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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2005, Seite 10

19.März in Brüssel

Ein gewaltiger Schritt voran

An die 80000 Menschen aus 20 europäischen Ländern demonstrierten am 19.März in Brüssel. Der europäische Aktionstag war auf dem Europäischen Sozialforum in London beschlossen worden.

Drei Demonstrationszüge konvergierten: eine Demonstration von etwa 10000 Jugendlichen gegen Jugendarbeitslosigkeit und Rassismus, für Arbeitsplätze und kostenlose Bildung; eine Demonstration der sozialen Bewegungen mit ca. 15000 Teilnehmenden; den größten Block mit über 50000 Demonstrierenden stellte der EGB.
Die Demonstration war ein bedeutender politischer Fortschritt in unserer Fähigkeit, eine Bewegung aufzubauen, die europaweit gegen Neoliberalismus, Rassismus und Krieg steht. Die Gewerkschaften (Mitglieder im EGB oder nicht), sozialen Bewegungen und NGOs, die diese europäische Demonstration vorangetrieben haben, haben sich nicht geirrt: Europa steht an einem Wendepunkt, das betrifft die Beziehungen zu den USA, die Osterweiterung, die Verfassung, die sozialen Angriffe.
Damit hat die soziale Bewegung in Europa gezeigt, dass sie keineswegs gewillt sind, diese Verhältnisse zu erdulden, sondern ihnen ihre eigenen Vorhaben entgegensetzen will. Dieser Wille wurde zusätzlich unterstrichen durch verschiedene Veranstaltungen, die anlässlich dieser Demonstration in Brüssel organisiert worden waren: das Bolkestein-Seminar im Europaparlament, das GATS-Treffen am Samstag, das Treffen zur EU-Verfassung… Auf dem in dieser Demonstration Erreichten können wir aufbauen.
Die Demonstration war das Ergebnis eines kumulativen Prozesses der vergangenen Jahre: Weiter zurück liegen die Euromärsche 1997 und die europäische Demonstration gegen die Schließung von Renault/Vilvoorde, aber dann die drei Europäischen Sozialforen, die Kontinuität der Netzwerke und Kampagnen seit Nizza 2001, der Erfolg im Kampf gegen die Liberalisierung der Häfen, die Kampagnen gegen Gats und Bolkestein usw.
Auf zwei Ebenen war diese Demonstration eine wirkliche Premiere: Zum ersten Mal haben soziale Bewegungen eine europäische Demonstration von Anfang an auf europäischer Ebene aufgebaut; zum ersten Mal war es, trotz aller Schwierigkeiten, eine gemeinsame Demonstration des EGB, von Gewerkschaften außerhalb des EGB, der sozialen Bewegungen und der NGOs.
Die Mobilisierung war sehr ungleich. Die französischen Gewerkschaften und sozialen Bewegungen waren weitaus am stärksten vertreten. Starke Kontingente gab es aus Deutschland (das ist neu) und aus den Niederlanden. Mit größerem Abstand folgte Italien. Aus Osteuropa gab es bedeutende Delegationen: Rumänen, Slowenen, Polen. Die belgische Mobilisierung war eher schwach, die drei belgischen Gewerkschaften brachten 10000 Teilnehmende zusammen. Die Blöcke gegen Krieg und für Solidarität mit Palästina waren klein, aber symbolisch bedeutend.
Diese Ungleichheit hat verschiedene Ursachen:

1. Die sozialen Bewegungen verfügen auf europäischer Ebene nicht über ein gemeinsames Team, um solche Mobilisierungen durchzuführen. Nachdem das Datum in London beschlossen war, passierte erst einmal nichts. Es gab keinen europäischen Träger, der über Monate hinweg eine Kampagne geführt hätte.

