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Im Kampf der europäischen Hafenarbeiter gegen die Deregulierungspolitik
der EU-Kommission sahen viele Teilnehmer der 6.Konferenz der Gewerkschaftslinken Mitte Januar in Stuttgart
(vgl. SoZ 2/05) ein mögliches Vorbild für eine konsequente und erfolgreiche gewerkschaftliche
Interessenpolitik. Der dort vorgetragene (und hier redaktionell gekürzte) Bericht von Bernt Kamin,
Vorsitzender Betriebsrat der Gesamthafenarbeiter im Hamburger Hafen, schildert die Stationen dieses
Arbeitskampfs und die Lehren, die Linke daraus ziehen sollten.
Bereits 1997 hat die EU-Kommission ein sog. Grünbuch über die europäische
Seehafenpolitik vorgelegt. Die Hafenarbeitergewerkschaften haben dieses Grünbuch nur am Rande zur
Kenntnis genommen; die dort genannten Zielsetzungen waren nicht ihre originären Themen bzw. als solche
nicht gleich zu erkennen. Erst als zwei Jahre später die Kommission einen Richtlinienentwurf vorlegte
(Port Package), wurde deutlich, in welche Richtung der Zug fährt. Plötzlich wurde sichtbar, um
welche Ziele es in Wirklichkeit ging; es sollte nicht mehr nur um »faire« Wettbewerbsbedingungen
gehen, sondern um die Deregulierung der bestehenden, erfolgreichen Arbeitssysteme in den europäischen
Häfen.
Dazu muss man wissen, dass sich insbesondere die sozialen Systeme in den europäischen Seehäfen
insofern ähneln, als es sich aus gutem Grunde um ordnende Systeme handelt, die geschaffen worden sind,
um die ehemalige Tagelöhnerarbeit abzuschaffen bzw. deren Wiedereinführung zu verhindern.
Ausdruck dieser bewährten Spielregeln sind in fast allen Ländern existierende Gesetze, die
beschreiben, wer Zugang zu dieser Arbeit hat. Betrachtet man die Geschichte der Hafenarbeiter, so ging es
immer um die Frage, was Hafenarbeit ist und wer sie ausführen darf.
Nun ist die Feststellung, dass die angedachte
Deregulierung der europäischen Häfen nicht im Sinne der Hafenarbeiter ist, das eine, einen
erfolgreichen Kampf gegen eine solche Richtlinie zu führen indes etwas anderes.
Die europäische Dependance der
Internationalen Transportarbeiterföderation, die ETF mit Sitz in Brüssel hat sich
dieser Aufgabe gestellt. In ihr sind viele Transportarbeitergewerkschaften zusammengeschlossen. Die
Koordination und Weiterentwicklung der Aktionen erfolgte über die Sitzungen der Lenkungsgruppe der
Sektion der Hafenarbeiter in der ETF sowie auf informellen Wegen einzelner, führender
Funktionäre. In der Vergangenheit waren Versuche grenzüberschreitender Zusammenarbeit auf der
Ebene des gegenseitigen Informationsaustauschs steckengeblieben, die Hürden gemeinschaftlichen
Handelns im Sinne von koordinierten Arbeitskämpfen waren ganz offensichtlich zu hoch gewesen. Beim
Kampf gegen das Port Package hingegen ist dies beispielhaft gelungen.
In diesem mehrere Monate dauernden Prozess gab
es neben den Erfolgen auch einige Schwierigkeiten, die nicht zu unterschätzen sind. So gibt es zwei
konkurrierende Dachverbände, die Hafenarbeiter organisieren. Zum einen die ETF als europäische
Sektion der Internationalen Transportarbeiterföderation (ITF) und zum anderen das International
Dockworkers Council (IDC), in dem z.B. die französische CGT und die spanische Coordinadora organisiert
sind. Sowohl in Frankreich als auch in Spanien organisieren diese Gewerkschaften den überwiegenden
Teil der Hafenarbeiter. Es kam darauf an sicherzustellen, dass notwendige Absprachen zwischen diesen beiden
konkurrierenden Organisationen getroffen werden konnten. Am Kampf gegen die Richtlinie »Port
Package« waren zudem 9 Gewerkschaften aus 15 Ländern beteiligt.
