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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2005, Seite 7

40 Jahre deutsch-israelische Diplomatie

Herrlich weit gebracht

Wie haben wir‘s doch herrlich weit gebracht — in vierzig Jahren deutsch-israelischer diplomatischer Beziehungen und nach sechs Jahrzehnten Zeit, über den Nationalsozialismus und seine mörderische Ideologie und Praxis nachzudenken. Die offiziösen Regierungspostillen Das Parlament (Herausgeber: der Bundestag) und (die Beilage) Aus Politik und Zeitgeschichte (Herausgeber: die Bundeszentrale für politische Bildung), bieten anlässlich des 40.Jahrestags der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel einen aufschlussreichen Einblick in die moralische und intellektuelle Verfassung der politischen Klasse in Deutschland und ihrer Lakaien aus Medien und Akademia — schön veranschaulicht auf einem Foto, das als Illustration eines Artikels über Frauenreisen (!) der Bundeszentrale nach Israel fungiert: die Herren Schily, Krüger (Präsident der BpB) und Michel Friedman.
In dem Reisebericht ist die Rede von einem Bewohner von Maale Adumim, einer der größten Siedlungen in der Westbank, der die deutschen Frauen »stolz« in der Siedlung herumführt, in der es »Licht, Luft und Sonne« für alle gebe. Wie alle Siedlungen in den besetzten Gebieten ist Maale Adumin nach völkerrechtlichen Maßstäben illegal. Palästinensern, auf deren Land sie errichtet wurde, raubt sie die Lebensgrundlage — geradezu die Luft zum Atmen. Sie ist der steingewordene Völkerrechtsbruch.
Die verharmlosende Darstellung der Realität der israelischen Siedlungspolitik in diesem Reisebericht steht emblematisch für die Politik der Bundesrepublik gegenüber den Palästinensern: Deren Rechte, die durch die israelische Besatzungsmacht permanent und schwerwiegend verletzt werden, sind kein Thema dieser Politik. Vielmehr wird vor allem mit Zahlungen an die Autonomiebehörde versucht, die Dinge zu »regeln«. Zugleich aber ist es Außenminister Fischer, der in der EU jeden Vorstoß der Parlamentariermehrheit abblockt, von der israelischen Regierung schlicht die Einhaltung von Vereinbarungen (so beim Assoziationsabkommen zwischen Israel und der EU und dessen Menschenrechtsklauseln) einzufordern.
»Eine große Chance für unser Land« ist der Beitrag von Joschka Fischer überschrieben, und gemeint sind die zwischen Ben Gurion und Adenauer vereinbarten finanziellen Hilfen für den Aufbau des Staates Israel, Zahlungen, mit denen allerdings nur an untergeordneter Stelle die Unterstützung für die nach Israel eingewanderten Überlebenden des Genozids verbunden waren. Laut Mitteilungen aus dem Bonner Finanzministerium waren 1992 von insgesamt 87,5 Milliarden Mark an »Wiedergutmachung« 40% nach Israel geflossen. Darin sind nicht die Hilfen für Entwicklungsprojekte sowie für die Zusammenarbeit in Forschung und Rüstung enthalten, von denen beide Seiten gewaltig profitierten.
Mit Geld, so zeigt sich auch in den Beziehungen der politischen Eliten Israels und der Bundesrepublik, lässt sich alles »regeln«, sogar, dass man Geld einspart: Den ehemaligen Zwangsarbeitern aus den von NS-Deutschland überfallenen Ländern wird mit Hinweis auf die an Israel gezahlten Reparationen eine Entschädigung für die erlittene Versklavung vorenthalten.
Die Verhandlungen zwischen Adenauer und Ben-Gurion über deutsche Entschädigungsleistungen, so Fischer, seien insofern eine Chance für Deutschland gewesen, als sie »uns« halfen, »die Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit zu beginnen«. Denn: »Das demokratische Deutschland konnte so unter Beweis stellen, dass es bereit war, sich seiner Verantwortung für die deutsche Schuld … zu stellen.« Es ging weniger darum, sich mit den nur wenige Jahre zurückliegenden Verbrechen auseinanderzusetzen und nach den Ursachen zu forschen, sondern darum, möglichst bald durch finanzielle Aufwendungen für alle Welt sichtbar zu demonstrieren, wir sind, sogar durch unsere Opfer, rehabilitiert worden. »Seit dem Wiedergutmachungsabkommen mit Konrad Adenauer sind die Israelis für die Deutschen die Vertreter des jüdischen Volkes … Es hat Deutschland nur genützt«, so der israelische Autor Yitzhak Laor in der Taz (23.10.04), zunächst vor allem politisch. Das Eintrittsticket in die »Gemeinschaft der freien Völker« war unterm Strich doch recht günstig.
