SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2005, Seite 11

Lehrstück Solidarität

Erfolgreicher Kampf gegen die Liberalisierung der Hafenarbeit

Im Kampf der europäischen Hafenarbeiter gegen die Deregulierungspolitik der EU-Kommission sahen viele Teilnehmer der 6.Konferenz der Gewerkschaftslinken Mitte Januar in Stuttgart (vgl. SoZ 2/05) ein mögliches Vorbild für eine konsequente und erfolgreiche gewerkschaftliche Interessenpolitik. Der dort vorgetragene (und hier redaktionell gekürzte) Bericht von Bernt Kamin, Vorsitzender Betriebsrat der Gesamthafenarbeiter im Hamburger Hafen, schildert die Stationen dieses Arbeitskampfs und die Lehren, die Linke daraus ziehen sollten.

Bereits 1997 hat die EU-Kommission ein sog. Grünbuch über die europäische Seehafenpolitik vorgelegt. Die Hafenarbeitergewerkschaften haben dieses Grünbuch nur am Rande zur Kenntnis genommen; die dort genannten Zielsetzungen waren nicht ihre originären Themen bzw. als solche nicht gleich zu erkennen. Erst als zwei Jahre später die Kommission einen Richtlinienentwurf vorlegte (Port Package), wurde deutlich, in welche Richtung der Zug fährt. Plötzlich wurde sichtbar, um welche Ziele es in Wirklichkeit ging; es sollte nicht mehr nur um »faire« Wettbewerbsbedingungen gehen, sondern um die Deregulierung der bestehenden, erfolgreichen Arbeitssysteme in den europäischen Häfen.

Deregulierungsangriff

Dazu muss man wissen, dass sich insbesondere die sozialen Systeme in den europäischen Seehäfen insofern ähneln, als es sich aus gutem Grunde um ordnende Systeme handelt, die geschaffen worden sind, um die ehemalige Tagelöhnerarbeit abzuschaffen bzw. deren Wiedereinführung zu verhindern. Ausdruck dieser bewährten Spielregeln sind in fast allen Ländern existierende Gesetze, die beschreiben, wer Zugang zu dieser Arbeit hat. Betrachtet man die Geschichte der Hafenarbeiter, so ging es immer um die Frage, was Hafenarbeit ist und wer sie ausführen darf.
Nun ist die Feststellung, dass die angedachte Deregulierung der europäischen Häfen nicht im Sinne der Hafenarbeiter ist, das eine, einen erfolgreichen Kampf gegen eine solche Richtlinie zu führen indes etwas anderes.
Die europäische Dependance der Internationalen Transportarbeiterföderation, die ETF — mit Sitz in Brüssel — hat sich dieser Aufgabe gestellt. In ihr sind viele Transportarbeitergewerkschaften zusammengeschlossen. Die Koordination und Weiterentwicklung der Aktionen erfolgte über die Sitzungen der Lenkungsgruppe der Sektion der Hafenarbeiter in der ETF sowie auf informellen Wegen einzelner, führender Funktionäre. In der Vergangenheit waren Versuche grenzüberschreitender Zusammenarbeit auf der Ebene des gegenseitigen Informationsaustauschs steckengeblieben, die Hürden gemeinschaftlichen Handelns im Sinne von koordinierten Arbeitskämpfen waren ganz offensichtlich zu hoch gewesen. Beim Kampf gegen das Port Package hingegen ist dies beispielhaft gelungen.
In diesem mehrere Monate dauernden Prozess gab es neben den Erfolgen auch einige Schwierigkeiten, die nicht zu unterschätzen sind. So gibt es zwei konkurrierende Dachverbände, die Hafenarbeiter organisieren. Zum einen die ETF als europäische Sektion der Internationalen Transportarbeiterföderation (ITF) und zum anderen das International Dockworkers Council (IDC), in dem z.B. die französische CGT und die spanische Coordinadora organisiert sind. Sowohl in Frankreich als auch in Spanien organisieren diese Gewerkschaften den überwiegenden Teil der Hafenarbeiter. Es kam darauf an sicherzustellen, dass notwendige Absprachen zwischen diesen beiden konkurrierenden Organisationen getroffen werden konnten. Am Kampf gegen die Richtlinie »Port Package« waren zudem 9 Gewerkschaften aus 15 Ländern beteiligt.