Es ist festzustellen, dass es zum Teil gravierende Unterschiede in den rechtlichen Rahmenbedingungen
gibt, unter denen die nationalen Gewerkschaften ihre Kämpfe führen. Es hat eine ganze Weile
gedauert, bis die unterschiedlichen Bedingungen verstanden und auch akzeptiert wurden. Erst danach endete
das »Spiel« der gegenseitigen Vorwürfe und die Frage, wer denn die »besseren«
Gewerkschafter sind. Erst als dieser Schritt getan war, konnte die Diskussion in eine produktive
Arbeitsatmosphäre überführt werden.
In der Vergangenheit waren
grenzübergreifende Abkommen u.a. daran gescheitert, dass es nicht gelungen ist, sich auf eine
Verfahrensweise zu verständigen, die die nationalen Besonderheiten berücksichtigt. Es gibt in den
Häfen einige Rahmenbedingungen, die in anderen Bereichen des Transportsektors so nicht anzufinden
sind. So ist z.B. der Kreis der Betroffenen relativ klein. Es gibt z.B. in Deutschland nicht mehr als etwa
10.000 Hafenarbeiter. Die sind allerdings vergleichsweise gut organisiert (8090%) und arbeiten an
einer Stelle der Transportkette, die man als Flaschenhals bezeichnen kann und dementsprechend empfindlich
ist, wenn man den Hals zudreht.
Als im Mai 2003 die Arbeit an der
Westküste der USA arbeitskampfbedingt ruhte, bezifferte die Bush-Administration den ökonomischen
Schaden mit etwa 2 Milliarden Dollar pro Tag. Bei der heute üblichen Just-in-time-Produktion hat eine
Unterbrechung der Transportkette sofort heftigste Auswirkungen auf fast alle Teile der Ökonomie.
Entsprechend wirksam sind koordinierte Arbeitskämpfe.
Ein weiterer wichtiger Baustein für den
Erfolg war die frühe Verständigung auf ein Kernthema. Es ging von Anfang an darum, deutlich zu
machen, dass der Deregulierungsansatz dieser Richtlinie falsch ist und nicht darum, andere Formulierungen
zu finden. Es gab aber bis dahin kein Beispiel in der kurzen Geschichte der EU und seines Parlaments, dass
eine solche Richtlinie verhindert werden kann. Insofern war die Skepsis anfangs groß.
Die europäischen Häfen sind
ökonomisch erfolgreich und haben jeweils eigene Spielregeln, die historisch gewachsen und durchaus
unterschiedlich sind. Grundlage dieses Erfolgs sind qualifizierte Hafenarbeiter, die zu vergleichsweise
guten sozialen Bedingungen arbeiten.
Die »Deregulierungsfreunde« in der
Kommission haben eine gegenteilige Auffassung nach dem Motto: »Man zerstöre erst einmal die
sozialen Bedingungen der arbeitenden Menschen durch Deregulierung und dann wird durch den Wettbewerb die
Ökonomie wachsen, neue Arbeitsplätze entstehen, und durch die Eigendynamik des Marktes verbessert
sich alles.« Eine absurde Idee, wenn man bedenkt, dass die Häfen seit Jahren Zuwächse haben,
die deutlich über anderen Wirtschaftsbereichen liegen. Gleichwohl gilt Deregulierung als eine zentrale
Aufgabenstellung der europäischen Kommission. Diesen Unsinn haben die Hafenarbeiter als solchen
erkannt und sich entsprechend dagegen gewehrt. Es muss allerdings auch angemerkt werden, dass der
überwiegende Teil der Hafenarbeitgeber sich in dem bestehenden Regelungsrahmen ganz gut eingerichtet
hat und insofern auch deshalb gegen die Richtlinie war.
