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Sie haben 1999 die Abgeordneten des Deutschen Bundestags aufgefordert, dem Denkmal für die
ermordeten Juden Europas ihre Zustimmung zu verweigern. Warum meinten Sie, es dürfe nicht gebaut
werden?
Ich hatte das Gefühl, dass die Initiatoren dieses Denkmals keine Vorstellung davon hatten, was
sie erreichen wollten. Das ist die positive Annahme. Ich könnte auch sagen, sie wussten es schon,
meinten aber, dies sei die Stunde, in der sie sich billig von der Vergangenheit verabschieden können.
Wie kommen Sie dazu, das Denkmal in dieser Weise zu bewerten?
Es gab Modelle des Entwurfs. Für jeden Menschen, der seine Sinne beisammen hat, war zu
erkennen, dass dies eine diffuse inhaltlose Sache werden würde. Die Modelle zeigten gestaltlose
Blöcke, anfällig für jede Art der Interpretation. Gedenken ist an solch einem Ort nicht
denkbar, weil er durch das dominiert wird, was Siegfried Kracauer »das Ornament der Masse«
genannt hat. Die Wucht dieser gestaltlosen Masse schließt individuelles Gedenken von vornherein aus.
Sie meinen, diese 2711 Betonklötze und ihre Aufreihung in geraden Kolonnen sei zu
monumental…
Hegel hätte gesagt: schlechte Unendlichkeit. Es gibt keine Gestalt. Warum sind es 2700
Betonblöcke? Es könnten auch 20700 sein. Dem Gedenken hätte eine Stele genügt. Man
sagt, die Blöcke seien Stelen. Aber es sind keine Stelen. Es sind plumpe Betonquader. Eine Stele
trägt eine Inschrift, die sagt, wem der Ort gewidmet ist. Diese Quader sagen nichts.
Mich hat der Entwurf sofort an die
Aufmärsche auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg erinnert. Meinem Instinkt folgend
habe ich die Bilder nebeneinander gelegt: Modellfotos von Herrn Eisenman neben Fotos von Aufmärschen
der SS und habe festgestellt: Da gibt es eine unübersehbare Kongruenz. Die Bilder ähneln sich in
ihrer Struktur, weil sie dem Ornament der Masse huldigen. Der Mensch, der in den Aufmärschen zum
Masseteilchen degradiert wird, entspricht der Undifferenziertheit der Betonquader. Sie sind nach dem
gleichen Muster organisiert, sie stehen in Reih und Glied.
Herr Eisenman hätte ein andere Ordnung
wählen können. Er hat es nicht getan. Es drängt sich darum der Gedanke auf, dass hier ein
ähnlicher Geist am Werk ist. Wir können Herrn Eisenman sicher nicht nachsagen, er sei ein
Faschist. Er hat nur eine erkennbare Affinität zur Ästhetik des Faschismus. Kracauer hat das
»Ornament der Masse« ja nicht nur auf die großen Naziaufmärsche bezogen, er hat es auch
in den Revuegirls gesehen und in den Paraden. Er sah in dieser Ordnung eine Form der Darbietung, in der aus
den Menschen, die hier mobilisiert werden, das Leben schon ausgestrichen ist. Kein Zweifel. Herr Eisenman
reproduziert hier ein Erscheinungsbild, dessen sich jedes totalitäre System als
Repräsentationsform bedient.
Dieses Mahnmal ist genauso monströs,
genauso entmenschlicht wie das Geschehen, dem es angeblich gewidmet ist. Ich vermute, dass die
Befürworter dieses Mahnmals etwas errichten wollten, was weltweit unübersehbar ist. Es ging ihnen
um eine an die Welt gerichtete Geste als machtvoller Staatsakt. Es ging ihnen nicht um Gedenken. Denn zum
Gedenken ist nur der einzelne Mensch fähig. Im tiefen Empfinden seiner Seele. Nur ein Gedenken, in dem
die Toten eingewoben sind in das Leben, überdauert die Zeit und hat die Kraft, die Welt zu
verändern.
Nicht ohne Grund hat der Architekt Eisenman
gesagt, er wolle mit seinem Werk im Besucher, der das Mahnmal betritt, ein Gefühl der Beklemmung
hervorrufen. Der Besucher soll an diesem Ort den Schrecken nachempfinden, den die Juden erlitten, denen das
Mahnmal gewidmet ist. Eisenman spricht nicht von Gedenken, auch nicht von Abbitte und Vergebung. Ihm ist
dieses Mahnmal, seinen eigenen Worten nach, ein Ort unerbittlicher Vergeltung.