Besonderheiten der Häfen

Es ist festzustellen, dass es zum Teil gravierende Unterschiede in den rechtlichen Rahmenbedingungen gibt, unter denen die nationalen Gewerkschaften ihre Kämpfe führen. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis die unterschiedlichen Bedingungen verstanden und auch akzeptiert wurden. Erst danach endete das »Spiel« der gegenseitigen Vorwürfe und die Frage, wer denn die »besseren« Gewerkschafter sind. Erst als dieser Schritt getan war, konnte die Diskussion in eine produktive Arbeitsatmosphäre überführt werden.
In der Vergangenheit waren grenzübergreifende Abkommen u.a. daran gescheitert, dass es nicht gelungen ist, sich auf eine Verfahrensweise zu verständigen, die die nationalen Besonderheiten berücksichtigt. Es gibt in den Häfen einige Rahmenbedingungen, die in anderen Bereichen des Transportsektors so nicht anzufinden sind. So ist z.B. der Kreis der Betroffenen relativ klein. Es gibt z.B. in Deutschland nicht mehr als etwa 10.000 Hafenarbeiter. Die sind allerdings vergleichsweise gut organisiert (80—90%) und arbeiten an einer Stelle der Transportkette, die man als Flaschenhals bezeichnen kann und dementsprechend empfindlich ist, wenn man den Hals zudreht.
Als im Mai 2003 die Arbeit an der Westküste der USA arbeitskampfbedingt ruhte, bezifferte die Bush-Administration den ökonomischen Schaden mit etwa 2 Milliarden Dollar pro Tag. Bei der heute üblichen Just-in-time-Produktion hat eine Unterbrechung der Transportkette sofort heftigste Auswirkungen auf fast alle Teile der Ökonomie. Entsprechend wirksam sind koordinierte Arbeitskämpfe.
Ein weiterer wichtiger Baustein für den Erfolg war die frühe Verständigung auf ein Kernthema. Es ging von Anfang an darum, deutlich zu machen, dass der Deregulierungsansatz dieser Richtlinie falsch ist und nicht darum, andere Formulierungen zu finden. Es gab aber bis dahin kein Beispiel in der kurzen Geschichte der EU und seines Parlaments, dass eine solche Richtlinie verhindert werden kann. Insofern war die Skepsis anfangs groß.
Die europäischen Häfen sind ökonomisch erfolgreich und haben jeweils eigene Spielregeln, die historisch gewachsen und durchaus unterschiedlich sind. Grundlage dieses Erfolgs sind qualifizierte Hafenarbeiter, die zu vergleichsweise guten sozialen Bedingungen arbeiten.
Die »Deregulierungsfreunde« in der Kommission haben eine gegenteilige Auffassung nach dem Motto: »Man zerstöre erst einmal die sozialen Bedingungen der arbeitenden Menschen durch Deregulierung und dann wird durch den Wettbewerb die Ökonomie wachsen, neue Arbeitsplätze entstehen, und durch die Eigendynamik des Marktes verbessert sich alles.« Eine absurde Idee, wenn man bedenkt, dass die Häfen seit Jahren Zuwächse haben, die deutlich über anderen Wirtschaftsbereichen liegen. Gleichwohl gilt Deregulierung als eine zentrale Aufgabenstellung der europäischen Kommission. Diesen Unsinn haben die Hafenarbeiter als solchen erkannt und sich entsprechend dagegen gewehrt. Es muss allerdings auch angemerkt werden, dass der überwiegende Teil der Hafenarbeitgeber sich in dem bestehenden Regelungsrahmen ganz gut eingerichtet hat und insofern auch deshalb gegen die Richtlinie war.

