SoZSozialistische Zeitung |
Franz Mehring hat zwar niemals Zeit gefunden, eine Geschichte der deutschen
Literatur zu schreiben. Seine zahlreichen Beiträge dazu, darunter die vor 100 Jahren, zum Schillerjahr
1905 verfasste Abhandlung Schiller. Ein Lebensbild für deutsche Arbeiter und seine anderen
Aufsätze zu Goethe und Schiller verdienen es allerdings, zum diesjährigen Jubiläum wieder
gelesen zu werden. Seine Aufsätze zur deutschen Literatur, seine Lessing-Legende und die Aufsätze
zur ausländischen Literatur (siehe Gesammelte Schriften, Bd.912, Berlin 1961ff.) zeigen, wie
sehr er die Literatur und speziell die deutsche klassische Literatur liebte. Sie erhellen sein tiefes
Verständnis für deren Entstehungs- und Existenzbedingungen.
Der historischen und ästhetischen Bildung
der Arbeiterklasse maß Mehring eine große Bedeutung bei. Mehring war »der erste deutsche
Marxist«, »der eine in sich geschlossene historisch-materialistische Gesamtkonzeption der
deutschen Literaturgeschichte des 18. und 19.Jahrhunderts ausarbeitete« (Hans Koch), die diese in ihr
gesellschaftliches Umfeld einbettete und zugleich ihre Wirkung auf die soziokulturellen Prozesse
untersuchte. Das von ihm vorgelegte Schiller-Bild hob sich von den Verzerrungen des damaligen offiziellen
nationalistischen Bildes ab und vermied eine Unterschätzung der Leistung Schillers ebenso wie deren
Umdeutung in ein revolutionäres Leitbild der Arbeiterklasse.
Mehring erkannte, dass unter den Bedingungen der deutschen Kleinstaaterei die »Schaffung der
klassischen deutschen Literatur in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts … die eigentlich
nationale Tat der bürgerlichen Klassen in Deutschland« war. Sie war »der Punkt, auf den die
Nation gleichsam all ihre Kräfte konzentrierte, um hier, im Reiche des Geistes, alles Fortschrittliche
der ganzen europäischen Kultur in sich aufnehmend, ans Licht zu bringen, was an Kraft und Leben in ihr
steckte«. Sein Verdienst war es auch, dass er aus der Stellung zur Französischen Revolution
»letzten Endes alle literarischen Erscheinungen zwischen 1789 und 1815« ableitete.
Mehrings scharfsinnige Feststellung:
»Unsere klassische Literatur war keineswegs eine vorwiegend literarische Erscheinung. Sie war ihrem
inneren Wesen nach der beginnende Emanzipationskampf des deutschen Bürgertums«, verband sich mit
seiner Erkenntnis, dass »die ästhetischen Briefe Schillers … das Geheimnis unserer
klassischen Literatur [enthüllen]; sie weisen einleuchtend genug nach, weshalb der bürgerliche
Befreiungskampf des achtzehnten Jahrhunderts sich in Deutschland auf dem Gebiet der Kunst entfalten
musste«. Schiller war für ihn jener »kühnste Vertreter des deutschen Sturmes und
Dranges«, der jedoch »entsetzt sein Haupt verhüllte, als ihm die bürgerliche Revolution
leibhaftig entgegentrat«.
Wenn »das Volk, zerreißend seine
Kette, zur Eigenhilfe schrecklich greift« wie es im »Lied von der Glocke« heißt,
»dann füllen sich »die Straßen … die Hallen, und Würgerbanden ziehn umher.
Da werden Weiber zu Hyänen, und treiben mit Entsetzen Scherz«. Deshalb war der Dichter in den
Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen, seiner philosophischen Hauptschrift, zu dem
Ergebnis gekommen, man müsse »durch das ästhetische Problem seinen Weg nehmen, um das
politische Problem zu lösen«. »Der Weg zur Freiheit führe durch die
Schönheit.« Schillers Versuch, den »Weg von der ästhetischen Schönheit zur
politischen Freiheit zu finden … geriet selbstverständlich ins Bodenlose«.
