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Weil die CDU ihren Sympathisanten als reaktionär genug erschien, hat die
NPD die Schleswig-Holstein-Wahl verloren. Die Position der Neonazipartei ist jedoch weiterhin stark.
Provokationen am 21.Januar im sächsischen Landtag, bei denen sie anglo-amerikanische Luftangriffe mit
dem industrialisierten Massenmord in Auschwitz gleichsetzte, die Befreiung vom Faschismus als
»vermeintliche Befreiung« abwertete und die BRD zur »Umerziehungs- und Canossarepublik«
samt »Schuldknechtschaft« erklärte, schlugen zu ihren Gunsten aus und offenbarten die
Schwäche bundesdeutscher Pseudodemokratie. Zwar nahm die Staatsanwaltschaft Ermittlungen auf, stellte
sie aber rasch wieder ein, da laut sächsischer Verfassung kein Abgeordneter wegen Äußerungen
im Parlament belangt werden kann, außer im Fall verleumderischer Beleidigung.
Etwa gleichzeitig mit dem Nasenstüber für die Dresdner Landtagsmehrheit begann eine Debatte
darüber, was gegen Neonazis »rechtsstaatlich« zu machen sei. Die NPD beabsichtigt, am
60.Jahrestag der Befreiung, dem 8.Mai, bzw. einen Tag vorher, am Berliner Holocaust-Mahnmal vorbei zum
Brandenburger Tor zu ziehen. Diese Provokation würde wesentlich größer als die Dresdner
sein. Zwar wollen die Patentdemokraten um Schröder/Fischer/Merkel keinen antifaschistischen Kampf
führen. Sie fürchten aber, Bilder über neofaschistische Aufmärsche im Herzen Berlins
könnten an 1933 erinnern und Misstrauen im Ausland wecken, was Rückwirkungen auf den BRD-Export
hätte.
An Mitteln, solche Bilder zu vermeiden, fielen
ihnen folgende ein: Erstens eine Kundgebung BRD-demokratischer Parteien und Organisationen vor dem
Reichstagsgebäude, die dem Kanzler zufolge »einen kraftvollen Beweis der Aufrechten und
Anständigen gegen rechte Gewalt« erbringen sollte; zweitens ein nochmaliger Versuch zum Verbot
der NPD, nachdem der erste im März 2001 an Unzulänglichkeit der Antragsteller gescheitert war;
drittens ein CDU-Vorschlag zur Ausdehnung der Bannmeile um den Bundestag unter Einschluss des Brandenburger
Tors, damit sich Neonazis nicht gerade hier in vollem Wichs zur Schau stellen können; viertens
Zusätze zum Versammlungs- und Strafrecht, um Manifestationen zu verhindern und Verstöße zu
ahnden.
Ein »Gegenaufmarsch der
Anständigen« stieß auf das Veto der CDU. Zum neuerlichen Verbotsantrag rieten
Spitzenvertreter des Verfassungsgerichts, wobei sie konstatierten, das vorangegangene Verfahren sei nicht
aus inhaltlichen Gründen eingestellt worden, sondern deshalb, weil Verfassungsschutzinformanten keine
Aussageerlaubnis bekamen. Der Entscheid für ein zweites Verfahren scheiterte daran, dass die
Innenminister ihre Spitzel nicht aus der NPD abziehen wollten. Aussichtsreich blieben die Ausdehnung der
Bannmeile und ein Koalitionsantrag auf Rechtsänderungen.
»Partiriunt montes, nascetur ridiculus mus« Berge kreißen, und geboren wird eine
lächerliche Maus: Nach dieser schon den alten Römern bekannten Manier lief auch das
Bundestagsverfahren in Sachen 8.Mai ab. Am 11.März billigten Koalition und CDU/CSU zwei
Gesetzeskorrekturen. Demnach kann nun laut Versammlungsrecht »eine Versammlung oder ein Aufzug«
besonders dann verboten werden, wenn eins von beiden erstens: »an einem Ort stattfindet, der als
Gedenkstätte von historisch herausragender, überregionaler Bedeutung an die Opfer der
menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft
erinnert«, und zweitens: zu besorgen ist, dass dadurch »die Würde der Opfer
beeinträchtigt wird«. Das Denkmal für die ermordeten Juden in Berlin sei ein Ort nach
ersterem. Die Länder könnten weitere benennen.
Dem erweiterten Volksverhetzungs-§130
StGB zufolge wird künftig mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bedacht, »wer
öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer
verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und
Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt«.
Das hört sich entschlossen an, ist aber
nicht so gemeint. Prinzipiell können Neonazis weiter durch die Gegend ziehen, sofern sie Zivil tragen
und keine NS-Parolen von sich geben durch das Brandenburger Tor sowieso, da es vom Gesetz
ausgenommen ist. Der ursprünglich geplante Zusatz zum Versammlungsrecht, strafbar sei auch die
Billigung von Handlungen, »die unter einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft begangen
wurden«, soweit sie durch rechtskräftige Entscheidung eines von der BRD akzeptierten Gerichts
festgestellt ist, fiel zum Glück unter den Tisch. Er hätte etwa für das UNO-
Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gegolten, das sich unter Anwendung rechtswidriger Methoden gegen
Milosevic engagiert. Die Gesetzeskorrektur könnte indes zum Ansatz einer verstärkten Verfolgung
linker Kräfte werden.