Die in der Hafenarbeitersektion der ETF entwickelte Strategie sah folgende Schwerpunkte vor:
1. Die Europa-Parlamentarier und auch die
einzelnen Ministerien in den Ländern werden in bisher unbekanntem Umfang über die Haltung der
Gewerkschaften informiert, und zwar mit gleichen Kernaussagen. Typische Lobbyarbeit also.
2. Damit auch ersichtlich wird, dass die
Hafenarbeiter es ernst meinen und bereit sind, für ihre Positionen zu kämpfen und dies
grenzübergreifend, werden die Tagungen des Parlaments durch Demonstrationen in Brüssel und
Straßburg begleitet. An diesen Demos nehmen Gewerkschaften aus allen Ländern teil.
3. Damit die Wirkung und der Druck auf die
handelnden Politiker steigt, finden in den beteiligten Ländern zeitgleich Arbeitsniederlegungen unter
Berücksichtigung der jeweils nationalen Besonderheiten statt.
4. Die Verständigung auf ein Ziel bzw.
einen thematischen Schwerpunkt dieser Richtlinie. In diesem Fall ging es darum, die Richtlinie zu
verhindern. Sollte dies scheitern, dann sollten die Hürden für die Umsetzung so hochgeschraubt
werden, dass sie in den für die Gewerkschaften wichtigen Fragen wirkungslos bleibt.
5. Um den Druck weiter zu erhöhen, wird
die europäische Auseinandersetzung in eine weltweite Kampagne »Cargo Clause« der ITF
eingebunden, bei der es darum geht, in allen Tarifverträgen für Seeleute eine Klausel
durchzusetzen, die verhindert, dass Seeleute für billiges Geld Hafenumschlagsarbeit leisten. Dies
wurde auf einer Sektionskonferenz in London vereinbart.
6. Evaluierung der durchgeführten
Aktionen und Definition der nächsten Schritte auf zwischenzeitlich stattfindenden Sektionskonferenzen
der Leitungsgremien.
7. Aufbau eines arbeitsfähigen
Informationsnetzes, das es ermöglicht, bei Bedarf mehrfach am Tage alle notwendigen Informationen zu
verteilen. Wie notwendig das war, zeigt sich daran, dass Arbeitgeberverbände und Behörden
mehrfach versucht haben während der Höhepunkte der Auseinandersetzung ihre jeweiligen
Belegschaften dadurch zu verunsichern, dass sie behaupteten, in anderen Ländern würden keine
Aktionen durchgeführt.
Nachdem das Parlament durch Lobbyarbeit,
Überzeugungsarbeit und den Druck der Hafenarbeiter eine Reihe von Änderungsvorschlägen in
die zweite Lesung eingebaut hatte (mit denen wir hätten leben können), war die Reaktion des Rats
erwartungsgemäß. Sie warfen dem Parlament vor, aus einem Ansatz der Deregulierung eine Richtlinie
gemacht zu haben, die Ausdruck von Überregulierung sein würde und deshalb aus ihrer Sicht
völlig unakzeptabel sei. Zur entscheidenden dritten Lesung haben alle Hafenarbeitergewerkschaften nach
Rotterdam mobilisiert, um den festen Willen der Docker zu verdeutlichen, dass sie nicht gewillt sind, eine
Deregulierung der europäischen Häfen zu akzeptieren.
Viele von ihnen hatten T-Shirts an, auf denen
stand: »Proud to be docker.« Und sie sind nicht nur stolz auf ihre Arbeit, sondern auch auf ihre
Fähigkeit, grenzübergreifende Arbeitskämpfe zu führen. Die Botschaft war klar:
»Was auch immer entschieden wird, wir werden es nicht hinnehmen, dass ihr unsere sozialen Bedingungen
und unsere Solidarität zerstört.« Jeder Schiffseigner, der versucht, Hafenarbeiter durch
billige Seeleute zu ersetzen, wird damit rechnen müssen, dass seine Schiffe boykottiert werden, und
zwar weltweit.