Schillers stellt fest: »Hier also, in dem
Reich des ästhetischen Scheins, wird das Ideal der Gleichheit erfüllt, welches der Schwärmer
so gern auch dem Wesen nach realisiert sehen möchte, und wenn es wahr ist, dass der schöne Ton in
der Nähe des Throns am frühesten und vollkommensten reift, so müsste man auch hier die
gütige Schickung anerkennen, die den Menschen oft nur deswegen in der Wirklichkeit einzuschränken
scheint, um ihn in eine idealische Welt zu treiben.« Ein solcher »Staat des schönen Scheins
existiere dem Bedürfnis nach in jeder feingestimmten Seele«, finde sich aber nur »in einigen
wenigen auserlesenen Zirkeln«. Mehring schlussfolgerte: »So verkündet sich dieser
ästhetisch-philosophische Idealismus selbst als ein Spiel, womit auserlesene Geister sich die
traurigen Wände ihres Kerkers vergoldeten.«
Eindrucksvoll schildert Mehring Schillers
Familiengeschichte vor dem Hintergrund der damaligen württembergischen Zustände. Die Verfassung
beschränkte die Rechte des Herzogs zugunsten der aus Vertretern der Geistlichkeit und der Städte
und Ämter bestehenden Stände. Diese waren aber »ein erbgesessener, zünftig
beschränkter Klüngel«, wie die Herzöge von Württemberg »ein blutsaugerisches,
verschwenderisches, in allen Ausschweifungen und Lastern sich wälzendes Geschlecht« waren, das
sich nicht einmal als fähig erwies, mit dem feudalen Ständewesen zugunsten feudalabsolutistischer
Zustände aufzuräumen. Dass die württembergischen Verhältnisse nur eine Facette der
deutschen Misere waren, illustriert Mehring in seiner Darstellung des Herzogtums Weimar. Dieses bestand aus
mickrigen »34 Geviertmeilen mit etwa 100000 Einwohnern«, besaß aber geistliche und weltliche
Behörden, »als wäre es eine europäische Großmacht«.
Der junge Schiller wurde ein Opfer des feudalabsolutistischen Willkürregimes des Herzogs Karl Eugen
von Württemberg. Dieser durchkreuzte dessen Absicht, in Tübingen Theologie zu studieren. Er
rekrutierte Schiller für seine Militärakademie. Dort wurde er zu einem Medizinstudium auf dieser
»Sklavenplantage« gezwungen. 1780 durfte der Absolvent nach Annahme seiner Abhandlung über
den Zusammenhang der tierischen mit der geistigen Natur des Menschen die Karlsschule endlich verlassen.
Seine wissenschaftlichen Kenntnisse, die er dort erworben hatte, waren dürftig. Die Anstalt hatte
jedoch das Eindringen der damaligen literarischen Bewegung des Sturm und Drang, die mit den Namen Lessing,
Klopstock, Bürger, Goethe verknüpft war, zu den Studenten nicht verhindern können.
So entstand im letzten Studienjahr das Drama
Die Räuber. Der 20-jährige Schiller gestaltete darin eine Fabel des vom Herzog widerrechtlich
eingesperrten Dichters Schubart über zwei feindliche Brüder um. In Franz Moor präsentierte
sich »der revolutionäre Zweifel des Dichters«, während in Karl »seine
revolutionäre Begeisterung flammt und leuchtet«.
Als am 13.Januar 1782 in Mannheim die erste
Aufführung stattfand, strömten die Zuschauer bereits am Mittag sogar aus Darmstadt, Heidelberg,
Frankfurt und Mainz herbei. Der berühmte Schauspieler Iffland spielte den Karl Moor. »Das Theater
glich einem Irrenhaus«, schrieb ein Augenzeuge, »rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende
Füße, heisere Schreie im Zuschauerraum! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme.
Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Tür. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus
dessen Nebeln eine neue Schöpfung hervorbricht.«
Mit Schillers »bürgerlichen
Trauerspiel«, das auf Ifflands Rat aus Luise Millerin in Kabale und Liebe umgetauft wurde, hat er
später das bürgerliche Drama auf eine revolutionäre Höhe gehoben, die es vordem nicht
und auch nachher nicht erreicht hat, weder in Lessings Emilia, noch in Hebbels Maria Magdalena. Er stellte
den höfischen Despotismus und das Kleinbürgertum, die damaligen treibenden Kräfte des
deutschen Lebens, in offenem Kampfe gegenüber und brachte frisch aus der Zeitung den Soldatenhandel
der deutschen Fürsten auf die Bühne. Es war kein großes nationales Leben, aber es war ein
nationales Leben, es war historische Bewegung; nicht jene atemberaubende, herzbedrückende Enge, nicht
jene, wie Hebbel selbst es nennt, »schreckliche Gebundenheit in der Einseitigkeit«.
War Ferdinand »eine Schöpfung der
dichterischen Phantasie, die immerhin vom Blute des Dichters tropft, der zur Zeit, wo er sie entwarf, zum
erstenmal die Wonnen der Liebe und die Qualen der Eifersucht empfand«, so ist Luise »die
tragische Heldin«, die im Konflikt zwischen Kindespflicht und Liebe dem »Bündnis entsagt,
das die Fugen der Bürgerwelt auseinander zu treiben und die allgemeine ewige Ordnung zugrunde
stürzen würde«.
