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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2005, Seite 4

Reform der Vereinten Nationen

Die UNO im Schlepptau der USA?

von Peter Strutynski

Das Reformpapier des UN-Generalsekretärs Kofi Annan, »In größerer Freiheit«, das am 21.März 2005 der Generalversammlung in New York vorgelegt wurde, ist in der Friedensbewegung überwiegend auf Kritik gestoßen. Zwar verkennt sie nicht, dass Entscheidungs- und Vollzugsstrukturen der Vereinten Nationen stark reformbedürftig sind. Der Blick reduziert such aber auf Charakter und Zusammensetzung des Sicherheitsrats. Auch die Bundesregierung hat es in den letzten Monaten trefflich verstanden, die Diskussion über eine Reform der UNO auf diese Frage zu reduzieren. Eine solche Engführung der Diskussion weist in eine völlig falsche Richtung.
Deutschland im privilegierten Kreis der ständigen Sicherheitsratsmitglieder würde bedeuten, dass zu den fünf größten Waffenexporteuren sich noch einer der ganz großen hinzugesellt. Sinnvoller wäre eine ausgewogenere Zusammensetzung des Sicherheitsrats durch die Hinzunahme von Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, damit die Dritte Welt angemessener vertreten ist. Deren Schicksal — das hat die Millenniums-Erklärung von 2000 deutlich gemacht — steht vor allem auf dem Spiel. Sinnvoll wäre auch die Abschaffung des Vetorechts der fünf ständigen Ratsmitglieder, weil sich es sich historisch überlebt hat. Und die »rot-grüne« Bundesregierung wäre daran zu erinnern, was sie in ihrer ersten Koalitionsvereinbarung 1998 verlangt hat: nicht Deutschland, die EU als Ganzes sollte im Sicherheitsrat vertreten sein.
Völlig ausgeklammert bleiben in der deutschen Diskussion wie auch im Reformpapier von Kofi Annan Fragen, die sich mit der bislang fehlenden Gewaltenteilung im System der Vereinten Nationen befassen. Der Sicherheitsrat vereinigt bislang sowohl legislative als auch exekutive als auch — etwa bei der Einrichtung von Sondertribunalen — judikative Befugnisse. Diese drei »Gewalten« wären in Zukunft strikter zu teilen, etwa indem der Generalversammlung mehr Rechte eingeräumt und eine ständige unabhängige Gerichtsbarkeit installiert werden, die über die Einhaltung der UN-Charta wacht — so wie in Deutschland das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Regierungshandeln. Gerade wenn die UNO eine größere Rolle bei internationalen Militäreinsätzen (die ausschließlich in der bewährten Form von Blauhelmeinsätzen sinnvoll sind) spielen soll, muss die Vereinbarkeit solcher Einsätze mit dem geltenden Völkerrecht und der UN-Charta von einer unabhängigen richterlichen Instanz überprüft werden können.
Kofi Annan schlägt weiter vor, den Artikel aus der UN-Charta, der die Einrichtung eines »Generalstabsausschusses« vorsieht (Art.47), ersatzlos zu streichen. Das ist eine Kapitulation vor der Arroganz der großen Militärmächte, insbesondere der USA, die sich bisher stets geweigert haben, sich bei UN-Militäreinsätzen einem UN-Kommando zu unterwerfen. Wenn in der 60-jährigen Geschichte der UNO der »Generalstabsausschuss« nie installiert wurde, spricht das nicht gegen ihn, sondern gegen die Staaten, die die UN zwar in Anspruch nehmen, aber keine Kompetenzen an sie abtreten wollen.
Nur helles Entsetzen können jene Passagen in dem Reformpapier auslösen, in denen Kofi Annan die Möglichkeit in Betracht zieht, Präventivkriege im Namen der Vereinten Nationen zu führen. In Ziffer 125 heißt es dazu, der Sicherheitsrat habe die »volle Autorität für die Anwendung militärischer Gewalt, auch präventiv«. Sollte sich diese Auffassung durchsetzen, fielen die Vereinten Nationen nicht nur hinter die eigene UN-Charta, sondern auch hinter den Kellogg-Pakt aus dem Jahr 1928 zurück, in dem die Vertragsstaaten erstmals den Krieg »geächtet« hatten.
Dieses moderne Verständnis von einem umfassenden Gewaltverbot hat schließlich in die UN-Charta von 1945 Eingang gefunden (Art.2 Abs.4) und bildet eins ihrer wichtigsten Grundsätze. Zu Recht wurden die USA weltweit — auch von Kofi Annan — kritisiert, weil sie sich in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie vom September 2002 den Präventivkrieg als Option vorbehalten haben. Sollten die Vereinten Nationen dieses antiquierte »Recht des Stärkeren« nun auch für sich beanspruchen, gibt es keine Begründung mehr, es einzelnen Staaten vorzuenthalten.
Ärgerlich ist schließlich die Einseitigkeit der Argumentation über den Terrorismus. So sehr es einer allgemein anerkannten und verbindlichen Definition von »Terrorismus« bedarf, so wenig kann er auf nichtstaatliche Akteure eingrenzt werden. In Ziffer 91 heißt es ohne jede weitere Begründung: »Es ist an der Zeit, die Debatten über den sogenannten ›Staatsterrorismus‹ einmal auszuklammern.« Warum? Weil es ihn nicht gibt? Oder weil es nicht opportun ist, darüber zu sprechen? Oder weil bestimmte Regierungen regelmäßig zusammenzucken, wenn die Rede auf den Staatsterrorismus kommt? Wer über den Terrorismus nichtstaatlicher krimineller Banden spricht, darf über den Terrorismus, der im Namen von Regierungen ausgeübt wird, nicht schweigen.

Peter Strutynski ist Politikwissenschaftler an der Universität Kassel und Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.



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