SoZSozialistische Zeitung |
Das Reformpapier des UN-Generalsekretärs Kofi Annan, »In
größerer Freiheit«, das am 21.März 2005 der Generalversammlung in New York vorgelegt
wurde, ist in der Friedensbewegung überwiegend auf Kritik gestoßen. Zwar verkennt sie nicht, dass
Entscheidungs- und Vollzugsstrukturen der Vereinten Nationen stark reformbedürftig sind. Der Blick
reduziert such aber auf Charakter und Zusammensetzung des Sicherheitsrats. Auch die Bundesregierung hat es in
den letzten Monaten trefflich verstanden, die Diskussion über eine Reform der UNO auf diese Frage zu
reduzieren. Eine solche Engführung der Diskussion weist in eine völlig falsche Richtung.
Deutschland im privilegierten Kreis der
ständigen Sicherheitsratsmitglieder würde bedeuten, dass zu den fünf größten
Waffenexporteuren sich noch einer der ganz großen hinzugesellt. Sinnvoller wäre eine ausgewogenere
Zusammensetzung des Sicherheitsrats durch die Hinzunahme von Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas,
damit die Dritte Welt angemessener vertreten ist. Deren Schicksal das hat die Millenniums-Erklärung
von 2000 deutlich gemacht steht vor allem auf dem Spiel. Sinnvoll wäre auch die Abschaffung des
Vetorechts der fünf ständigen Ratsmitglieder, weil sich es sich historisch überlebt hat. Und die
»rot-grüne« Bundesregierung wäre daran zu erinnern, was sie in ihrer ersten
Koalitionsvereinbarung 1998 verlangt hat: nicht Deutschland, die EU als Ganzes sollte im Sicherheitsrat
vertreten sein.
Völlig ausgeklammert bleiben in der deutschen
Diskussion wie auch im Reformpapier von Kofi Annan Fragen, die sich mit der bislang fehlenden Gewaltenteilung
im System der Vereinten Nationen befassen. Der Sicherheitsrat vereinigt bislang sowohl legislative als auch
exekutive als auch etwa bei der Einrichtung von Sondertribunalen judikative Befugnisse. Diese
drei »Gewalten« wären in Zukunft strikter zu teilen, etwa indem der Generalversammlung mehr
Rechte eingeräumt und eine ständige unabhängige Gerichtsbarkeit installiert werden, die
über die Einhaltung der UN-Charta wacht so wie in Deutschland das Bundesverfassungsgericht
über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Regierungshandeln. Gerade wenn die UNO eine
größere Rolle bei internationalen Militäreinsätzen (die ausschließlich in der
bewährten Form von Blauhelmeinsätzen sinnvoll sind) spielen soll, muss die Vereinbarkeit solcher
Einsätze mit dem geltenden Völkerrecht und der UN-Charta von einer unabhängigen richterlichen
Instanz überprüft werden können.
Kofi Annan schlägt weiter vor, den Artikel
aus der UN-Charta, der die Einrichtung eines »Generalstabsausschusses« vorsieht (Art.47), ersatzlos
zu streichen. Das ist eine Kapitulation vor der Arroganz der großen Militärmächte, insbesondere
der USA, die sich bisher stets geweigert haben, sich bei UN-Militäreinsätzen einem UN-Kommando zu
unterwerfen. Wenn in der 60-jährigen Geschichte der UNO der »Generalstabsausschuss« nie
installiert wurde, spricht das nicht gegen ihn, sondern gegen die Staaten, die die UN zwar in Anspruch nehmen,
aber keine Kompetenzen an sie abtreten wollen.
Nur helles Entsetzen können jene Passagen in
dem Reformpapier auslösen, in denen Kofi Annan die Möglichkeit in Betracht zieht,
Präventivkriege im Namen der Vereinten Nationen zu führen. In Ziffer 125 heißt es dazu, der
Sicherheitsrat habe die »volle Autorität für die Anwendung militärischer Gewalt, auch
präventiv«. Sollte sich diese Auffassung durchsetzen, fielen die Vereinten Nationen nicht nur hinter
die eigene UN-Charta, sondern auch hinter den Kellogg-Pakt aus dem Jahr 1928 zurück, in dem die
Vertragsstaaten erstmals den Krieg »geächtet« hatten.
Dieses moderne Verständnis von einem
umfassenden Gewaltverbot hat schließlich in die UN-Charta von 1945 Eingang gefunden (Art.2 Abs.4) und
bildet eins ihrer wichtigsten Grundsätze. Zu Recht wurden die USA weltweit auch von Kofi Annan
kritisiert, weil sie sich in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie vom September 2002 den
Präventivkrieg als Option vorbehalten haben. Sollten die Vereinten Nationen dieses antiquierte »Recht
des Stärkeren« nun auch für sich beanspruchen, gibt es keine Begründung mehr, es einzelnen
Staaten vorzuenthalten.
Ärgerlich ist schließlich die
Einseitigkeit der Argumentation über den Terrorismus. So sehr es einer allgemein anerkannten und
verbindlichen Definition von »Terrorismus« bedarf, so wenig kann er auf nichtstaatliche Akteure
eingrenzt werden. In Ziffer 91 heißt es ohne jede weitere Begründung: »Es ist an der Zeit, die
Debatten über den sogenannten ›Staatsterrorismus‹ einmal auszuklammern.« Warum? Weil es
ihn nicht gibt? Oder weil es nicht opportun ist, darüber zu sprechen? Oder weil bestimmte Regierungen
regelmäßig zusammenzucken, wenn die Rede auf den Staatsterrorismus kommt? Wer über den
Terrorismus nichtstaatlicher krimineller Banden spricht, darf über den Terrorismus, der im Namen von
Regierungen ausgeübt wird, nicht schweigen.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04