Das Parlament hat mit knapper Mehrheit den
Richtlinienentwurf abgelehnt und somit gibt es keine Richtlinie. Die politische Sensation war perfekt.
Die Entwicklung von Strategie und Taktik ist bekanntermaßen ein wichtiger Baustein, um Konflikte
erfolgreich zu beenden. Mindestens genauso wichtig ist die Berücksichtigung der unterschiedlichen
Kulturen und Empfindlichkeiten in Organisationen. Ohne eine kompetente Prozesssteuerung wären wir bei
den bisherigen Erfahrungen hängen geblieben. Bisher hatten wir uns darauf verständigt, was
eigentlich notwendig wäre, es aber dann sein lassen, weil die Schwierigkeiten überwogen, die
darin bestanden, keine einheitlichen Aktionen durchführen zu können.
Wir haben dies Problem systematisch wie folgt
gelöst:
1. Wir haben aufgehört, uns zu erklären, was nicht geht, sondern
geklärt, was geht. Dabei mussten wir lernen, wie unterschiedlich die Kampfbedingungen in den einzelnen
Ländern und Organisationen sind.
2. Wir haben das Bild einer Familie entwickelt, in der es stärkere und
schwächere Mitglieder gibt. Es kam danach nicht mehr darauf an, wer der vermeintlich bessere
Gewerkschafter ist, sondern dass jeder seinen Beitrag leistet, und sei er auch noch so klein.
3. Wir haben einen Koordinator eingesetzt, der zusätzlich zeitlich
befristet die Aktivitäten aufeinander abstimmt und der von allen akzeptiert wird.
4. Wir haben den Austausch von Informationen deutlich beschleunigt,
teilweise gab es jeden Tag neue europaweite Infos, an den Aktionstagen im Zwei-Stunden-Takt.
5. Wir haben gelernt, dass man gewinnen kann und es nicht so schwierig ist.
Man muss sich nur trauen.
6. Wir haben gelernt, dass es notwendig ist, unterschiedliche Meinungen zu
akzeptieren, und haben aufgehört Positionen festzuklopfen, die vielleicht mehrheitsfähig sind,
aber nicht von allen getragen werden.
7. Wir haben unsere Kommunikation verbessert, müssen aber noch deutlich
besser werden. Wer international aktiv sein will, muss sich mit den anderen Partnern verständigen
können, ohne dazu einen Dolmetscher zu benötigen.
8. Wir haben gelernt prozesshaft zu arbeiten, das bedeutet, jeden
durchgeführten Schritt zu bewerten und dann eine Verständigung über den nächsten
herbeiführen.
9. Lobbyarbeit und politischer Kampf gehören zusammen. Zu meinen, man
könnte Parlamente ohne politischen Druck beeinflussen, ist ein Irrglaube.
10. Wir müssen und können kluge Varianten des politischen
Arbeitskampfs entwickeln, anstatt die platte Forderung nach Generalstreik zu erheben, um dann
festzustellen, dass andere das nicht mitmachen oder können.
11. Die betroffenen Kollegen müssen in die Entwicklung einbezogen
werden. Wir benötigen die dauerhafte Rückkopplung mit den Belegschaften. Strategieentwicklung im
Elfenbeinturm hilft wenig.
12. Die Schnittstellen zwischen den einzelnen beteiligten Organisationen
müssen sauber definiert werden.
Was kommt nun auf uns zu? Seit Februar 2004
liegt der Entwurf einer Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt (Bolkestein) vor, die in den
nächsten Jahren einen Großteil aller Dienstleistungen beeinflussen soll. Sie wird zu einem
zentralen Punkt der Auseinandersetzung über die Zukunft Europas werden. Und die noch bestehende
Kommission hat am 13.Oktober 2004 einen neuen Richtlinienentwurf, ein »Port Package II«,
aufgelegt.
Bernt Kamin
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
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