Erfolgreicher Widerstand

Die in der Hafenarbeitersektion der ETF entwickelte Strategie sah folgende Schwerpunkte vor:
1. Die Europa-Parlamentarier und auch die einzelnen Ministerien in den Ländern werden in bisher unbekanntem Umfang über die Haltung der Gewerkschaften informiert, und zwar mit gleichen Kernaussagen. Typische Lobbyarbeit also.
2. Damit auch ersichtlich wird, dass die Hafenarbeiter es ernst meinen und bereit sind, für ihre Positionen zu kämpfen und dies grenzübergreifend, werden die Tagungen des Parlaments durch Demonstrationen in Brüssel und Straßburg begleitet. An diesen Demos nehmen Gewerkschaften aus allen Ländern teil.
3. Damit die Wirkung und der Druck auf die handelnden Politiker steigt, finden in den beteiligten Ländern zeitgleich Arbeitsniederlegungen unter Berücksichtigung der jeweils nationalen Besonderheiten statt.
4. Die Verständigung auf ein Ziel bzw. einen thematischen Schwerpunkt dieser Richtlinie. In diesem Fall ging es darum, die Richtlinie zu verhindern. Sollte dies scheitern, dann sollten die Hürden für die Umsetzung so hochgeschraubt werden, dass sie in den für die Gewerkschaften wichtigen Fragen wirkungslos bleibt.
5. Um den Druck weiter zu erhöhen, wird die europäische Auseinandersetzung in eine weltweite Kampagne »Cargo Clause« der ITF eingebunden, bei der es darum geht, in allen Tarifverträgen für Seeleute eine Klausel durchzusetzen, die verhindert, dass Seeleute für billiges Geld Hafenumschlagsarbeit leisten. Dies wurde auf einer Sektionskonferenz in London vereinbart.
6. Evaluierung der durchgeführten Aktionen und Definition der nächsten Schritte auf zwischenzeitlich stattfindenden Sektionskonferenzen der Leitungsgremien.
7. Aufbau eines arbeitsfähigen Informationsnetzes, das es ermöglicht, bei Bedarf mehrfach am Tage alle notwendigen Informationen zu verteilen. Wie notwendig das war, zeigt sich daran, dass Arbeitgeberverbände und Behörden mehrfach versucht haben während der Höhepunkte der Auseinandersetzung ihre jeweiligen Belegschaften dadurch zu verunsichern, dass sie behaupteten, in anderen Ländern würden keine Aktionen durchgeführt.
Nachdem das Parlament durch Lobbyarbeit, Überzeugungsarbeit und den Druck der Hafenarbeiter eine Reihe von Änderungsvorschlägen in die zweite Lesung eingebaut hatte (mit denen wir hätten leben können), war die Reaktion des Rats erwartungsgemäß. Sie warfen dem Parlament vor, aus einem Ansatz der Deregulierung eine Richtlinie gemacht zu haben, die Ausdruck von Überregulierung sein würde und deshalb aus ihrer Sicht völlig unakzeptabel sei. Zur entscheidenden dritten Lesung haben alle Hafenarbeitergewerkschaften nach Rotterdam mobilisiert, um den festen Willen der Docker zu verdeutlichen, dass sie nicht gewillt sind, eine Deregulierung der europäischen Häfen zu akzeptieren.
Viele von ihnen hatten T-Shirts an, auf denen stand: »Proud to be docker.« Und sie sind nicht nur stolz auf ihre Arbeit, sondern auch auf ihre Fähigkeit, grenzübergreifende Arbeitskämpfe zu führen. Die Botschaft war klar: »Was auch immer entschieden wird, wir werden es nicht hinnehmen, dass ihr unsere sozialen Bedingungen und unsere Solidarität zerstört.« Jeder Schiffseigner, der versucht, Hafenarbeiter durch billige Seeleute zu ersetzen, wird damit rechnen müssen, dass seine Schiffe boykottiert werden, und zwar weltweit.
Das Parlament hat mit knapper Mehrheit den Richtlinienentwurf abgelehnt und somit gibt es keine Richtlinie. Die politische Sensation war perfekt.