2. Die Beziehungen zum EGB sind nicht einfach. In einer Reihe von EU-Ländern gibt es freundschaftliche Beziehungen zwischen Gewerkschaften und sozialen Bewegungen. Aber auf europäische Ebene sprechen sie alle durch den EGB. In ihm sind 77 Gewerkschaften vereint, von denen einige den sozialen Bewegungen gegenüber indifferent oder gar feindlich gestimmt sind. Das macht den Umgang auf europäischer Ebene nicht einfach. Das Problem verschärft sich noch dadurch, dass auf der Seite der sozialen Bewegungen nicht klar ist, wer für wen spricht. Es erklärt auch, warum die Mobilisierung erst so spät gestartet werden konnte. Trotz dieser strukturellen Asymmetrie zwischen Gewerkschaften und sozialen Bewegungen konnten erhebliche Fortschritte in der Zusammenarbeit gemacht werden, insbesondere in der Endphase.

3. Es gab auch politische Probleme: In vielen Gewerkschaften und auch sozialen Bewegungen wird immer noch nicht verstanden, was auf europäischer Ebene gespielt wird und wie bedeutend das ist. In sozialen Bewegungen gibt es Sektierertum gegenüber dem EGB — dessen europäischer Apparat wird gleichgesetzt mit den in ihm vereinten Gewerkschaften. Manche zögern auch, sich gegen den Neoliberalismus in Europa zu stellen, aus Angst vor einer Krise der EU.

4. Eine europäische Demonstration wie diese steht in einem Spannungsverhältnis zur globalisierungskritischen Bewegung. Der Kampf für ein soziales Europa wird dort häufig als Sache der Gewerkschaften empfunden, während große Teile der globalisierungskritischen Bewegung stärker mit den Nord-Süd-Problemen, der Umweltkrise und dem Krieg beschäftigt sind. Diese Spannung war bereits in Florenz zu spüren.

5. Hinzu kommen ganz praktische Gründe: Für weiter entfernt gelegene Länder ist es schwieriger, nach Brüssel zu mobilisieren. Auch die Stärke der Bewegungen ist in den einzelnen Ländern unterschiedlich. In Frankreich und in den Niederlanden ist viel los, während Spanien immer noch den Abgang Aznars genießt…
Europäische Mobilisierungen ergeben sich nicht spontan. Das hängt mit der Struktur der EU selbst zusammen: Auf europäischer Ebene wird der neoliberale Rahmen definiert: Geldpolitik. Haushaltspolitik … während die Sozialpolitik (Renten, Gesundheit, Arbeitslosigkeit, Löhne) Sache der Mitgliedstaaten ist. Diese Struktur ist ein großes Hindernis für die sozialen Bewegungen, auf europäischer Ebene aktiv zu werden. Das ist die Falle, die eine Niederlage nach der anderen produziert — trotz massiver sozialer Proteste in Europa.
In diesem Sinne haben wir uns bei Herrn Bolkestein zu bedanken, weil er es mit seinem Richtlinienentwurf geschafft hat, dass immer mehr Bevölkerungsgruppen in Europa sich davon bedroht fühlen und das Zentrum des Unbills richtigerweise in der EU ausmachen. Die angesprochene strukturelle Schwierigkeit kann jedoch nur mit langfristig angelegten Kampagnen überwunden werden.
Die Demonstration am 19.März kann uns sehr helfen, diese Schwierigkeiten zu überwinden, wenn wir die Chance nutzen.
Das Belgische Sozialforum (FSB) hat eine zentrale Rolle gespielt. Es sind in ihm neben den sozialen Bewegungen und den NGOs auch beide großen belgischen Gewerkschaften vertreten. Das FSB hat die Initiative ergriffen, einen gemeinsamen Rahmen für alle Demonstrationen zu errichten, die für den 19.März angesagt waren: EGB, Jugend, ESF, Krieg. Es half auch finanziell und personell mit einem Halbzeitangestellten, unterstützt von Oxfam, Attac, den Euromärschen, damit die sozialen Bewegungen in Belgien einen Ansprechpartner finden konnten.

Frank Slegers

Frank Slegers ist Mitglied der Europäischen Märsche, Belgien. (Übersetzung: Angela Klein.)



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