SoZSozialistische Zeitung |
An die 80000 Menschen aus 20 europäischen Ländern demonstrierten am
19.März in Brüssel. Der europäische Aktionstag war auf dem Europäischen Sozialforum in
London beschlossen worden.
Drei Demonstrationszüge konvergierten: eine Demonstration von etwa 10000 Jugendlichen gegen
Jugendarbeitslosigkeit und Rassismus, für Arbeitsplätze und kostenlose Bildung; eine
Demonstration der sozialen Bewegungen mit ca. 15000 Teilnehmenden; den größten Block mit
über 50000 Demonstrierenden stellte der EGB.
Die Demonstration war ein bedeutender
politischer Fortschritt in unserer Fähigkeit, eine Bewegung aufzubauen, die europaweit gegen
Neoliberalismus, Rassismus und Krieg steht. Die Gewerkschaften (Mitglieder im EGB oder nicht), sozialen
Bewegungen und NGOs, die diese europäische Demonstration vorangetrieben haben, haben sich nicht
geirrt: Europa steht an einem Wendepunkt, das betrifft die Beziehungen zu den USA, die Osterweiterung, die
Verfassung, die sozialen Angriffe.
Damit hat die soziale Bewegung in Europa
gezeigt, dass sie keineswegs gewillt sind, diese Verhältnisse zu erdulden, sondern ihnen ihre eigenen
Vorhaben entgegensetzen will. Dieser Wille wurde zusätzlich unterstrichen durch verschiedene
Veranstaltungen, die anlässlich dieser Demonstration in Brüssel organisiert worden waren: das
Bolkestein-Seminar im Europaparlament, das GATS-Treffen am Samstag, das Treffen zur EU-Verfassung…
Auf dem in dieser Demonstration Erreichten können wir aufbauen.
Die Demonstration war das Ergebnis eines
kumulativen Prozesses der vergangenen Jahre: Weiter zurück liegen die Euromärsche 1997 und die
europäische Demonstration gegen die Schließung von Renault/Vilvoorde, aber dann die drei
Europäischen Sozialforen, die Kontinuität der Netzwerke und Kampagnen seit Nizza 2001, der Erfolg
im Kampf gegen die Liberalisierung der Häfen, die Kampagnen gegen Gats und Bolkestein usw.
Auf zwei Ebenen war diese Demonstration eine
wirkliche Premiere: Zum ersten Mal haben soziale Bewegungen eine europäische Demonstration von Anfang
an auf europäischer Ebene aufgebaut; zum ersten Mal war es, trotz aller Schwierigkeiten, eine
gemeinsame Demonstration des EGB, von Gewerkschaften außerhalb des EGB, der sozialen Bewegungen und
der NGOs.
Die Mobilisierung war sehr ungleich. Die
französischen Gewerkschaften und sozialen Bewegungen waren weitaus am stärksten vertreten. Starke
Kontingente gab es aus Deutschland (das ist neu) und aus den Niederlanden. Mit größerem Abstand
folgte Italien. Aus Osteuropa gab es bedeutende Delegationen: Rumänen, Slowenen, Polen. Die belgische
Mobilisierung war eher schwach, die drei belgischen Gewerkschaften brachten 10000 Teilnehmende zusammen.
Die Blöcke gegen Krieg und für Solidarität mit Palästina waren klein, aber symbolisch
bedeutend.
Diese Ungleichheit hat verschiedene Ursachen:
1. Die sozialen Bewegungen verfügen auf europäischer Ebene nicht über ein
gemeinsames Team, um solche Mobilisierungen durchzuführen. Nachdem das Datum in London beschlossen
war, passierte erst einmal nichts. Es gab keinen europäischen Träger, der über Monate hinweg
eine Kampagne geführt hätte.
