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Manfred Behrend: Zeiten der Hoffnung — Zeiten des Zorns

In der Sicht eines DDR-Chronisten (Hg. Hanna Behrend), Berlin: Verlag am Park (Edition Ost) 2005, 542 Seiten, 19,90 Euro

Zeiten der Hoffnung — Zeiten des Zorns ist ein Buch, das es schwer haben wird. Es hat nicht ein Thema zum Inhalt, sondern viele. Und ihr Autor, Manfred Behrend, gehört nicht gerade zu den bekannteren Zeitgenossen seiner Zunft. Und doch ist es hier anzuzeigen, da es, anlässlich seines 75.Geburtstags, das Lebenswerk eines politisch engagierten Wissenschaftlers ausschnitthaft und überblicksmäßig dokumentiert, der, wie die Herausgeberin Hanna Behrend in ihrem Vorwort schreibt, eine breite Schicht von DDR-Intellektuellen repräsentiert.
Biografisch geprägt durch seine Kindheits- und Jugenderinnerungen an Faschismus und Weltkrieg wird der junge Manfred Behrend nach denselben und als Kind eines alten (oppositionellen) Kommunisten zum SED-Sozialisten. Der gelernte Messerschmied nutzt in den Jahren 1951—1953 die Möglichkeit, an der Ostberliner Arbeiter- und Bauernfakultät die Hochschulreife zu erlangen und widmet sich bis 1957 einem Geschichtsstudium an der Ostberliner Humboldt-Universität. Nachdem er einige Jahre als politischer Journalist und Verlagslektor gearbeitet hat, wechselt er 1962 ins Deutsche Institut für Zeitgeschichte, später umbenannt zum Institut für internationale Politik und Wirtschaft (IPW) und dem ZK der SED unterstellt. Er verfasst dort zeitgeschichtliche Chroniken, eine (erst in den 90er Jahren veröffentlichte) bedeutsame Biografie von Franz Josef Strauß und mausert sich zum Konservatismus- und Rechtsextremismusexperten. Nicht nur aus persönlicher Betroffenheit entwickelt er sich nach 1990 zum Chronisten der westdeutschen »Abwicklung« der DDR und verfolgt mit großer Intensität und jenseits von Wendehälsen und Ostalgikern den Transformations- und Anpassungsprozess der zur PDS gewendeten ehemaligen SED — an einem eigenen Buch dazu arbeitet er derzeit noch.
Einen Sozialismus mit Demokratie und menschlichem Antlitz, dafür hat Behrend, das zeigen viele Beiträge und Hinweise im Buch, bereits Mitte der 50er Jahre gestritten — verhalten in ostdeutschen Blättern und unverhohlen in westlichen wie der Arbeiterpolitik oder Die Andere Zeitung.
Schon damals zeigte er dabei ein besonderes Interesse für die Ränder geschichtlicher Prozesse, für deren Übergänge und Dialektik. Er veröffentlicht wohlwollende Texte zu John Lilburne, dem radikalen Revolutionsführer der englischen Revolution des 17.Jahrhunderts (eine Cromwell-Biografie bleibt unvollendet) und, später, zu Leo Trotzki, dem radikalen Führer und Erben der sowjetrussischen Revolution des 20.Jahrhunderts. Die radikalen Grenzgänger haben es Manfred Behrend offensichtlich angetan: Andere Texte widmen sich Rosa Luxemburg und Heinrich Brandler auf der einen, Winston Churchill und Franz Josef Strauß auf der anderen Seite. Und schon damals erwies er sich als antistalinistischer Sozialist, der auf eine entsprechende Reform der SED hoffte — notfalls mit Hilfe der Sowjetrussen gegen die von ihm mit Verve gegeißelte Ulbricht-Führung.
Was sich gerade hier wie ein roter Faden durch die Seiten des Buches zieht, ist sein unbedingtes Insistieren auf der historischen Wahrheit: »Die Zeit großer Erschütterungen«, schreibt er anfangs der 90er Jahre gegen die Fehlinterpretationen, Halb- und Unwahrheiten der verschämten und unverschämten Neostalinisten, »ist zugleich eine Zeit, in der nicht nur viel gezweifelt, sondern auch viel geglaubt wird. Glauben aber lassen sich Legenden und Märchen, nicht die Wahrheit … [Es] darf daran erinnert werden, dass nach Ansicht der Marxisten nur die Wahrheit revolutionär ist.«
Behrend weiß und formuliert schließlich auch, dass die Suche nach politischen Bündnissen gegen den gegenwärtigen imperialistischen Neoliberalismus nicht durch geschichtspolitische Konfrontationen konterkariert werden sollten. »Doch«, so Behrend in einer Kritik der in der Jungen Welt 2004 begonnenen und gleich wieder abgebrochenen jüngsten Stalinismusdebatte, »darf deshalb historisch fundierter Streit über demokratische und sozialistisch-kommunistische Politik nicht nach minderqualifizierten Angriffen der einen Seite unterdrückt werden, weil es sonst schwer oder gar nicht möglich ist, aus der Geschichte zu lernen.«
Die Wechselwirkungen von Geschichte und Politik, von Emanzipation und Regression, erweisen sich so als der rote Faden eines Buches, das zwar kein richtiges, d.h. einheitliches Thema aufweist, das jedoch nichts desto trotz ausgesprochen reichhaltig und anregend daherkommt. Es stiftet Kontinuitätslinien, ohne die Gegenwart mit diesen »totzuschlagen« — gerade heute ein Verdienst, das nicht hoch genug geschätzt werden kann.

Christoph Jünke

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