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Klatsch, klatsch zwei schallende Ohrfeigen gab es am 11.Mai. Die eine
für die Bundesregierung, die andere für die Tarifexperten der Gewerkschaft ver.di. Deren
ungezügelte Verlängerung der Arbeitszeit über alle Schutzgrenzen hinweg hat damit einen
gehörigen Dämpfer erhalten. Für viele war dabei unerwartet, dass gerade die Abgeordneten des
Europaparlaments so unmissverständlich mit 345:264:43 Stimmen den Trend stoppten.
Im Jahr 1993 hatte die britische Regierung in
die EU-Arbeitszeitrichtlinie ihr »Opt-out-System« hinein verhandelt. Damit kann in Europa die
Höchstgrenze der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit ausgehebelt werden. Mit
widerruflicher schriftlicher Zustimmung des Arbeitnehmers können die Unternehmer bis über 60
Stunden hinaus Woche für Woche arbeiten lassen. In Großbritannien, Zypern und Malta enthalten bis
zu 16% der Arbeitsverträge solche Klauseln. Deutschland, Frankreich und Spanien experimentieren mit
diesem Raubbau zunächst im Gesundheitswesen. Doch was am OP-Tisch und in der nächtlichen
Notaufnahme recht und billig ist, kann auf Dauer bei den Lenkzeiten der Lkw-Besatzungen oder in der
Gastronomie kein Tabu sein.
Der Europäische Gerichtshof entschied im
Jahr 2000, dass auch die Unterbrechungen zwischen den Bereitschaftseinsätzen von Ärzten und
Schwestern im Krankenhaus zur Arbeitszeit zählen. Damit gerieten die deutschen
»Spezialitäten« ins Rutschen. Denn traditionell werden hierzulande Bereitschaftsdienste und
Pausen der Freizeit zugerechnet. Und umgekehrt wird die Freizeit der Beschäftigten in den
Schutzbestimmungen auf eine »Ruhezeit« reduziert, auf die Erholung von der Arbeit und das
Kraftschöpfen für weitere Arbeit.
Unter dem Druck der deutschen
Krankenhausbetreiber und der Bundesregierung drängt die zuständige EU-Kommission seit einigen
Jahren auf weitere Deregulierungen. Doch ihr »Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rats zur Änderung der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der
Arbeitszeitgestaltung« wurde von den Parlamentariern in der 1.Lesung gründlich zerzaust. Das
»Opt-out«-Ventil soll wieder ein wenig geschlossen werden. So sollen Beschäftigte in den
ersten 6 Monaten überhaupt nicht länger als 48 Stunden im Wochendurchschnitt zur Arbeit
herangezogen werden; und auch danach nur aufgrund einer veränderten Auftragslage und mit einer auf ein
halbes Jahr begrenzten schriftlichen Zustimmung der Beschäftigten.
Die Modernisier wollten die »inaktive
Zeit« während der Arbeit nur noch ausnahmsweise als Arbeitszeit werten. Doch der
Parlamentsbeschluss änderte dies kategorisch und definiert den gesamten Bereitschaftsdienst als
Arbeitszeit, in der der Arbeitnehmer nicht frei über seine Zeit verfügen kann. Da verließ
die aufmüpfigen Parlamentarier aber auch schon ihr Mut. Und so konstruierten sie an das Ende all ihrer
Paragrafen gleich auch die üblichen Schlupflöcher:
»Inaktive Zeiten während des
Bereitschaftsdienstes können jedoch durch Tarifverträge oder Vereinbarungen zwischen den
Tarifpartnern oder Gesetze oder Verordnungen bei der Berechnung der … durchschnittlichen
wöchentlichen Höchstarbeitszeit besonders gewichtet werden, und zwar in Übereinstimmung mit
den allgemeinen Grundsätzen zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit von Arbeitnehmern.«
Dabei hatte doch gerade drei Wochen zuvor die
deutsche Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gezeigt, wohin sich ratlose Tarifexperten treiben lassen. Die
hatten im Zuge des kampflos modernisierten »Tarifvertrags öffentlicher Dienst« auch einen
besonderen Tarifvertragsteil für Krankenhäuser und Pfegeeinrichtungen unterschrieben. Dieser
TVöD-Kr verlängert ab sofort nicht nur die mögliche werktägliche Arbeitszeit einer
Schicht samt Bereitschaftsdienst auf 24 Stunden plus (!) eingeschobener Pausen. Zugleich wird auch die
mögliche durchschnittliche Wochenarbeitszeit auf 54 oder sogar 58 Stunden heraufgeschraubt. Es bleibt
den Betriebs- und Personalräten überlassen, sich zu solch einem Dammbruch die passenden
gesundheitsschützenden Maßnahmen auszudenken.
Noch steht die Kompromisssuche zwischen der
EU-Kommission und dem Parlament bevor. Die verwässerten Verbesserungen der Arbeitszeitrichtlinie
werden frühestens in drei Jahren zu Nachjustierung der nationalen Gesetze zwingen. Doch schon jetzt
steht fest, dass sich ver.di mit all den Zugeständnissen blamabel über den Tisch hat ziehen
lassen.
Tobias Michel
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