Lehren für die Gewerkschaftsarbeit

Die Entwicklung von Strategie und Taktik ist bekanntermaßen ein wichtiger Baustein, um Konflikte erfolgreich zu beenden. Mindestens genauso wichtig ist die Berücksichtigung der unterschiedlichen Kulturen und Empfindlichkeiten in Organisationen. Ohne eine kompetente Prozesssteuerung wären wir bei den bisherigen Erfahrungen hängen geblieben. Bisher hatten wir uns darauf verständigt, was eigentlich notwendig wäre, es aber dann sein lassen, weil die Schwierigkeiten überwogen, die darin bestanden, keine einheitlichen Aktionen durchführen zu können.
Wir haben dies Problem systematisch wie folgt gelöst:
1. Wir haben aufgehört, uns zu erklären, was nicht geht, sondern geklärt, was geht. Dabei mussten wir lernen, wie unterschiedlich die Kampfbedingungen in den einzelnen Ländern und Organisationen sind.

2. Wir haben das Bild einer Familie entwickelt, in der es stärkere und schwächere Mitglieder gibt. Es kam danach nicht mehr darauf an, wer der vermeintlich bessere Gewerkschafter ist, sondern dass jeder seinen Beitrag leistet, und sei er auch noch so klein.

3. Wir haben einen Koordinator eingesetzt, der zusätzlich zeitlich befristet die Aktivitäten aufeinander abstimmt und der von allen akzeptiert wird.

4. Wir haben den Austausch von Informationen deutlich beschleunigt, teilweise gab es jeden Tag neue europaweite Infos, an den Aktionstagen im Zwei-Stunden-Takt.
5. Wir haben gelernt, dass man gewinnen kann und es nicht so schwierig ist.
Man muss sich nur trauen.

6. Wir haben gelernt, dass es notwendig ist, unterschiedliche Meinungen zu akzeptieren, und haben aufgehört Positionen festzuklopfen, die vielleicht mehrheitsfähig sind, aber nicht von allen getragen werden.

7. Wir haben unsere Kommunikation verbessert, müssen aber noch deutlich besser werden. Wer international aktiv sein will, muss sich mit den anderen Partnern verständigen können, ohne dazu einen Dolmetscher zu benötigen.

8. Wir haben gelernt prozesshaft zu arbeiten, das bedeutet, jeden durchgeführten Schritt zu bewerten und dann eine Verständigung über den nächsten herbeiführen.
9. Lobbyarbeit und politischer Kampf gehören zusammen. Zu meinen, man könnte Parlamente ohne politischen Druck beeinflussen, ist ein Irrglaube.

10. Wir müssen und können kluge Varianten des politischen Arbeitskampfs entwickeln, anstatt die platte Forderung nach Generalstreik zu erheben, um dann festzustellen, dass andere das nicht mitmachen oder können.

11. Die betroffenen Kollegen müssen in die Entwicklung einbezogen werden. Wir benötigen die dauerhafte Rückkopplung mit den Belegschaften. Strategieentwicklung im Elfenbeinturm hilft wenig.

12. Die Schnittstellen zwischen den einzelnen beteiligten Organisationen müssen sauber definiert werden.
Was kommt nun auf uns zu? Seit Februar 2004 liegt der Entwurf einer Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt (Bolkestein) vor, die in den nächsten Jahren einen Großteil aller Dienstleistungen beeinflussen soll. Sie wird zu einem zentralen Punkt der Auseinandersetzung über die Zukunft Europas werden. Und die noch bestehende Kommission hat am 13.Oktober 2004 einen neuen Richtlinienentwurf, ein »Port Package II«, aufgelegt.
Bernt Kamin

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