Peinlich hohl klingt da das Gerede vom »unermesslichen Leid«, vom »furchbaren Unrecht« und von den Toten, die man »nicht wieder zum Leben erwecken« kann — nein, das schafft selbst unser Außenminister nicht. Auch mit seiner vorbehaltlosen Unterstützung des Existenzrechts Israels nicht. Und im selben aufgesetzten Pathos: »Wir bekennen uns zu dem Recht der Bürgerinnen und Bürger Israels, in sicheren Grenzen und in Frieden mit ihren Nachbarn und frei von Angst vor Terror und Gewalt zu leben. Dieses Bekenntnis zu Israel gilt uneingeschränkt und bedingungslos, es ist mit niemandem verhandelbar und« — man lese und staune — es »bildet die Grundlage für das besondere Verhältnis unserer beiden Länder«. Für all diese schönen Selbstverständlichkeiten, dass Menschen in sicheren Grenzen, frei von Angst vor Gewalt und Terror leben können sollten etc., »bekennen wir uns« — nur oder besonders in Bezug auf Israel? Welcher Popanz wird da beschworen, welcher Feind, der dies alles Israel nicht zugesteht? Und wer hätte die Möglichkeit, Israel samt seiner supermodernen Armee und seinen Atomwaffen zu überrennen?
Die seit mehr als vierzig Jahren eingespielte Partnerschaft in der Heuchelei bringt wiederum Yitzhak Laor auf den Punkt: »Emotionale Erpresser aus Israel, die die Tantiemen für die Leiden unserer Eltern und Großeltern einstreichen, versehen deutsche Politiker, von den Grünen bis zur CSU mit einem amtlichen Siegel als beglaubigte Humanisten.«
In seiner »uneingeschränkten und bedingungslosen« Gefolgschaft gegenüber der israelischen Propaganda zaudert der deutsche Außenminister daher auch nicht, wenn er sich »aus unserer historisch-moralischen Verantwortung für Israel« heraus mit »besonderer Aufmerksamkeit« dem Friedensprozess zwischen Israel und seinen Nachbarn« zuwendet und anhebt: »Nach mehr als vier Jahren eines Terrorkriegs gegen Israel...«
Dem Terror der israelischen Besatzung sind in eben diesen vier Jahren mehr als 3200 Palästinenser zum Opfer gefallen, Zehntausende wurden verwundet, die gesamte Bevölkerung ist täglich und stündlich der Gewalt der Besatzungsmacht ausgesetzt. Das alles verdient nicht »unsere besondere Aufmerksamkeit«, es verdient nicht einmal erwähnt zu werden. Für Palästinenser gelten die schönen Selbstverständlichkeiten nicht: das Recht, in sicheren Grenzen« zu leben, »frei von Angst vor Gewalt und Terror«.
Der Botschafter des Ministers geht womöglich noch weiter als sein Herr im vorauseilenden Gehorsam und der Hörigkeit gegenüber israelischer Propaganda. In seinem Essay »Gesicherte Existenz Israels — Teil der deutschen Staatsraison« stützt sich Rudolf Dreßler wie selbstverständlich auf die Angaben des israelischen Geheimdienstes und bekennt sich freimütig dazu, Sharon beim Wahlkampf begleitet und dabei einen »anderen«, menschlichen Sharon, kennengelernt zu haben. Vertrauensvoll wendet er sich an die israelische Regierung und die Armee, um bspw. die »für den Ortsunkundigen manchmal unverständliche« »Eskalation an der israelisch-libanesischen Grenze« zu verstehen. Auch die ihm vollkommen unbegreiflichen »Terroranschläge am Grenzübergang nach Gaza« begehrt er zu enträtseln, und seine israelischen Gastgeber, die dem Wissbegierigen keine Bitte abschlagen, laden ihn zu einem Tag am Grenzübergang »mitten im Geschehen« ein. Auch die bohrende Frage, wie »Israels relativ kleine Marine seine Seegrenzen« sichert, wird ihm bereitwillig durch »eine Einladung, den Fregatteneinsatz zu begleiten«, beantwortet. Aufgabe der »relativ kleinen Marine« ist es unter anderem, palästinensische Fischer am Fischen zu hindern — aber dergleichen ficht seine Exzellenz nicht an.
Was mag Herr Dreßler am Grenzübergang Erez gesehen haben? An diesem Ort mit seinen Viehgattern zwischen denen sich müde, gedemütigte palästinensische Arbeiter drängen, die sich vor den Grenzposten halb entblößen müssen, gespenstisch beleuchtet durch kalte Flutlichter… Unser fideler Botschafter fühlt sich da aufgeklärt und pudelwohl. Er hat dank seiner Bildungsreisen in Israel (offenbar nie in den besetzten Gebieten) eine Bombenidee: »Die Staatengemeinschaft muss für Israel Sicherheit erarbeiten.«
In diesem Sinne feiert Das Parlament auch »Die goldene Hochzeit der Waffenschmieden«, deren eine Chance darin bestanden habe, »gemeinsam neue Märkte zu erschließen, oder Schlüsselkomponenten in Staaten zu exportieren, die sonst nicht ohne weiteres bedient werden konnten. So gelangten deutsche Rüstungsgüter über Israel nach Indien, Sri Lanka oder in die Türkei.«
Wahrlich »besondere« Beziehungen, um die sich erwiesenermaßen Außenminister Fischer verdient gemacht hat. Dafür wurde ihm jüngst vom Zentralrat der Juden der Leo-Baeck-Preis 2004 verliehen, als einem Deutschen, »dem es gelungen ist, aus der schrecklichen Vergangenheit seines Landes Lehren zu ziehen.«

Sophia Deeg

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