Die Anonymität ist auffallend. Es sind ja nicht einmal Namen eingetragen. Das wäre das
mindeste. Die Gedenkstätte Yad Vashem hat die Namen der sechs Millionen ermordeten Juden zur
Verfügung gestellt, aber sie verschwinden in einem unterirdischen Ort der Information, wo
wahrscheinlich kaum jemand hinkommt.
Ich weiß, der Gedanke wurde erwogen. Er ist heikel. Es ist nämlich wieder die Liste, jene
totalitäre Buchführung, die alles erfassen will, die der Vernichtung der Juden vorausging. Wehe
uns, wir würden in dieser Verwaltung, über den Tod hinaus, auch nur eine Seele übersehen.
Nicht nur das Mahnmal, das Gedenken verlöre seine Bedeutung.
Ich will noch etwas ergänzen. Es ist
schlimm. dass wir uns dazu verleiten ließen, den Juden ein eigenes Mahnmal zu bauen. Wir haben damit
wieder das Muster der Selektion aufgegriffen. Auch wenn nun Sinti und Roma ebenfalls eine Gedenkstätte
bekommen. Die Kommunisten, die Christen und all jene, die wir nicht Gruppierungen zuordnen können,
bekommen kein Mahnmal. Uns ist das Unvorstellbare gelungen. Wir haben es geschafft, die Opfer des
Faschismus in Opfer erster, zweiter und dritter Ordnung zu klassifizieren.
Da wird, ich glaube mit einem gewissen Recht, eingewandt: Der Völkermord an den Juden
stellt durch sein Ausmaß wie auch durch den industriellen Charakter seiner Tötungsmaschinerie
eine Stufe der Barbarei dar, die bisher unerreicht war. Das ist es wert hervorgehoben zu werden.
Ich kenne diesen barbarischen Gedanken. Er lebt von der Vorstellung, Leid sei etwas, das gewogen
werden kann. In ihm feiert das Pro-Kopf-Denken seinen finsteren Triumph. Die Konsequenz dieses Gedankens
ist ein Pro-Kopf-Mahnmal, das sich in seinen Dimensionen an der Summe der Einzelopfer orientiert.
Entsprechend monströs musste darum das
Mahnmal für die ermordeten Juden ausfallen. Es sagt: Seht her, wir haben soviel Areal zur
Verfügung gestellt, im Herzen des Regierungsbezirks, ein Monument, das seinesgleichen in der Welt
nicht hat. So groß, so mächtig, so unübersehbar ist unser Gedenken.
Wir machen die große Geste: wir sind
schuld. Wir sagen aber nicht, in welcher Weise wir schuld sind. Wir erledigen damit eine Sache, die wir gar
nicht erledigt haben. Hier hat eine Nation versucht, sich von aller Schuld durch eine einzige große
Demonstration von Macht freizukaufen. Wirklich verankert ist das Gedenken nicht. Die Konsequenzen, die aus
dem Geschehenen zu ziehen wären, sind nie gezogen worden. Mit solch einem Mahnmal setzen sich die
Täter ein Denkmal.
Das steht im Widerspruch zum offiziellen Diskurs, den es in der Bunderepublik seit dem
Kriegsende gibt, der den Faschismus als eine Form des Totalitarismus begreift und ihn somit gleichsetzt mit
dem Kommunismus. Dieser Diskurs will antitotalitär sein. Wie passt das?
Den Diskurs, von dem Sie sprechen, gab es nie. Tatsache ist doch: Kein Mensch hat im Bundestag die
Frage gestellt: Mit welchen Inhalten wollen wir unser nationales Gedenken füllen? Durch welchen Ritus
geben wir dem Gedenken die für unsere Nation gültige Form? Wir kennen kein Ritual, in das unser
kollektives Gedenken gefasst ist, keinen Segensspruch und keine Geste, durch die wir zu den Opfern sprechen
könnten. Mir ist Gedenken ohne solche Setzungen nicht vorstellbar.