Nicht allein Neonazis verfechten im Zusammenhang mit dem 8.Mai rechtsextreme Standpunkte. Die CDU/FDP-
Mehrheit in der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf in Berlin und die CDU-Fraktion der BVV
Tempelhof-Schöneberg traten am 19. Januar mit einem Beschluss, respektive Antrag hervor, in denen sie
die Opfer des NS-Terrors mit Kriegsopfern, solchen von Flucht und Vertreibung oder denen der Roten Armee
gleichsetzten. Sie führten damit den Beweis, dass Rechtsextremismus aus der Mitte kommt, und
ließen sich erst nach harter Gegenwehr bewegen, Resolutionen zuzustimmen, die der geltenden Political
correctness entsprechen.
Wie eh und je ist für die BRD
charakteristisch, dass Rechtsextreme geschont, bisweilen gefördert werden, Polizisten Neonazis vor
Antifaschisten schützen und diese statt der Nazis verfolgen, Gerichte milde Urteile wider braune
Täter fällen oder sie laufen lassen. Parallelen zu Vorgängen in der Weimarer Republik sind
offensichtlich. Damals wie heute gibt es die vermeintliche Ohnmacht der parlamentarischen Demokratie ihren
rechten Feinden gegenüber, weil die im Staat Maßgebenden als zusätzliches Druckmittel und
mögliche politische Reserve »Nationalsozialisten« brauchen. Geht es um das Ansehen im
Ausland, schreiten Staatsgewalt und Justiz zuweilen wider die Rechten ein. Doch bleiben braune und sonst
wie rechtsextreme Kader stets erhalten.
Wer heute ernsthaft den Faschismus und dessen Auftriebskräfte analysiert, stößt beim
Establishment auf Protest, sogar wenn er zu diesem gehört und Stoiber heißt. Im Interview mit
Welt am Sonntag vom 6.Februar äußerte der bayerische Ministerpräsident,
Massenarbeitslosigkeit sei »die Hauptursache für das Wiedererstarken der NPD«. Mit der
Fünf-Millionen-Grenze bei Erwerbslosen sei eine Schallmauer durchbrochen. Die BRD stehe vor einer
Situation, wie Deutschland sie seit 1932 nicht mehr gehabt hat.
Angehörige der Berliner Koalition und der
Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) fuhren grobes Geschütz
gegen Stoiber auf, wobei sie vor Verdrehungen nicht Halt machten. Grünen-Fraktionsvorsitzende Sager
und SPD-Generalsekretär Benneter behaupteten, dessen Argumentation sei »verharmlosend und
unverantwortlich, weil er damit Neonazis von der Täter- auf die Opferrolle schiebt«. DIW-
Präsident Zimmermann erklärte Parallelen zur Weimarer Republik schon ökonomisch für
»völlig falsch und an den Haaren herbeigezogen«. Sie seien auch politisch verfehlt, habe
doch Deutschland heute »eine demokratisch gewählte Regierung, die einen Reformkurs erfolgreich
eingeleitet hat und die dafür immer mehr Akzeptanz der Bevölkerung findet«. Was machts
schon aus, dass der Bayer auf dem Boden historischer Tatsachen steht und die Abbautaten des Schröder-
Kabinetts gegenüber dem Sozialstaat in vielem denen Reichskanzler Brünings ähneln.
Allerdings regierte dieser mangels parlamentarischer Mehrheit mit Notverordnungen.
Die PDS verhielt sich richtig, als sie die von anderen vorgeschlagenen Maßnahmen überwiegend
ablehnte und stattdessen auf ihren 2001 abgeschmetterten Antrag verwies, eine gegen den Faschismus
gerichtete Klausel ins Grundgesetz aufzunehmen.
Hierauf äußerte der innenpolitische
SPD-Fraktionssprecher Wiefelspütz, man dürfe den Nazis keine solche Ehre antun und brauche das
nicht, weil das Fundament der Verfassung aus strikter Abgrenzung zur NS-Diktatur bestehe. Doch ist dieses
»Fundament« nur der Artikel 139 GG, der besagt: »Die zur ›Befreiung des deutschen
Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus‹ erlassenen Rechtsvorschriften werden von den
Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht betroffen.« Der Artikel ist vage und hat noch nie zum Kampf
gegen den Faschismus inspiriert abgesehen davon, dass juristische Kommentatoren ihn für
überholt erklärten.
Eine klare Grundgesetz-Absage an Nazismus und
Neonazismus hätte ihren Sinn, wenn sie als Grundlage für energisches Vorgehen gegen die
rechtsextreme Gefahr dienen würde. Weil das nicht beabsichtigt ist, wird sie verworfen.
Manfred Behrend
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