Aber die ewige Ordnung bleibt im Stück
wie vorerst in der deutschen Wirklichkeit unangetastet und Mehring beklagt: »Es ist derselbe
schwächliche Zug, der … tief in den sozialen Bedingungen wurzelt, unter denen ein
bürgerliches Drama auf deutschem Boden überhaupt nur werden konnte.«
Der Widerspruch zwischen Schillers Hoffnung auf eine Zukunft, in der seine Ideale Wirklichkeit
würden, wie sie in seinem Ausspruch »Alle Zweifel, alle Kämpfe schweigen in des Sieges hoher
Sicherheit; ausgestoßen hat es jeden Zeugen menschlicher Bedürftigkeit« zum Ausdruck kommen
und seiner realistischen Erkenntnis, »Wie groß war diese Welt gestaltet, solang die Knospe sie
noch barg. Wie wenig, ach! Hat sich entfaltet. Dies Wenige. Wie klein und karg!«, spiegelt sich
für den marxistischen Kritiker auch in seinen bedeutenden Dramen wider. Umso beachtlicher schien
Mehring »die Hoheit der Gesinnung, die [Schiller] durch sein Leben begleitet hat«, und das
»mächtige Freiheitspathos, das in seinen Dichtungen unvergänglich leuchtet und
strahlt«.
In der Gestalt des Marquis Posa in Don Carlos
sieht Mehrung nur blendende Rhetorik. Die dramatische Handlung werde durch »die Art, wie Posa jäh
zum Haupthelden empor geschnellt wird, erschüttert und verschoben«. Dennoch hält er das
Drama wegen der feineren, aber deshalb nicht weniger scharfen Charakterzeichnung »für einen
bedeutenden Fortschritt über die früheren Dramen Schillers«.
Dass Schiller durch dieses Drama angeregt
wurde, ein intensives Geschichtsstudium zu betreiben, zählt Mehring ebenfalls zu dessen produktiven
Ergebnissen. »Als Dramatiker war Schiller auch ein großer Historiker, während seine
historischen Schriften nur die Abfälle des Marmors sind, aus dem er die Gestalten seiner historischen
Dramen meißelte.«
Nirgends habe Schiller so glänzend wie im
Wallenstein verstanden, »dem noch gestaltlos ringenden Leben der Zeit im historischen Stoff einen weit
tönenden Resonanzboden zu geben, seine historischen Helden in all ihrer historischen
Eigentümlichkeit aus dem Herzen der Zeitgenossen emporwachsen zu lassen«. Er habe
»Wallenstein und Wallensteins Welt idealisiert, aber eben dadurch ihr historisches Wesen schärfer
und tiefer erfasst als die damaligen Historiker … es irgend vermochten«. Er schildert
»mitten in der grauenhaften Auflösung des Reiches den tragischen Untergang des Helden, der im
Kampfe mit dem ehernen Schicksal diese Auflösung hatte hindern wollen«.
Mit diesem Drama habe Schiller den Zenith
seines Schaffens erreicht. Es folgten Maria Stuart (1800), die Jungfrau von Orleans (1801), die Braut von
Messina (1802) und Wilhelm Tell (1804) und das unvollendete Drama Demetrius. Auch Übersetzungen aus
dem Englischen, Italienischen und Französischen gehören zu den Leistungen des bereits schwer
kranken Dichters.
Mehrings Kritik an Wilhelm Tell richtet sich
gegen die Parrizida-Szene. »Schillers Frau und Schwägerin hielten es für nötig, dass
Tell sein Verbrechen, einen Menschenschinder von Landvogt getötet zu haben, wenigstens durch eine
Moralpauke über den politischen Mord sühne.« Auch habe er »die Eidgenossen als gar zu
große Philister und den Landvogt als gar zu krassen Theatertyrannen dargestellt.« Dagegen habe er
»die Tötung Geßlers als die Notwehr eines in seinen menschlichen Interessen tödlich
verletzten Menschen psychologisch begründet« und sie »historisch nur als die
Begleiterscheinung des menschenschindenden Despotismus aufgefasst«.
Keine Schwäche des Dramas könne aber
Schillers Verdienst mindern, in die Rütliszene »das herrliche Bekenntnis gelegt« zu haben,
»das … sein Freiheitspathos von Geschlecht zu Geschlecht tragen« wird:
»Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht,
Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,
Wenn unerträglich wird die Last greift er
Hinauf getrosten Mutes in den Himmel
Und holt herunter seine ewgen Rechte,
Die droben hangen unveräußerlich
Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst
Der alte Urstand der Natur kehrt wieder,
Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht
Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr
Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben.«
Hanna Behrend
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04