2. Die Beziehungen zum EGB sind nicht einfach. In einer Reihe von EU-Ländern gibt es
freundschaftliche Beziehungen zwischen Gewerkschaften und sozialen Bewegungen. Aber auf europäische
Ebene sprechen sie alle durch den EGB. In ihm sind 77 Gewerkschaften vereint, von denen einige den sozialen
Bewegungen gegenüber indifferent oder gar feindlich gestimmt sind. Das macht den Umgang auf
europäischer Ebene nicht einfach. Das Problem verschärft sich noch dadurch, dass auf der Seite
der sozialen Bewegungen nicht klar ist, wer für wen spricht. Es erklärt auch, warum die
Mobilisierung erst so spät gestartet werden konnte. Trotz dieser strukturellen Asymmetrie zwischen
Gewerkschaften und sozialen Bewegungen konnten erhebliche Fortschritte in der Zusammenarbeit gemacht
werden, insbesondere in der Endphase.
3. Es gab auch politische Probleme: In vielen Gewerkschaften und auch sozialen Bewegungen wird
immer noch nicht verstanden, was auf europäischer Ebene gespielt wird und wie bedeutend das ist. In
sozialen Bewegungen gibt es Sektierertum gegenüber dem EGB dessen europäischer Apparat
wird gleichgesetzt mit den in ihm vereinten Gewerkschaften. Manche zögern auch, sich gegen den
Neoliberalismus in Europa zu stellen, aus Angst vor einer Krise der EU.
4. Eine europäische Demonstration wie diese steht in einem Spannungsverhältnis zur
globalisierungskritischen Bewegung. Der Kampf für ein soziales Europa wird dort häufig als Sache
der Gewerkschaften empfunden, während große Teile der globalisierungskritischen Bewegung
stärker mit den Nord-Süd-Problemen, der Umweltkrise und dem Krieg beschäftigt sind. Diese
Spannung war bereits in Florenz zu spüren.
5. Hinzu kommen ganz praktische Gründe: Für weiter entfernt gelegene Länder ist es
schwieriger, nach Brüssel zu mobilisieren. Auch die Stärke der Bewegungen ist in den einzelnen
Ländern unterschiedlich. In Frankreich und in den Niederlanden ist viel los, während Spanien
immer noch den Abgang Aznars genießt…
Europäische Mobilisierungen ergeben sich
nicht spontan. Das hängt mit der Struktur der EU selbst zusammen: Auf europäischer Ebene wird der
neoliberale Rahmen definiert: Geldpolitik. Haushaltspolitik … während die Sozialpolitik (Renten,
Gesundheit, Arbeitslosigkeit, Löhne) Sache der Mitgliedstaaten ist. Diese Struktur ist ein großes
Hindernis für die sozialen Bewegungen, auf europäischer Ebene aktiv zu werden. Das ist die Falle,
die eine Niederlage nach der anderen produziert trotz massiver sozialer Proteste in Europa.
In diesem Sinne haben wir uns bei Herrn
Bolkestein zu bedanken, weil er es mit seinem Richtlinienentwurf geschafft hat, dass immer mehr
Bevölkerungsgruppen in Europa sich davon bedroht fühlen und das Zentrum des Unbills
richtigerweise in der EU ausmachen. Die angesprochene strukturelle Schwierigkeit kann jedoch nur mit
langfristig angelegten Kampagnen überwunden werden.
Die Demonstration am 19.März kann uns
sehr helfen, diese Schwierigkeiten zu überwinden, wenn wir die Chance nutzen.
Das Belgische Sozialforum (FSB) hat eine
zentrale Rolle gespielt. Es sind in ihm neben den sozialen Bewegungen und den NGOs auch beide großen
belgischen Gewerkschaften vertreten. Das FSB hat die Initiative ergriffen, einen gemeinsamen Rahmen
für alle Demonstrationen zu errichten, die für den 19.März angesagt waren: EGB, Jugend, ESF,
Krieg. Es half auch finanziell und personell mit einem Halbzeitangestellten, unterstützt von Oxfam,
Attac, den Euromärschen, damit die sozialen Bewegungen in Belgien einen Ansprechpartner finden
konnten.
Frank Slegers
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