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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2005, Seite 20

Afrikanisches Mobil-Kino

Mobil, digital und einfach gut

Die Kinder sind ganz aus dem Häuschen: »So was habe ich noch nie gesehen!«, ruft ein Knirps. Auch die anderen haben den ganzen Abend gebannt und begeistert auf Matten vor der großen Leinwand ausgeharrt, daneben die Jugendlichen, locker auf dem Mofa oder Fahrrad gelehnt oder in kleinen Grüppchen, die Erwachsenen und Alten etwas distanzierter.
Gut zweihundert Leute sind auf dem staubigen Fußballplatz einer Schule in einem Außenbezirk von Ougadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos. Das mobile Kino CNA (Cinema Numérique Ambulant) ist zu Besuch und zeigt an mehreren Abenden Filme: umsonst und draußen. Während des diesjährigen Panafrikanischen Film-Festivals FESPACO präsentiert sich das Mobil-Kino-Projekt erstmals in Ougadougou. Bislang existiert das CNA-Mobil-Kino lediglich in den Nachbarländern Mali, Niger und Benin.
»Die Bevölkerung auf dem Land hat kein Fernsehen, keine Elektrizität. Sie kennen so etwas nicht. Ich bin sehr zufrieden mit unserer Arbeit. Wir sehen ja, wie gut das Mobil-Kino bei den Leuten ankommt und es ist sehr nützlich für die ländliche Bevölkerung«, beschreibt Martine de Souza aus Benin das Projekt. Das CNA zeigt afrikanische Spielfilme und geht damit auf die Dörfer. In den wenigen Kinos der westafrikanischen Städte laufen fast ausschließlich US-amerikanische oder europäische Mainstream-Filme, kitschige Bollywood-Produktionen oder gewalttätige Action-Streifen. Afrikanische Filme sind selten zu sehen. Das CNA füllt hier eine Lücke, ohne Konkurrenz für die ohnehin krisengebeutelten Kinobetreiber zu sein. In den ländlichen Regionen gibt es keine Kinos und somit ist das CNA mit seinen digitalen Filmprojektionen einfach eine ergänzende Form der Verbreitung afrikanischen Kinos in Westafrika. Die digitalen Medien machen es möglich: DVD, Beamer und Leinwand, fertig ist das mobile Kino.
»Wir zeigen afrikanische Filme, weil man Werbung dafür machen muss und zeigen sollte, was unsere eigenen Leute produzieren. Außerdem sind viele der Filme in unseren Kinos sehr brutal, insbesondere die amerikanischen. Aber unsere Inhalte sind nicht die Gewalt. Wir zeigen den Leuten andere Filme, die jenseits der Gewalt spielen.«
Das hört sich zuerst recht brav an. Doch die afrikanischen Filme, die das CNA im Programm hat, bergen jede Menge eigenen Zündstoff. Sie problematisieren gesellschaftliche Themen wie AIDS, Kinderhandel, Polygamie, Zwangsheirat und Genitalverstümmelung. In Ousmane Sembènes Film Moolaade leistet eine Frau erfolgreich Widerstand gegen das Ritual der Beschneidung. Sie schützt ihre Tochter und andere Mädchen. Sembènes Film lief auch beim diesjährigen FESPACO. Andere Filme greifen auch politische und geschichtliche Themen auf, so Lumumba von Raul Peck, der die Geschichte des berühmten Revolutionärs in einem Spielfilm umgesetzt hat [vgl. SoZ 2/2001].
»Wir haben Filme über soziale Themen, so z.B. Bal Poussière, der die Polygamie thematisiert. Oder Tilai — ein Film aus Burkina Faso — der die Zwangsheirat darstellt, ebenso wie der Film Gimba aus Mali. Wir haben immer eine Message in diesen Filmen.«
Vor den Spielfilmen werden außerdem kurze Aufklärungsfilme gezeigt, witzige Spots, die auf diese Weise Bewusstsein schaffen. »Wir haben einen Film über Körperhygiene. Seitdem wissen die Kinder in den Dörfern, dass sie sich vor dem Essen die Hände waschen müssen, dass sie sich die Zähne putzen und wegen der Malaria nur mit Moskitonetz schlafen sollen. Durch die Filme sind die Jugendlichen jetzt über AIDS aufgeklärt.«
Mit einigen Filmen stößt das CNA bisweilen heftige Diskussionen in den Dörfern an. Die traditionellen Rollen von Männern und Frauen, Alten und Jungen werden in Frage gestellt. Das ist nicht immer einfach, doch das CNA tastet sich langsam an die Menschen und die Themen heran.
Bevor das Mobil-Kino in einem Dorf seine Filme zeigt, werden die Dorfautoritäten besucht und einbezogen. Das Projekt wird erklärt, Vorurteile und Unsicherheiten aus dem Weg geräumt. Zudem ist das CNA kein Gratisvergnügen, das einfach konsumiert werden soll. Die Teams der Mobil-Kinos fordern von den Dorfbewohnern, ein Komitee zu gründen. Das muss den Ort der Vorführung vorbereiten: Ein Tisch und vier Stühle müssen bereit stehen, Wasser zum Händewaschen und ein Abendessen für das Team.
Jedes Team besteht aus einem Fahrer, einem Techniker und der Koordinatorin. In allen vier Teams ist das eine Frau. Sie organisiert und moderiert die Vorführungen. Oft muss sie Filme aus den Nachbarländern zusammenfassend in die lokale Sprache übersetzen, da auch französische Untertitel nicht verstanden werden. Ein Großteil der Landbevölkerung in Westafrika sind immer noch Analphabeten.
Diese koordinierende Aufgabe ist nicht zufällig in Händen von Frauen. »Sie sind verantwortlicher und zuverlässiger«, so die französischen Initiatoren des Projekts um Christian Lambert. Der Filmproduzent war vor vier Jahren zu Dreharbeiten in Westafrika und erst dort wurde ihm bewusst, dass die einheimische Bevölkerung nie die Gelegenheit haben würde, den fertigen Film jemals zu sehen. Damals entstand die Idee des mobilen Kinos.
Das erste Team wurde im Jahr 2001 im Süden von Benin mit Martine de Souza als Koordinatorin gegründet. Wenig später folgte ein zweites Team im Norden des Landes. Dann ein »Equipe« in Niger und seit letztem Jahr das in Mali. In Ougadougou trafen sich die vier Teams nun zum ersten Mal und lernten sich kennen. Beim FESPACO konnten sie gemeinsam neue Filme gucken, Filmschaffende treffen und ihr eigenes Projekt vorstellen.
Trotz der finanziell unsicheren Lage des CNA ist Martine de Souza zuversichtlich: »Wir hoffen, dass sich das CNA auch in anderen Ländern Afrikas ausweiten wird.« Den unterprivilegierten Menschen der Region ist das sehr zu wünschen, denn die Menschen brauchen es. Sie haben keine Elektrizität und keine Unterhaltung in den Dörfern. Das CNA kann ihnen wenigstens ein bisschen Zerstreuung bringen. Jedes Mal, wenn wir in ein Dorf fahren, ist das ein großes Fest. Hier in den ärmeren Vierteln Ougadougous ist Kino in der Tat vielen kein Begriff, ähnlich wie in vielen Teilen Westafrikas. Das mobile Kino CNA geht daher in vier Teams aufs Land, um afrikanische Filme vorzuführen.

Jochen Schüller

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