Es ist ja nicht damit getan, dass wir
Betonquader hinsetzen. Wirkliches Gedenken kennt Verpflichtungen. Ihm sind in der Regel besondere Tage
gewidmet. Oft ist es mit der Überbringung von Gaben verbunden. Ein Ort des Gedenkens ist ein Ort der
Demut, an dem besondere Regeln gelten, das dem Gedenken eine Richtung gibt. Es ist immer ein befriedeter
Ort, auch eine Zufluchtsstätte. Von alledem nichts. Was wir errichtet haben, ist eine inhaltlose
Kulisse, ein Konglomerat beliebiger, industriell gefertigter Betonklötze, zwischen denen der
Gedenkende herumirrt wie in einem Labyrinth. Dieser Ort wird nie ein befriedeter Ort sein, denn man wird
ihn Tag und Nacht wie ein Gefangenenlager polizeilich bewachen müssen.
Nun ist es aber doch sinnvoll, dass eine Nation wie die deutsche den von ihr ermordeten Juden
ein Denkmal setzt. Das muss nicht von vornherein schiefgehen.
Gut, wir, die Täter(nation) setzen unseren Opfern ein Mahnmal. Dessen Aufgabe soll sein, vor
der Welt zu bezeugen, dass die Deutschen nicht nur ein Volk von Blutsäufern sind. Dass sie um
Vergebung bitten für das, was ihre Altvorderen den Juden angetan haben. Die Täter sind damit
unweigerlich im Mahnmal mit enthalten. Dem entkommen wir nicht es sei denn, wir können sagen,
inwieweit wir das Leiden dieser Menschen zur Maxime unseres moralischen Handelns machen und sie dadurch
einbeziehen in unser Bemühen um eine lebenswertere, freundlichere, von Solidarität und Zuneigung
geprägten Welt.
Eine solche Form von Gedenken wäre doch angebracht…
Ja es kann wichtig sein, einen Ort zu schaffen, an dem die Nachkommen der Opfer, aber auch die
Nachkommen der Täter einander in Frieden begegnen können.
Ich habe versucht, einen solchen Ort zu
entwerfen. Ich nenne ihn den »Ort lebendigen Gedenkens«. Dieser Ort ist niemandem gewidmet, aber
er empfiehlt ein kleines Ritual: an diesen Ort einen Stein mitzubringen und ihn dort abzulegen. Das gibt
den Besuchenden Halt. Dieser Ort gehört niemandem im Besonderen, er gedenkt aller Menschen, die
großes Leid erfahren haben, er ist nicht missbrauchbar. Es soll dort auch nicht tiefgründiges
Schweigen herrschen, man kann sprechen oder auch eine Flasche Rotspon mitbringen und sagen: Auf euer Wohl
trinke ich. Gedenken hat nichts mit verklemmter Demut zu tun.
Wäre der Architekt des Denkmals ein Deutscher gewesen, hätte man sagen können: An
dem Mahnmal zeigt sich, wie wenig in Deutschland von einer Aufarbeitung der Vergangenheit die Rede sein
kann. Nun ist der Architekt aber ein amerikanischer Jude.
Das ist doch wunderbar. Listenreich wie Odysseus haben wir die Verantwortung für unser
Gedenken an die Opfer zurückgegeben. Wir haben nicht nur eine große Geste gemacht, wir haben
sogar den Juden das Recht gegeben, die Art zu bestimmen, in der ihrer gedacht werden soll. Und dieser
Architekt gibt uns sofort die gebührende Antwort: »Wie ihr damit umgeht, interessiert mich
nicht.«
Ich vermute, dass es viele Menschen mosaischen
Glaubens gibt, die mit diesem Monument nicht einverstanden sind, in ihm eine Gefahr wittern. Sie
müssen sich mit dem Denkmal, das wir ihnen stiften, identifizieren, nicht nur heute, sondern ewiglich.
Wir hätten eine historische Chance
gehabt. Wir waren nach dem Krieg total demoralisiert. Wir haben alle Anstrengungen gemacht zu zeigen, dass
die Geschichte dieser Nation auch von einem großen Humanum geprägt ist, dass sie viel dazu
beigetragen hat, die Welt für die Menschen lebenswerter zu machen. Dazu haben wir zu Beginn dieser
Republik immer wieder auf unsere großen Musiker, Philosophen, Poeten, Maler, Bildhauer verwiesen.
Heute versucht der Staat, sich der Kunst und
der Kultur zu entledigen. Für jede Bibliothek, die wir schließen, werden wir ein neues
Gefängnis bauen müssen. Wir sollten die Künste wieder in das Zentrum unseres Lebens stellen
und nicht das Bemühen, aus den Menschen Profite herauszuschlagen. Denn nur im Dialog der Kulturen
finden die Völker in Frieden zueinander.
Das Gespräch führte Angela Klein.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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