen erheblichen Schritt näher gekommen. »Durch Studiengebühren wird es für Studenten teurer, am Bedarf des Marktes vorbei zu studieren«, so ein neoliberaler Nachwuchsökonom. Studieren wird auf diesem Wege zu einer Frage der Kreditwürdigkeit. Und die ist schon immer ein hervorragendes Anpassungs- und Integrationsmittel gewesen.
Fortan soll sich Lernverhalten also an vom anonymen Markt vorgegebenen Leistungsstandards und vermeintlichen Verwertungschancen ausrichten — und dies ausgerechnet in einer Zeit, in der der Hochschulabschluss immer weniger Garantie auf einen angemessenen Beruf bietet.
Während sich der strukturelle Zwang zur Anpassung bei den Studierenden auf diesem Wege also zunehmend verinnerlicht, können sich andere ganz materiell freuen. Die Kreditinstitutionen und Finanz»dienstleister«, vor allem also die Privatbanken, wittern zu Recht ein großes Geschäft und schon streiten sie sich mit den Vertretern staatlicher Organe, wer denn die zwangsläufigen Risiken solcher Studentenkredite tragen soll.
Klar ist aber auch, dass sowohl die Verwaltungsbürokratie wie auch die strukturell gewaltförmigen Kontrollmethoden zur Eintreibung der Schulden immens ausgedehnt werden. Dass davon auch die Kinder der herrschenden Elite betroffen sein werden, ist dieser weniger ein Problem, als es zuerst erscheint. Diese Herrschaftselite kann schließlich auf eine ebenso umfang- wie erfolgreiche Tradition der Umgehung finanzieller Zumutungen zurückblicken. Auch Schulden und ihre Rückzahlung sind in einer Klassengesellschaft zumeist kein Mittel der Gleichmacherei.
Aufs Ganze gesehen ist mit dem Urteil und seinen abzusehenden Folgen ein großer Schritt zu einem nachhaltig veränderten, zu einem fragmentisierten und mehrfach hierarchisch strukturierten Hochschulsystem getan, das für die Masse der Studierenden ein auf reine Berufsausbildung abgerichtetes Schmalspurstudium mittels zeitlich und inhaltlich gekürzten »Bachelor«- und »Master«-Studiengängen vorsieht, und das einer kleinen Elite, die es sich leisten kann, auch mehr zu bieten weiß.
Immerhin: Im unmittelbaren Anschluss an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts demonstrierten Ende Januar/Anfang Februar etwa 25000 Studierende in mehreren Universitätsstädten gegen das Urteil und die bevorstehende Durchsetzung von Studiengebühren.

Perspektiven des Widerstands

Doch erstens sind die meisten der Betroffenen kurz darauf in die Semesterferien, sprich zumeist: in die Lohnarbeit gewechselt und werden sich erst im Mai wieder zusammensetzen, um weitere Schritte zu beraten. Zum zweiten bleibt fraglich, ob, wie das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren verkündete, mit den dezentralen Demonstrationen und vor allem ihren Parolen »eine solide Grundlage für weitere massive Proteste im Sommersemester« gelegt ist.
Die Tatsache allein, dass Studiengebühren soziale Gerechtigkeit nicht gerade befördern, wird als zentrales Argument der Gegenwehr dort zunehmend stumpf, wo der Anspruch sozialer Gerechtigkeit der Hegemonie neoliberalen Konkurrenzdenkens bereits weithin unterlegen ist.
Auch die engagierten Gewerkschaftsvertreter wissen sich offensichtlich keinen besseren Rat, als erneut nach einem »Bündnis für Bildung« oder einem »Bildungskonvent« zu rufen. Zeigen nicht spätestens die Erfahrungen mit dem »Bündnis für Arbeit«, dass bestimmte Kreise auf ein solches Bündnis schon lange keinen Wert mehr legen? Zeigt nicht gerade das BVG-Urteil, dass mit einer trotzigen Forderung: »Jetzt erst recht: Verbot von Studiengebühren« weder Eindruck noch Mobilisierungskraft zu gewinnen ist?
Erinnernswert bleibt vielmehr, wie der freie Hochschulzugang und die Gebührenfreiheit historisch errungen wurden: Nicht mit »sozialdemokratischer« Bettelei, sondern als Zugeständnis auf den kräftigen Ruf nach »Studentenmacht«.

Christoph Jünke

(Homepage des Aktionsbündnis gegen Studiengebühren)



Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang